Was ist die Abgrenzung zwischen wesentlichen und unwesentlichen Mängel im Baurecht?
Auf den ersten Blick scheint die Abgrenzung zwischen einem wesentlichen und einem unwesentlichen Mangel eher eine Nebensächlichkeit zu sein, die für den weiteren Verlauf keine große Rolle spielt. Bei näherem Hinsehen kommt dieser Unterscheidung allerdings gerade im Baurecht eine entscheidende Bedeutung zu. Vor allem bei der oftmals wenig beachteten Abnahme des Bauwerkes gemäß § 640 BGB kann die Unterscheidung von wesentlichem und unwesentlichem Mangel den weiteren Bauverlauf stark beeinflussen.
Die Bedeutung der Abnahme
Die Abnahme im Sinne des § 640 BGB ist die Erklärung des Bestellers, dass er das erstellte Werk akzeptiert. Darüber hinaus gilt die Abnahme auch als Anerkennung der vertraglichen Leistung. Durch die Abnahme bringt der Auftraggeber also zum Ausdruck, dass er die Bauleistung billigt und als im Wesentlichen vertragsgerecht anerkennt. Damit hat die Abnahme für jedes Bauvertragsverhältnis eine entscheidende Bedeutung. So führt die Abnahme nicht nur zur Fälligkeit des Vergütungsanspruchs, sondern auch zum Übergang der Gefahr und zur Umkehr der Beweislast in Bezug auf Baumängel. Bei der Abnahme handelt es sich um eine einseitige Willenserklärung des Bauherrn, die ausdrücklich bzw. schriftlich zum Ausdruck gebracht werden sollte. In der Praxis erfolgt jedoch häufig eine stillschweigende Abnahme, die beispielsweise in der vollständigen Zahlung des Werklohns gesehen werden kann. Allein dieser Umstand zeigt, dass der Abnahme nicht die benötigte Bedeutung zugemessen wird.
Die Pflicht zur Abnahme
Neben der Zahlung einer angemessenen Vergütung stellt die Abnahme die Hauptpflicht des Bestellers dar. Diese Pflicht besteht jedoch erst zum vereinbarten Abnahmetermin und es muss Abnahmereife, also ein vertragsmäßig hergestelltes Werk, gegeben sein. Sofern der Unternehmer das Werk vertragsgemäß hergestellt hat, besteht für den Bauherrn eine Abnahmepflicht. Unterlässt der Besteller es, die Abnahme zu erklären, obwohl er rechtlich dazu verpflichtet ist, kann der Unternehmer die Wirkung der Abnahme sogar selbst herbeiführen, § 640 Abs. 1 S. 3 BGB. Dazu muss der Unternehmer dem Besteller eine angemessene Frist zur Abnahme setze. Lässt der Bauherr diese verstreichen, wird die Abnahme fingiert und das Werk gilt als abgenommen.
Wesentlicher oder unwesentlicher Mangel
Dem Unternehmer steht dieser Anspruch auf die Abnahme allerdings nur zu, wenn das Bauwerk frei von Mängeln ist. Der Besteller kann die Abnahme demnach nur im Falle der Mängelfreiheit verweigern. Um die Abnahme verweigern zu können, muss es sich jedoch um einen wesentlichen Mangel handeln, ein unwesentlicher Mangel reicht hierfür nicht aus. Ob ein Mangel wesentlich ist und deshalb zur Verweigerung der Abnahme berechtigt, hängt von seiner Art, seinem Umfang und vor allem seinen Auswirkungen ab und lässt sich nur unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalles beurteilen. Dennoch haben sich im Laufe der Zeit einige Kriterien herauskristallisiert anhand derer eine Abgrenzung vorgenommen werden kann. So hängt die Unterscheidung von wesentlichem und unwesentlichem Mangel zum Beispiel vom Umfang der Mangelbeseitigungskosten, von der Auswirkung des Mangels auf die Funktionsfähigkeit der Gesamtwerkleistung sowie dem Maß der möglichen Beeinträchtigungen ab. Zudem kann für die Beurteilung der Wesentlichkeit eines Mangels abgewogen werden, ob es dem Auftraggeber zumutbar ist, die Werkleistung abzunehmen und die hierdurch eintretenden Rechtsfolgen hinzunehmen. Die Wesentlichkeit eines Mangels bemisst sich somit auch nach den beiderseitigen Interessen der Parteien. Weiterhin gilt es zu beachten, dass mehrere unwesentliche Mängel im Einzelfall einem wesentlichen Mangel gleichstehen können.