OLG München – Az.: 9 U 4193/11 Bau – Urteil vom 24.06.2014
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 20.09.2011 abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Rechtsstreits und die Kosten der Nebenintervenienten.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte bzw. deren Streithelfer vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leisten.
IV. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.
Beschluss: Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 138.278,88 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Die Kläger begehren Gesamtschuldnerausgleich von der Beklagten.
Mit Ingenieurvertrag vom 19./20.08.1996 beauftragte der Freistaat Bayern die Rechtsvorgängerin des Klägers zu 2) mit den Leistungsphasen 2 bis 8 des § 73 Abs. 3 HOAI (1996) für das Bauvorhaben „Erweiterung der technischen Zentrale der Universität R“. Ferner beauftragte der Freistaat Bayern die Rechtsvorgängerin der Beklagten durch Bauvertrag vom 06.12.2000 (Anlage B 1) unter Einbeziehung der VOB/B mit der Erweiterung der technischen Zentrale (Wärme-, Kälte- und Stromerzeugung) der Universität R. Im Rahmen des Bauvorhabens war von dem Kläger zu 2) eine Absorptionskältemaschine zu planen und von der Beklagten zu erstellen. Die Klägerin zu 1) ist die Haftpflichtversicherung des Klägers zu 2).
Am 01.07.2013 eröffnete das Amtsgericht Nürnberg das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Klägerin zu 2) (Az.: 831 IN 687/13; Schriftsätze der Kläger vom 10.07.2013 und 06.06.2014).
Die tatsächlichen Betriebsbedingungen der umzubauenden Anlage wurden nicht überprüft. Mit Schreiben vom 02.03.2001 (Anlage B 3) und 21.09.2001 (Anlage B 6) teilte die Herstellerfirma der einzubauenden Anlage der Beklagten mit, dass die Anlage statt mit Kupferrohren mit Rohren aus einer Eisenlegierung ausgestattet werden müsste, da das von der Universität R… laut VdTÜV-Merkblatt 1466 als Dosierchemikalie zur Verhinderung von Korrosion verwendete Hydrazin das Material Kupfer angreife und die im Leistungsverzeichnis vorgesehenen Kupferrohre (Position 3.1.1; Anlage B 4) daher nicht geeignet seien. Dies veranlasste die Beklagte, unter Bezugnahme auf die Stellungnahme der Herstellerin gegenüber dem Kläger zu 2) und dem Freistaat Bayern Bedenken gegen die von dem Kläger zu 2) geplante Ausführung der Wärmetauscherrohre aus Kupfer-Nickel anzumelden und mit Schreiben vom 14.03.2001 ein Nachtragsangebot über Generatorrohre aus einer Eisenlegierung vorzulegen (Anlage K 1). Dessen fachtechnische Prüfung und Freigabe durch den Kläger zu 2) erfolgte am 11.06.2001. Sodann wurde die Absorptionskältemaschine mit Rohren aus der Eisenlegierung hergestellt und von der Beklagten eingebaut.
Am 16.08.2005 trat an der Kondensatleitung zwischen dem Kondensatstauer und der Absorptionskältemaschine an dem druckbehafteten Kondensatgefäß ein Schaden infolge Korrosion auf. Im Rahmen einer genaueren Untersuchung wurde ein erheblicher Materialabtrag durch Korrosion an den Wärmetauscherrohren der Absorptionskältemaschine festgestellt.
Wegen dieses Schadens betrieb der Freistaat Bayern vor dem Landgericht Regensburg ein selbständiges Beweisverfahren (Az.: 4 OH 2/06) gegen den hiesigen Kläger zu 2) und die hiesige Beklagte. Auf der Grundlage des selbständigen Beweisverfahrens erhob der Freistaat Bayern eine Klage vor dem Landgericht Regensburg (Az.: 4 O 1806/09) gegen den Kläger zu 2). Durch Urteil vom 21.12.2010 hat das Landgericht Regensburg den Kläger zu 2) antragsgemäß verurteilt, an den Freistaat Bayern 414.836,64 Euro nebst Zinsen zu bezahlen. Die hiesige Beklagte legte als damalige Nebenintervenientin gegen das Urteil des Landgerichts Regensburg Berufung ein, die das Oberlandesgericht Nürnberg durch Beschluss vom 03.06.2011 gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückwies. Bereits mit Schriftsatz vom 16.08.2007 hatte der Kläger zu 2) im selbständigen Beweisverfahren der Beklagten den Streit verkündet. Von dem ausgeurteilten Hauptsachebetrag zahlte die Klägerin zu 1) 348.110,64 Euro an den Freistaat Bayern, den restlichen Betrag in Höhe von 66.726 Euro zahlte der Kläger zu 2) an den Freistaat Bayern.
Die Kläger meinen, sowohl der Kläger zu 2) als auch die Beklagte hätten jeweils einen Verursachungsbeitrag zu dem festgestellten Mangel der Absorptionskältemaschine geleistet. Die Beklagte habe Hinweise des Herstellers nicht ungeprüft weitergeben dürfen. Die Beklagte habe dem Auftraggeber ein untaugliches und damit mangelhaftes Material empfohlen und dafür auch noch einen zusätzlichen Vergütungsanspruch geltend gemacht. Mit der Abgabe eines Nebenangebots über die Ausführung der Absorptionskältemaschine habe die Beklagte auch Planungsaufgaben übernommen. Da der Verursachungsbeitrag des Klägers zu 2) nicht schwerwiegender als der der Beklagten sei, gelte ein hälftiger Haftungsanteil. Daraus ergebe sich ein Zahlungsanspruch für die Klägerin zu 1) in Höhe von 174.055,32 Euro und für den Kläger zu 2) in Höhe von 32.363 Euro.
Dem widersprach die Beklagte. Sie trage an dem zugrundeliegenden Schaden keine Verantwortung, da er auf die fehlerhafte Planungsleistung des Klägers zu 2) zurückzuführen sei. Die Beklagte sei ausschließlich mit der Ausführung entsprechend der Planung des Klägers zu 2) beauftragt gewesen. Sie habe weder ein Nebenangebot abgegeben noch die Verantwortung für die Materialauswahl übernommen. Von der Beklagten könne nicht mehr verlangt werden, als die Bedenken des Herstellers und einen Lösungsvorschlag an den Bauherrn und an den Bauplaner weiterzuleiten. Die Beklagte habe sich auf die Angaben des VdTÜV-Merkblatts verlassen dürfen.
Durch Urteil vom 20.09.2011 hat das Landgericht München I die Beklagte verurteilt, an die Klägerin zu 1) 116.036,88 Euro nebst Zinsen zu bezahlen und an den Kläger zu 2) 22.242 Euro nebst Zinsen je in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 07.06.2011. Im Übrigen hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Entsprechend den Ausführungen des Landgerichts Regensburg im Urteil vom 21.12.2010 hat das Landgericht eine Verantwortung des Klägers zu 2) als Planer und auch der Beklagten als ausführende Firma gesehen. Beiden sei vorzuwerfen, dass eine chemische Analyse des Kesselspeisewassers und des Heizdampfs – die einen Kostenaufwand von etwa 200 Euro verursacht hätte – unterlassen worden sei. Eine solche chemische Analyse hätte die falsche Werkstoffwahl bei den eingebauten Generatorrohren aufgedeckt und verhindert. Der Werkstoffwechsel von Kupfer/Nickel auf Kohlenstoffstahl sei eine auch von der Beklagten veranlasste Fehlentscheidung gewesen.
Dagegen richtet sich die Berufung der Beklagten. Sie beantragt, das angefochtene Urteil teilweise abzuändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
Die Kläger beantragen, die Berufung zurückzuweisen.
Die Streithelfer der Beklagten stellen keinen Antrag.
Im Wesentlichen wiederholen die Parteien ihr tatsächliches und rechtliches Vorbringen erster Instanz.
Auf die Protokolle der Verhandlungen des Oberlandesgerichts vom 22.05.2012 und 01.04.2014 samt Hinweisen, Sachverständigenanhörung und Anordnung der Entscheidung im schriftlichen Verfahren wird Bezug genommen, sowie auf den Beschluss vom 23.05.2014 (Verlängerung der Schriftsatzfrist im schriftlichen Verfahren). Ferner wird Bezug genommen auf den Beschluss vom 22.05.2012 (weitere Hinweise), den Beschluss vom 14.08.2012 (Verwertung der Gutachten aus dem selbständigen Beweisverfahren und Anordnung weiteren Sachverständigenbeweises), das schriftliche Gutachten des Sachverständigen vom 28.02.2013, den Beschluss vom 13.05.2013 (Ablehnung des Befangenheitsantrags gegen den Sachverständigen), den Beschluss vom 14.05.2013 (Anordnung eines Ergänzungsgutachtens) und das Ergänzungsgutachten des Sachverständigen vom 06.11.2013.
Auf die in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze und das angefochtene Urteil vom 20.09.2011 wird zur Sachverhaltsdarstellung ergänzend Bezug genommen.
II.
Die zulässige Berufung hat Erfolg. Auf die zutreffenden tatsächlichen Feststellungen des Ersturteils (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO) wird mit folgender Maßgabe Bezug genommen.
Auf das vorliegende Schuldverhältnis sind die vor dem 01.01.2002 geltenden Gesetze anzuwenden (Artikel 229 § 5 EGBGB).
1.
Das von der Beklagten erbrachte Werk war objektiv mangelhaft, weil es nicht dauerhaft funktionsfähig war, sondern infolge der falschen Materialwahl beim Wechsel von den ursprünglich geplanten Rohren auf die dann eingebauten Rohre nach wenigen Jahren ein Korrosionsschaden auftrat.
Der funktionale Mangelbegriff gilt auch dann, wenn der Unternehmer nicht mit Planungsleistungen beauftragt ist und in der ihm zur Verfügung gestellten Planung die „Vorleistung eines anderen Unternehmers“ liegt (BGHZ 174, 110). Im vorliegenden Fall war die Beklagte nicht mit Planungsleistungen beauftragt, sondern nur mit Leistungen auf Grund eines detaillierten Leistungsverzeichnisses, das auf den Planungen des Klägers zu 2) beruhte. Deshalb kommt es darauf an, ob die Beklagte ihrer Prüfungs- und Hinweispflicht nachgekommen ist und dadurch von der Mängelhaftung freikommt.
2.
Der Bedenkenhinweis der Beklagten vom 14.03.2001 hinsichtlich der Eignung der Kupferrohre war objektiv veranlasst. Denn die vom Hersteller an die Beklagte herangetragenen Bedenken durfte sie infolge der Kooperationspflicht der Bauvertragsparteien ihrem Auftraggeber nicht verschweigen. Vielmehr musste sie diese aus berufener Quelle stammende, ernst zu nehmende Information an den Bauherrn bzw. dessen Planer, den Kläger zu 2), weitergeben und diesen dadurch in die Lage versetzen, die aufgetretene Fragestellung zu prüfen und planerisch zu entscheiden.
Dass der Bedenkenhinweis sich später als inhaltlich unzutreffend herausgestellt hat, ändert daran nichts. Denn auch der unzutreffende Hinweis ermöglichte dem Bauherren eine zutreffende baufachliche Prüfung der aufgeworfenen Frage. Er hätte – planerisch richtig beraten – eine unveränderte Ausführung der Leistung als Ergebnis seiner Prüfung gegenüber der Beklagten anordnen können.
3.
Entgegen der Ansicht der Kläger hat der Beklagte durch Beifügung eines Nachtragsangebots entsprechend der von der Herstellerfirma stammenden Bedenken keine Planungsverantwortung übernommen, sondern dadurch lediglich die Prüfung und Entscheidung des Bauherrn mit weiteren Informationen erleichtert. Denn für einen Bauherrn besteht objektiv ein Interesse an der Kenntnis der möglichen baulichen Umsetzung eines Bedenkenhinweises. Die Beklagte war vertraglich nicht verpflichtet, Planungsleistungen zu erbringen. Demzufolge durfte der Bauherr den ausdrücklich nur weitergereichten Bedenkenhinweis der Herstellerfirma, ergänzt durch ein Nachtragsangebot, nicht so verstehen, dass die Beklagte Planungsverantwortung übernehmen wollte. Die Beklagte hat auch nicht darauf gedrängt, einen bestimmten Werkstoff zu verwenden (vgl. BGH BauR 2005, 1314). Vielmehr wollte sie nach Überzeugung des Senats eine fachlich fundierte, eigenverantwortliche planerische Prüfung des Bauherren erreichen (Schlusssatz des Schreibens Anlage K 1). Darauf hat der Senat bereits in der Verhandlung vom 22.05.2012 hingewiesen.
4.
Diese planerische Prüfung hat der Bauherr durch den Kläger zu 2) vorgenommen und hat seine Entscheidung durch die Freigabe des Nachtragsangebots vom 11.06.2001 der Beklagten bekannt gegeben (Anlage K 1 am Ende). Entgegen der im Beschluss vom 22.05.2012 geäußerten Rechtsansicht des Senats bestand keine erneute Pflicht der Beklagten, gegen die Freigabe vom 11.06.2001 Bedenken anzumelden.
Dazu würde etwa dann Anlass bestanden haben, wenn der Bauherr offensichtlich die Hinweise vom 14.03.2001 nicht richtig verstanden hätte oder wenn er eine offensichtlich falsche Entscheidung getroffen hätte. Aus Sicht der Beklagten lag beides nicht vor, so dass sie keinen Anfangsverdacht gegen die Anordnung vom 11.06.2001 haben mußte (vgl. Kapellmann/Messerschmidt/Merkens, VOB Teile A und B, 4. Aufl. 2013, § 4 VOB/B Rdnr. 71).
Aus den schriftlichen Gutachten des Sachverständigen Dr. V… und aus seiner Anhörung am 01.04.2014 folgt nichts anderes. Der Sachverständige betonte bei seiner Anhörung, ein ausführendes Unternehmen habe „zur eigenen Absicherung schon die Pflicht, chemische Analysen vorzunehmen auch wenn eine Fachplanung vorliegt“. Aus rechtlicher Sicht konnte der Senat dem nicht folgen. Denn die Nachprüfung einer ausdrücklichen Planungsfestlegung, die vom Bauherrn auf Grund nochmaliger fachplanerischer Prüfung des Themas getroffen wurde, setzt einen Anfangsverdacht gegen deren Richtigkeit voraus, den die Beklagte hier nicht haben mußte. Dies gilt auch, wenn die chemische Analyse nur geringe Kosten verursacht hätte.
Da die Beklagte vertraglich keine Planungspflichten übernommen hatte, mußte sie nicht allgemein und ohne jeden Anfangsverdacht durch eigene Planungsüberlegungen und Untersuchungen die Planung des Bauherrn nachprüfen. Angesichts der technischen Komplexität der Bauaufgabe wäre in Konsequenz der Ansicht des Sachverständigen nicht nur die Nachprüfung dieses einen – vorliegend technisch entscheidend gewordenen – Aspekts notwendig gewesen, sondern auch die Nachprüfung vieler weiterer Aspekte, die vorliegend nicht problematisch geworden sind. Das würde nach Überzeugung des Senats über die zu fordernde Prüfungs- und Hinweispflicht eines ausführenden Unternehmens hinausgehen.
5.
Da somit die Beklagte die sie treffenden Prüfungs- und Hinweispflichten erfüllt hat, kommt sie von der Mängelhaftung frei, haftet nicht als Gesamtschuldnerin gegenüber dem Bauherrn und schuldet den Klägern keinen Gesamtschuldnerausgleich. Demzufolge hat die Berufung Erfolg und ist die Klage ganz abzuweisen.
III.
Kosten, vorläufige Vollstreckbarkeit: §§ 91, 100, 101, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen nach § 543 ZPO nicht vorliegen. Die Sache hat keine über den Einzelfall hinausreichende Bedeutung.
Streitwert: §§ 63 Abs. 2, 47, 48 GKG.