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Übersicht
- ✔ Kurz und knapp
- Bürgschaften im Baurecht: Wenn Sicherheiten zu kostspielig werden
- ✔ Der Fall vor dem Landgericht Berlin
- ✔ Die Schlüsselerkenntnisse in diesem Fall
- ✔ FAQ – Häufige Fragen: Gewährleistungsbürgschaften
- Was ist eine Gewährleistungsbürgschaft und welchen Zweck erfüllt sie im Baurecht?
- Welche Regelungen gelten für die Rückgabe einer Gewährleistungsbürgschaft nach Ablauf der Gewährleistungsfrist?
- Wie können Auftraggeber und Auftragnehmer sicherstellen, dass Sicherungsabreden in Bauverträgen rechtlich wirksam sind?
- Welche Folgen hat eine unwirksame Sicherungsabrede für die Vertragsparteien und den Anspruch auf die Bürgschaft?
- § Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils
- ⬇ Das vorliegende Urteil vom Landgericht Berlin
✔ Kurz und knapp
- Die Verpflichtung des Auftragnehmers zur Stellung einer unbefristeten Bürgschaft für Gewährleistungsansprüche ohne Möglichkeit der teilweisen Enthaftung ist unwirksam.
- Eine Klausel, die dem Auftraggeber erlaubt die Bürgschaft vollumfänglich zurückzuhalten, obwohl nur noch geringe Gewährleistungsansprüche bestehen, benachteiligt den Auftragnehmer unangemessen.
- Das Sicherungsinteresse des Auftraggebers steht in einem solchen Fall in keinem angemessenen Verhältnis zu den Kosten des Auftragnehmers für die Bürgschaftsstellung.
- Unwirksame Klauseln werden durch die gesetzlichen Regelungen ersetzt, die keine Bürgschaftsstellung für Gewährleistungsansprüche vorsehen.
- Der Verweis auf die VOB/B in einem Verhandlungsprotokoll ändert nichts an der Unwirksamkeit der unangemessenen Klausel in den Allgemeinen Vertragsbedingungen.
- Die Möglichkeit der Hinterlegung von Sicherheiten ist kein angemessener Ausgleich für die unwirksame Bürgschaftsklausel.
- Der Auftraggeber kann aus der Bürgschaft keinen Anspruch auf Erstattung von Mangelbeseitigungskosten herleiten.
Bürgschaften im Baurecht: Wenn Sicherheiten zu kostspielig werden
Bauprojekte sind komplexe Unterfangen, bei denen viele verschiedene Akteure zusammenwirken müssen. Insbesondere die vertraglichen Vereinbarungen zwischen Bauherren und ausführenden Unternehmen spielen eine entscheidende Rolle. Von zentraler Bedeutung sind dabei die rechtlichen Regelungen zur Absicherung von Gewährleistungsansprüchen.
Bauverträge sehen häufig vor, dass der ausführende Betrieb eine Bürgschaft zur Sicherung solcher Ansprüche stellen muss. Dies dient dem Schutz des Auftraggebers, kann für den Auftragnehmer jedoch auch mit erheblichen Kosten verbunden sein. Ob solche Bürgschaftsklauseln immer angemessen sind und wie die Rückgabe der Sicherheit geregelt sein muss, ist Gegenstand kontroverser rechtlicher Diskussionen.
Das nachfolgende Urteil eines Landgerichts befasst sich mit genau dieser Thematik und liefert wichtige Erkenntnisse für die Praxis des Baurechts.
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✔ Der Fall vor dem Landgericht Berlin
Klage auf Rückgabe einer Gewährleistungsbürgschaft
In dem vorliegenden Fall handelt es sich um eine rechtliche Auseinandersetzung zwischen der Klägerin und der xxx xxx GmbH (nachfolgend „Hauptschuldnerin“), die durch das Landgericht Berlin entschieden wurde. Die Klägerin beauftragte die Hauptschuldnerin am 20. Juni 2016 mit Dachdeckerarbeiten an einem Bauprojekt in Aachen. Zur Absicherung möglicher Gewährleistungsansprüche wurde eine Bürgschaft in Höhe von 12.117,42 Euro vereinbart. Diese Bürgschaft sollte gemäß den Allgemeinen Vertragsbedingungen (AVB) der Klägerin für Nachunternehmerverträge gestellt werden.
Die Klägerin behauptete, die Dachdeckerarbeiten seien mangelhaft ausgeführt worden und forderte die Beklagte, eine Bank, zur Zahlung der Mangelbeseitigungskosten in Höhe von 12.117,42 Euro auf. Die Beklagte bestritt die Zahlungspflicht und erhob die Einrede der Bereicherung. Die Streitfrage drehte sich um die Wirksamkeit der Sicherungsabrede in den AVB und die Frage, ob die Bürgschaft ohne Rechtsgrund gestellt wurde.
Die Entscheidung des Gerichts
Das Landgericht Berlin wies die Klage der Klägerin ab. Es urteilte, dass die Klägerin keinen Anspruch auf die Zahlung der Mangelbeseitigungskosten aus der Bürgschaft habe. Dabei ließ das Gericht offen, ob und in welcher Höhe ein Anspruch auf die Mangelbeseitigungskosten entstanden sei. Entscheidend war, dass die Beklagte die Erfüllung des Anspruchs aufgrund der von ihr erhobenen Einrede gemäß § 821 BGB in Verbindung mit § 768 BGB verweigern könne, da die Hauptschuldnerin die Verpflichtung zur Stellung der Bürgschaft ohne Rechtsgrund eingegangen sei.
Unwirksamkeit der Sicherungsabrede
Das Gericht stellte fest, dass die Sicherungsabrede in § 14 Abs. 5 AVB gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam sei. Diese Bestimmung benachteilige die Hauptschuldnerin unangemessen, da sie keine teilweise Enthaftung in Abhängigkeit von den zu erwartenden Gewährleistungsansprüchen vorsehe. Eine solche Regelung ermögliche es dem Auftraggeber, die Bürgschaft in vollem Umfang zurückzubehalten, selbst wenn nur geringe Gewährleistungsansprüche zu erwarten seien. Dies stünde in einem Missverhältnis zu den Kosten des Auftragnehmers für die Stellung der Bürgschaft.
Gesetzliche Regelungen statt unwirksamer Klauseln
Aufgrund der Unwirksamkeit der Sicherungsabrede gelten gemäß § 306 Abs. 2 BGB die gesetzlichen Regelungen. Das Werkvertragsrecht sieht keine Verpflichtung des Unternehmers zur Stellung einer Sicherheit für Gewährleistungsansprüche vor. Die Klage der Klägerin wurde somit abgewiesen, da die Beklagte berechtigt war, die Erfüllung des Anspruchs aufgrund der erhobenen Einrede zu verweigern.
Die Kostenentscheidung basierte auf § 91 Abs. 1 ZPO, während die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 709 Satz 1 und 2 ZPO folgte. Die Klägerin musste die Kosten des Rechtsstreits tragen, und das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Konsequenzen für Vertragsgestaltungen
Dieser Fall zeigt die Bedeutung klarer und rechtlich wirksamer Vertragsklauseln bei der Gestaltung von Nachunternehmerverträgen im Baurecht. Insbesondere die Sicherungsabreden müssen so formuliert sein, dass sie keine unangemessene Benachteiligung der Vertragspartner darstellen. Andernfalls laufen Auftraggeber Gefahr, dass ihre Sicherungsvereinbarungen von Gerichten für unwirksam erklärt werden.
✔ Die Schlüsselerkenntnisse in diesem Fall
Das Urteil bekräftigt den Grundsatz, dass Sicherungsabreden in Allgemeinen Vertragsbedingungen einer strengen Inhaltskontrolle unterliegen. Klauseln, die den Auftragnehmer unangemessen benachteiligen, indem sie keine teilweise Enthaftung in Abhängigkeit von den zu erwartenden Gewährleistungsansprüchen vorsehen, sind unwirksam. Auftraggeber müssen bei der Gestaltung von Bauverträgen sorgfältig darauf achten, dass ihre Sicherungsvereinbarungen einer gerichtlichen Überprüfung standhalten und eine ausgewogene Risikoverteilung gewährleisten.
✔ FAQ – Häufige Fragen: Gewährleistungsbürgschaften
Was ist eine Gewährleistungsbürgschaft und welchen Zweck erfüllt sie im Baurecht?
Eine Gewährleistungsbürgschaft, auch Mängelansprüchebürgschaft genannt, dient im Baurecht der Absicherung von Mängelansprüchen des Auftraggebers nach Abnahme der Werkleistung. Sie sichert somit die Ansprüche des Auftraggebers, falls nach der Abnahme Mängel am Bauwerk auftreten und der Auftragnehmer seinen vertraglichen Verpflichtungen zur Mängelbeseitigung nicht nachkommt.
In der Praxis wird häufig ein Sicherheitseinbehalt von 3 bis 5 % der Vertragssumme vereinbart, den der Auftraggeber bis zum Ablauf der Gewährleistungsfrist einbehalten darf. Dieser Einbehalt kann durch eine Gewährleistungsbürgschaft abgelöst werden. Dadurch erhält der Auftragnehmer bei Aushändigung der Bürgschaftsurkunde die volle Rechnungssumme, während der Auftraggeber weiterhin abgesichert bleibt.
Die Gewährleistungsbürgschaft gilt für die Dauer der Gewährleistungsfrist, die bei VOB-Verträgen in der Regel 4 Jahre für Bauwerke und 2 Jahre für andere Gewerke beträgt. Bei BGB-Verträgen sind es üblicherweise 5 Jahre. Die Bürgschaft ist nach Ablauf der Gewährleistungsfrist zurückzugeben, wenn keine Mängel aufgetreten sind.
Beispiel Ein Bauunternehmer errichtet für einen Auftraggeber ein Wohnhaus. Nach der Abnahme stellt sich heraus, dass das Dach undicht ist. Kommt der Unternehmer seiner Nachbesserungspflicht nicht nach, kann der Auftraggeber die Mängelbeseitigung aus der Gewährleistungsbürgschaft finanzieren lassen.
Die Gewährleistungsbürgschaft erfüllt somit einen wichtigen Zweck im Baurecht. Sie schützt den Auftraggeber vor Mängelrisiken nach der Abnahme und gibt dem Auftragnehmer einen Anreiz, etwaige Mängel fristgerecht zu beseitigen. Gleichzeitig erhält der Auftragnehmer seinen Werklohn vollständig ausgezahlt und muss keinen Sicherheitseinbehalt hinnehmen.
Welche Regelungen gelten für die Rückgabe einer Gewährleistungsbürgschaft nach Ablauf der Gewährleistungsfrist?
Nach Ablauf der Gewährleistungsfrist hat der Auftragnehmer grundsätzlich einen Anspruch auf Rückgabe der gestellten Gewährleistungsbürgschaft. Die genauen Regelungen hängen jedoch davon ab, ob die VOB/B Vertragsbestandteil geworden ist oder nicht.
Wurde die VOB/B in den Vertrag einbezogen, richtet sich die Rückgabe nach § 17 Abs. 8 Nr. 2 VOB/B. Danach ist eine nicht verwertete Sicherheit für Mängelansprüche nach Ablauf von 2 Jahren zurückzugeben, wenn bis dahin keine Ansprüche geltend gemacht wurden. Wurden Mängelansprüche erhoben, darf der Auftraggeber einen entsprechenden Teil der Sicherheit zurückbehalten.
Selbst wenn die 2-Jahres-Frist noch nicht abgelaufen ist, muss der Auftraggeber die Bürgschaft herausgeben, sobald die Mängelansprüche verjährt sind und der Auftragnehmer die Einrede der Verjährung erhebt. Dies hat der BGH in einem Urteil vom 9. Juli 2015 (Az. VII ZR 5/15) klargestellt. Eine Klausel, wonach die Sicherheit erst zurückzugeben ist, wenn überhaupt keine Mängelansprüche mehr geltend gemacht werden können, benachteiligt den Auftragnehmer unangemessen und ist unwirksam.
Gilt die VOB/B nicht, kommt es auf die vertraglichen Vereinbarungen an. Fehlt es an einer ausdrücklichen Regelung, ist die Gewährleistungsbürgschaft nach Ablauf der Verjährungsfrist für Mängelansprüche zurückzugeben. Diese beträgt bei Bauwerken 5 Jahre, bei sonstigen Werken 2 Jahre ab Abnahme, sofern nichts anderes vereinbart ist (§ 634a BGB).
Der Auftraggeber darf die Bürgschaft auch hier nicht über die Verjährung hinaus zurückbehalten, wenn der Auftragnehmer die Verjährungseinrede erhebt. Ein Zurückbehaltungsrecht besteht nur, soweit der Auftraggeber bereits Mängelansprüche geltend gemacht hat. Deren Höhe begrenzt den einbehaltenen Betrag.
Wie können Auftraggeber und Auftragnehmer sicherstellen, dass Sicherungsabreden in Bauverträgen rechtlich wirksam sind?
Um rechtssichere Sicherungsabreden in Bauverträgen zu gestalten, sollten Auftraggeber und Auftragnehmer mehrere wichtige Kriterien beachten.
Zunächst ist es entscheidend, die Sicherungsabreden klar und eindeutig zu formulieren. Die Parteien müssen genau festlegen, welche Sicherheiten in welcher Höhe und für welchen Zeitraum gestellt werden sollen. Unklare oder widersprüchliche Klauseln können schnell zur Unwirksamkeit der gesamten Sicherungsabrede führen.
Ein häufiger Fehler ist es, wenn sich die Sicherheiten für die Vertragserfüllung und die Mängelansprüche überschneiden. Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass eine solche Überschneidung den Auftragnehmer unangemessen benachteiligt und daher unwirksam ist. Um dies zu vermeiden, sollten die Parteien genau festlegen, ab wann die Vertragserfüllungsbürgschaft endet und die Gewährleistungsbürgschaft beginnt.
Auch die Höhe der Sicherheiten muss angemessen sein. Überhöhte Sicherheiten, die den Auftragnehmer unverhältnismäßig belasten, können ebenfalls zur Unwirksamkeit führen. Als Faustregel gelten 10% der Auftragssumme für die Vertragserfüllungsbürgschaft und 5% für die Gewährleistungsbürgschaft als angemessen.
Wichtig ist zudem, den Rückgabezeitpunkt der Sicherheiten klar zu regeln. Grundsätzlich ist die Vertragserfüllungsbürgschaft nach der Abnahme zurückzugeben, wenn der Auftragnehmer eine Gewährleistungsbürgschaft gestellt hat. Die Gewährleistungsbürgschaft ist wiederum nach Ablauf der Verjährungsfrist für Mängelansprüche zurückzugeben. Abweichende Vereinbarungen sind möglich, dürfen den Auftragnehmer aber nicht unangemessen benachteiligen.
Ein anschauliches Beispiel Eine Klausel, die die Rückgabe der Gewährleistungsbürgschaft davon abhängig macht, dass überhaupt keine Mängelansprüche mehr bestehen, benachteiligt den Auftragnehmer unangemessen. Denn auch bei kleineren Mängeln müsste er dann die volle Sicherheit stellen. Stattdessen sollte eine Teilenthaftung vereinbart werden, bei der die Sicherheit nur noch den Wert der Mängelansprüche abdeckt.
Schließlich sollten die Parteien die gesetzlichen Regelungen in § 17 VOB/B beachten. Zwar können sie davon abweichen, allerdings nur im Rahmen des rechtlich Zulässigen. Vereinbaren sie zum Beispiel eine zu lange Dauer für die Gewährleistungsbürgschaft, kann im Zweifel die gesetzliche Regelung von 2 Jahren greifen.
Indem Auftraggeber und Auftragnehmer diese Kriterien beachten, können sie rechtssichere Sicherungsabreden gestalten und böse überraschungen vermeiden. Im Zweifel empfiehlt es sich, fachjuristischen Rat einzuholen, um die Wirksamkeit der Klauseln zu gewährleisten.
Welche Folgen hat eine unwirksame Sicherungsabrede für die Vertragsparteien und den Anspruch auf die Bürgschaft?
Eine unwirksame Sicherungsabrede zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer hat weitreichende Folgen für die Vertragsparteien und den Anspruch auf die Bürgschaft. Die gesamte Sicherungsabrede ist dann unwirksam. Das bedeutet, der Auftraggeber hat weder Anspruch auf Stellung einer Vertragserfüllungsbürgschaft noch auf eine Gewährleistungsbürgschaft.
Der Bürge kann sich gegenüber dem Auftraggeber auf die Unwirksamkeit der Sicherungsabrede berufen. Grund dafür ist die in § 768 Abs. 1 Satz 1 BGB geregelte Akzessorietät der Bürgschaft. Danach kann der Bürge dem Gläubiger alle Einreden entgegensetzen, die dem Hauptschuldner zustehen. Dazu gehört auch die Einrede der Unwirksamkeit der Sicherungsabrede aus dem Hauptvertrag zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer.
Hat der Bürge aufgrund der unwirksamen Sicherungsabrede bereits an den Auftraggeber gezahlt, steht ihm ein Rückforderungsanspruch gegen den Auftraggeber zu. Denn durch die Unwirksamkeit der Sicherungsabrede entfällt der Rechtsgrund für die Zahlung des Bürgen. Er kann das Geleistete nach den Vorschriften über die ungerechtfertigte Bereicherung zurückverlangen.
Ein anschauliches Beispiel verdeutlicht die Konsequenzen
Der Auftraggeber A und der Auftragnehmer U vereinbaren in einem Bauvertrag, dass U eine Gewährleistungsbürgschaft stellen muss. Das im Vertrag vorgesehene Bürgschaftsmuster sieht vor, dass der Bürge B auf die Einrede der Aufrechenbarkeit auch für unbestrittene oder rechtskräftig festgestellte Forderungen des U verzichten muss. Eine solche Klausel benachteiligt den U unangemessen und ist daher unwirksam. Die gesamte Sicherungsabrede im Vertrag zwischen A und U ist dann unwirksam.
Stellt B dennoch eine Bürgschaft, kann er der Inanspruchnahme durch A die Einrede der Unwirksamkeit der Sicherungsabrede entgegenhalten. Selbst wenn B bereits an A gezahlt hat, kann er das Geld zurückfordern, da der Rechtsgrund für die Zahlung durch die unwirksame Sicherungsabrede entfallen ist.
§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils
- § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB: Dieser Paragraph regelt die Inhaltskontrolle von Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB). Im konkreten Fall wurde die Klausel zur unbefristeten Bürgschaft in den AGB des Auftraggebers als unangemessene Benachteiligung des Auftragnehmers gewertet und somit für unwirksam erklärt.
- § 306 Abs. 2 BGB: Dieser Paragraph besagt, dass bei Unwirksamkeit einer Vertragsklausel die gesetzliche Regelung greift. Da das Werkvertragsrecht keine Verpflichtung zur Stellung einer Gewährleistungsbürgschaft vorsieht, entfällt diese Verpflichtung für den Auftragnehmer.
- § 821 BGB i.V.m. § 768 BGB: Diese Paragraphen regeln die Einrede der ungerechtfertigten Bereicherung. Da die Bürgschaftsverpflichtung des Auftragnehmers aufgrund der unwirksamen AGB-Klausel ohne Rechtsgrund erfolgte, konnte sich der Bürge auf diese Einrede berufen und die Zahlung verweigern.
- § 765 Abs. 1 BGB i.V.m. § 637 Abs. 1 BGB: Diese Paragraphen bilden die Grundlage für Gewährleistungsansprüche im Werkvertragsrecht. Der Auftraggeber kann bei Mängeln am Werk Nacherfüllung, Schadensersatz oder Selbstvornahme verlangen. Die Bürgschaft dient der Absicherung dieser Ansprüche.
⬇ Das vorliegende Urteil vom Landgericht Berlin
LG Berlin – Az.: 14 O 145/22 – Urteil vom 16.05.2023
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Parteien streiten um Ansprüche aus einer Bürgschaft zur Sicherung von Gewährleistungsansprüchen aus einem Werkvertrag.
Die Klägerin beauftragte die xxx xxx GmbH (nachfolgend „Hauptschuldnerin“) durch Schreiben vom 20.06.2016 mit Dachdeckerarbeiten an einem Bauprojekt der Klägerin in xxx Aachen, xxx 4b. In Ziffer 1.2 des für die Arbeiten vereinbarten Verhandlungsprotokolls vom 27.04.2016 (Anlage K 2 zur Klageschrift, Blatt 2ff. der Akten) wurde die Geltung der „Allgemeinen Vertragsbedingungen der Klägerin für Nachunternehmerverträge“ (nachfolgend „AVB“; Anlage K3 zur Klageschrift, Blatt 2ff. der Akten) vereinbart. In Ziffer 1.3 des Verhandlungsprotokolls hieß es:
„Maßgebend für den zu erreichenden Leistungserfolg, die Art und den Umfang der auszuführenden Lieferungen und Leistungen sowie für die ordnungsgemäße Abwicklung des Auftrages sind bei Widerspruch in der angegebenen Reihenfolge insbesondere: […] b) die AVB […] d) die Vergabe und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB), Teile B und C […]“
In den AVB hieß es unter anderem:
„§ 14 Abs. 5: Von der Restzahlung gemäß der Schlussrechnung werden als Sicherheit für die Erfüllung der Mängelansprüche des AG gegenüber dem NU 5% bei der Fertigstellung berechtigten Nettoauftragssumme einbehalten. Dieser Einbehalt ist durch den NU auf der Rechnung kenntlich zu machen. Der NU kann neben den Rechten aus § 17 VO/B diese Bar-Sicherheit durch unbefristete, unbedingte Bürgschaft für Mängelansprüche […] unter Verzicht auf die Einrede der Vorausklage, der Anfechtbarkeit sowie der Hinterlegung einer deutschen Großbank, Sparkasse oder eines Kreditversicherers ablösen.
Eine Bürgschaft auf erstes Anfordern kann nicht verlangt werden.
Die Bürgschaft ist zurückzugeben, wenn die Verjährungsfrist für Mängelansprüche gem. § 13 abgelaufen ist und Mängelansprüche des AG nicht mehr bestehen.“
Zur Ablösung des Sicherheitseinbehalts gem. § 14 Abs. 5 AVB übergab die Hauptschuldnerin eine selbstschuldnerische Bürgschaft mit einen Höchstbetrag von 12.117,42 € der Beklagten. Als ausschließlicher Gerichtsstand wurde in der Bürgschaftsurkunde Berlin vereinbart. Ergänzend wird auf die Bürgschaftsurkunde verwiesen (Anlage K4 zur Klageschrift, Blatt 2ff. der Akten).
Die Klägerin behauptet, die Leistungen der Hauptschuldnerin seien mangelhaft gewesen, wodurch ihr ein Aufwand für die Beseitigung der Mängel im Wege der Selbstvornahme in Höhe von 189.671,33 € entstanden sei. Ergänzend wird hierzu auf die Anlagen K 5 und K 6 der Klageschrift (Blatt 2ff. der Akten) verwiesen.
Mit der Klage nimmt die Klägerin die Beklagte für die Mangelbeseitigungskosten aus der Bürgschaft in Anspruch.
Die Klägerin beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 12.117,42 € nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit Zug um Zug gegen Rückgabe der Originalbürgschaft Nr. xxx vom 09.03.2017 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte meint, die Sicherungsabrede in § 14 Abs. 5 AVB sei als AGB unwirksam. Sie erhebt die Einrede der Bereicherung.
Entscheidungsgründe
I.
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Die Klägerin kann von der Beklagten nicht die Zahlung der Mangelbeseitigungskosten aus § 765 Abs. 1 BGB i.V.m. § 637 Abs. 1 BGB oder einer anderen Anspruchsgrundlage verlangen. Dabei kann dahinstehen, ob und in welcher Höhe ein Anspruch entstanden ist. Jedenfalls wäre die Beklagte berechtigt, die Erfüllung des Anspruchs aufgrund der von ihr erhobenen Einrede gem. § 821 BGB i.V.m. § 768 BGB zu verweigern, weil die Hauptschuldnerin die Verpflichtung zur Stellung der Bürgschaft ohne Rechtsgrund eingegangen ist.
1. Die in § 14 Abs. 5 AVB vorgesehene Sicherungsabrede ist gem. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam.
a) Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass es sich bei der Bestimmung in § 14 Abs. 5 AVB um Allgemeine Geschäftsbedingungen i.S.d. § 305 Abs. 1 BGB handelt.
b) Nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB ist die Bestimmung in § 14 Abs. 5 AVB unwirksam, wenn sie die Hauptschuldnerin entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt.
Eine Sicherungsabrede über die Stellung einer Höchstbetragsbürgschaft für Gewährleistungsansprüche benachteiligt den Auftragnehmer unangemessen, wenn sie keine teilweise Enthaftung in Abhängigkeit von den zu erwartenden Gewährleistungsansprüche vorsieht. Eine solche Abrede würde es nämlich dem Auftraggeber erlauben, die Bürgschaft auch dann in vollem Umfang zurückzubehalten, wenn nur noch geringe Gewährleistungsansprüche zu erwarten sind. Das Sicherungsinteresse des Auftraggebers stünde in einem solchen Fall in einem Missverhältnis zu den Kosten des Auftragnehmers für die Stellung der Bürgschaft. Ergänzend wird zur Begründung auf die Ausführungen des BGH im Urteil vom 26.03.2015 (VII ZR 92/14, juris, Rn. 40ff.) Bezug genommen.
Die Sicherungsabrede in § 14 Abs. 5 AVB sieht keine teilweise Enthaftung in Abhängigkeit von den noch zu erwartenden Gewährleistungsansprüchen vor. Der Wortlaut der Vertragsbestimmung ist eindeutig. Demnach muss die Bürgschaft erst zurückgegeben werden, wenn (und nicht soweit) Mängelansprüche der Klägerin nicht mehr bestehen. Der Wortlaut lässt eine Auslegung, wonach eine teilweise Freigabe der Bürgschaft zu erfolgen hat, nicht zu.
Der Auffassung der Klägerin, die Klausel sehe eine teilweise Enthaftung vor, weil das Verhandlungsprotokoll auch auf die VOB/B verweise und § 17 Abs. 8 Nr. 2 VOB/B (2016) eine teilweise Enthaftung vorsehe, kann der Kammer nicht folgen. Ziffer 1.3 des Verhandlungsprotokolls sieht die Geltung der VOB/B nicht bei Unwirksamkeit der AVB vor. Im Fall eines Widerspruchs zwischen AVB und VOB/B soll der Konflikt gemäß Ziffer 1.3 des Verhandlungsprotokolls so gelöst werden, dass die Bestimmung in den AVB vorgeht. § 17 Abs. 8 Nr. 2 VOB/B kann daher nicht dafür herangezogen werden, um die vorrangige Regelung in § 14 Abs. 5 AVB entgegen ihrem eindeutigen Wortlaut auszulegen (vgl. BGH, a.a.O., Rn. 44 zu der dort vergleichbaren vertraglichen Regelung).
Auch lässt sich eine unangemessene Benachteiligung der Hauptschuldnerin entgegen der Auffassung der Klägerin nicht damit verneinen, dass wegen des Verweises in § 14 Abs. 5 AVB auf die „Rechte aus § 17 VOB/B“ die Stellung der Bürgschaft nur eine von mehreren angebotenen Austauschsicherheiten war und für die anderen Austauschsicherheiten die Freigaberegelung des § 17 Abs. 8 Nr. 2 VOB/B galt. Außer der Bürgschaft, für die § 14 Abs.5 AVB eine spezielle Reglung trifft, sehen die VOB/B in § 17 Abs. 2 VOB/B nur den Sicherungseinbehalt und die Hinterlegung vor. Die Vereinbarung eines Sicherungseinbehalts oder der Hinterlegung als Sicherheit in Allgemeinen Geschäftsbedingungen hält aber nur dann einer Prüfung gem. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB stand, wenn dem Klauselgegner die Möglichkeit eingeräumt wird, auch Sicherheit durch Stellung einer Bürgschaft zu leisten (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Mai 2007 – VII ZR 210/06 –, Rn. 6, juris). Dann ist aber die hier zwischen der Klägerin und der Hauptschuldnerin vereinbarte Möglichkeit, den Sicherungseinbehalt durch Hinterlegung abzulösen, kein angemessener Ausgleich für die benachteiligende Regelung zur Stellung einer Bürgschaft ohne Enthaftungsmöglichkeit.
2. Nach § 306 Abs. 2 BGB gelten anstelle der unwirksamen Sicherungsabrede in § 14 Abs. 5 AVB die gesetzlichen Regelungen. Das Werkvertragsrecht sieht keine Verpflichtung des Unternehmers zur Stellung einer Sicherheit für Gewährleistungsansprüche vor.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 Satz 1 und 2 ZPO.