OLG Celle – Az.: 5 U 146/15 – Urteil vom 25.10.2018
Die Berufung des beklagten Landes gegen das am 5. Oktober 2015 verkündete Urteil der 12. Zivilkammer/Einzelrichterin des Landgerichts Hannover wird zurückgewiesen.
Dem beklagten Land fallen die Kosten des Berufungsverfahrens zur Last. Das gilt nicht für die außergerichtlichen Auslagen der Streithelferin; diese trägt die Streithelferin selbst.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das beklagte Land kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Klägerin begehrt von dem beklagten Land (nachfolgend: Beklagte) restlichen Werklohn.
Die Beklagte beabsichtigte im Jahr 2011, die Bühnentechnik für das S. C. zu erneuern. Nach der Aufhebung zweier vorangegangener Ausschreibungen, an denen auch die Klägerin teilnahm, erteilte die Beklagte der Klägerin am 21. September 2011 (Anlage K5) den Auftrag auf der Grundlage der Leistungsbeschreibung (Anlage K4) und des Angebotes vom 29. Juli 2011 (Anlage K2).
Die Parteien streiten im Wesentlichen darum, ob das Angebot der Klägerin die Anforderungen der Leistungsbeschreibung erfüllte, insbesondere, ob die zum Einsatz kommenden Anlagen, Anlagenteile und Betriebsmittel „bereits in die Technik eingeführt“ waren (vergleiche Leistungsbeschreibung der Beklagten, Anlage K4, Seite 21) und ob sie sich „in der Praxis bewährt“ hatten. Nach der Leistungsbeschreibung sollten nur Serienprodukte zum Einsatz kommen (aaO, Seite 23), was durch eine Herstellerbestätigung nachzuweisen war. Es sollten „Standard-Industriekomponenten“ verwandt werden, die hinsichtlich ihrer Zuverlässigkeit praxiserprobt waren (aaO). Es war mindestens ein Referenzobjekt zu benennen, bei dem eine entsprechende Lösung bereits realisiert worden war (aaO, Seite 130). Der Nachweis der Zertifizierung der angebotenen Anlage war mit dem Angebot einzureichen (aaO, Seite 129).
Die Klägerin ist der Auffassung, ihre Anlage erfülle die Anforderungen, weil es sich um eine Weiterentwicklung eines Serienprodukts der Firma B. handele. Einer ihrer Geschäftsführer habe jahrelang bei der Firma B. mitgearbeitet. Die Beklagte sah sich als „Versuchskaninchen“ missbraucht.
Ob die Klägerin mit dem Angebot, auf das sie den Auftrag erhielt, ein Zertifikat einreichte, ist zwischen den Parteien streitig. Ein Referenzobjekt benannte sie nicht. Vor dem Vertragsschluss teilte die Klägerin am 23. August 2011 (Anlage K 16) mit, sie kaufe für die Herstellung der Bühnentechnik nur SIL3-Baugruppen zu (SicherheitsIntegritätsLevel) wie Achs-Controller und Hauptrechner. Die komplette Planung der Anlage sowie Fertigung und Montage erfolge im eigenen Haus.
Weitere Angebote für die Erneuerung der Bühnentechnik in C. lagen vor von der T. GmbH (…) und der B. V. GmbH. Das Angebot der letztgenannten Firma schloss die Beklagte aus, das Angebot der T. GmbH lag um rund 50.000 € höher als der Vertragspreis mit der Klägerin.
Die Beklagte beanstandete mit Schreiben vom 14. August 2012 (Anlage K 15), montierte Achsrechner seien weder eine zugekaufte SIL3-Baugruppe, noch liege ein Zertifikat dafür vor. Die Klägerin legte der Beklagten daraufhin das Zertifikat des TÜV … vom 12. August 2012 vor (Anlage K 17). Der TÜV … wies mit E-Mail vom 21. August 2012 (Anlage B9) darauf hin, ein Zertifikat werde üblicherweise erst nach einem Integrationstest in einer bestehenden Anlage ausgestellt. Bislang sei der geprüfte Drive-Controller lediglich unter Laborbedingungen an zwei Winden erfolgreich geprüft.
Am 25. September 2012 verweigerte die Beklagte die Abnahme, weil die Achsrechner nicht dem Vertrag entsprächen, der Integrationstest noch nicht stattgefunden habe und die Steuerung nicht vertragskonform sei (Anlagen K8, K9).
Am 28. September 2012 (Anlage K 11) erklärte die Beklagte die Teilkündigung hinsichtlich der Steuerung. Am 8. Oktober 2012 (Anlage K 12) entzog die Beklagte der Klägerin den gesamten Auftrag, weil gerügte Mängel trotz Fristsetzung und Nachfristsetzung nicht beseitigt seien. Die Beklagte ließ die Arbeiten von der Firma B. fertigstellen, die bereits vor Ort war. Weil die Arbeiten in der Spielpause fertiggestellt werden sollten und eine Eröffnung mit dem damaligen Ministerpräsidenten von Niedersachsen, …, fest geplant und in den Medien angekündigt war, bestand Zeitdruck.
Die Klägerin bot der Beklagten mit Schreiben vom 11. Oktober 2012 (Anlage K 19) an, eine Bürgschaft im Gegenzug zur Zahlung der Rechnung vom 30. August 2012 über 229.571,58 € zu stellen, die Beklagte könne die Anlage einige Monate benutzen; bei Auftreten von Mängeln werde die Klägerin sie austauschen. Darauf reagierte die Beklagte nicht.
Nach Schlussrechnungen (30. Oktober 2012, Anlage K 13 und 12. November 2012, Anlage K 20) fand im Laufe des Rechtsstreits am 26. September 2013 ein gemeinsamer Aufmaßtermin statt, worauf die Klägerin am 19. November 2013 eine weitere Schlussrechnung sowie eine Korrekturrechnung erstellte (Anlagen B 25, 26). Danach besteht Streit hinsichtlich der Abrechnung im Wesentlichen über die Frage, wie die 29 Achs-Rechner abzurechnen sind. Die Klägerin erteilte wegen ausgebauter Komponenten eine Gutschrift über 79.740,97 € (Anlage K 24). Diese bezog sich unter anderem auf 29 Achs-Rechner, für die die Klägerin der Beklagten 700 € netto je Stück gutschrieb. Hinsichtlich der Gutschrift haben die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt.
Die Beklagte hat sich Gegenforderungen wegen Mehraufwandes für die Fertigstellung und wegen Mangelbeseitigung berühmt. Wegen der Einzelheiten wird auf das angefochtene Urteil (Blatt 297 ff.) Bezug genommen.
Nach Teil-Rücknahme und Teilerledigung hat die Klägerin in 1. Instanz zuletzt beantragt,
1. das beklagte Land zu verurteilen, an sie 161.130,52 € nebst 8 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 28. September 2012 zu bezahlen.
2. das beklagte Land zu verurteilen, an sie vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 2.534,20 € nebst 8 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 28. September 2012 zu bezahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, die Klägerin habe die Steuerungstechnik nicht vertragsgemäß erbracht. Sie sei deshalb zur Kündigung berechtigt gewesen, dadurch sei ihr Mehraufwand entstanden. Sie hat behauptet, der Marktwert für die ausgetauschten Rechner belaufe sich auf 1.900 € und hat gemeint, die Klägerin müsse sich daher 1.500 € je Rechner anrechnen lassen.
Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens und dessen mündlicher Erläuterung. Wegen des Ergebnisses wird auf das Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. Z. vom 26. März 2015 (Aktendeckel) sowie das Sitzungsprotokoll vom 16. September 2015 (Blatt 282 ff.) Bezug genommen.
Das Landgericht hat der Klägerin in der Hauptsache sodann einen restlichen Werklohn in Höhe von 157.290,44 € zugesprochen; der Beklagten stehe kein Schadensersatzanspruch zu, weil die Leistung der Klägerin nicht mangelhaft gewesen sei; die Beklagte habe daher nicht berechtigterweise fristlos gekündigt. Wegen der Einzelheiten wird auf das angefochtene Urteil (Blatt 297 ff.) Bezug genommen.
Dagegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung, mit der sie ihren Klagabweisungsantrag weiterverfolgt.
Sie meint, die Klage sei unschlüssig, weil der Streitgegenstand nicht konkret bestimmt sei. Es sei nämlich wegen der unterschiedlichen Schlussrechnungen nicht klar, wie sich die Klageforderung zusammensetze. Das Landgericht habe mangels entsprechender Darlegungen der Klägerin nicht einfach auf eine frühere Schlussrechnung der Klägerin zurückgreifen dürfen (Anlage K 25), nachdem sich bereits beide Parteien auf eine zeitlich spätere Schlussrechnung bezogen hätten.
Die Beweisaufnahme des Landgerichts sei verfahrensfehlerhaft gewesen. Der Sachverständige habe nämlich in seinem schriftlichen Gutachten die Eignung der Komponenten für den Vertragszweck aus mehreren Gründen verneint. Das vorgelegte Zertifikat des TÜV … beziehe sich nicht – wie erforderlich – auf die Komponente innerhalb einer bestehenden Gesamtanlage. Auf seine spontane mündliche Äußerung, das Zertifikat sei ausreichend, hätte das Landgericht seine Entscheidung nicht stützen dürfen. Es bestünden zudem Zweifel an der Sachkunde des Sachverständigen.
Ein Zertifikat sei nur hinreichend, wenn es auf einem Echtbetrieb beruhe. Die „interessengerechte Auslegung und Abwägung“, die das Landgericht durchgeführt habe, berücksichtige gerade nicht hinreichend die Interessen der Beklagten. Da die Klägerin mit dem Angebot ein Zertifikat des TÜV … vom 9. April 2004 vorgelegt habe, sei es für die Beklagte bei Vertragsschluss nicht erkennbar gewesen, dass die geforderte Zertifizierung nicht vorliege.
Das Urteil sei auch deshalb fehlerhaft, weil das Landgericht die weitergehende Aufrechnung der Beklagten wegen der Kosten der Mangelbeseitigung (provisorische Abstützung und Absicherung des Maschinenrahmens) nicht berücksichtigt habe.
Am 17. Dezember 2013 seien weitere 14.239,52 € gezahlt worden. Es handele sich isoliert betrachtet um Minderkosten für einige Positionen. Diese seien ausgezahlt worden, wie „erst jetzt“ (Schriftsatz vom 23. Juni 2016, Seite 3 = Blatt 445) festgestellt worden sei. Prozessual seien die Mehrkosten saldiert um den Betrag der Minderkosten im vorliegenden Rechtsstreit geltend gemacht worden (siehe Aufstellung Blatt 124). Aus Gründen der Übersicht würden diese 14.239,52 € als weitere Abschlagszahlung behandelt und der Klägerin die Minderleistungen im Rahmen der Sanierung gutgeschrieben. Insgesamt macht die Beklagte in zweiter Instanz noch Mehrkosten nach Teilkündigung von 44.139,41 € und Mängelbeseitigungskosten mit 56.496,34 €.
Die Beklagte beantragt, unter Abänderung des angefochtenen Urteils des Landgerichts Hannover die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hatte im Berufungsverfahren der I. … mbH, B., den Streit verkündet. Diese ist dem Rechtsstreit auf Seiten der Beklagten beigetreten. Sie meint, es handele sich um ein unzulässiges Teilurteil im Sinne von § 301 ZPO, weil sich das Landgericht mit Mängelbeseitigungskosten in Höhe von knapp 32.000 €, die mit der Steuerungsanlage nicht in Zusammenhang stünden, nicht befasst habe.
Für die Frage, ob die Leistung der Klägerin mangelhaft sei, komme es entscheidend auf die vertragliche Vereinbarung an. Danach seien die von der Klägerin verwandten Komponenten nicht vertragsgerecht. Weiterentwicklungen von Produkten bedeuteten nicht zwangsläufig deren Verbesserung.
Die Streithelferin beantragt, unter Abänderung des angefochtenen Urteils des Landgerichts Hannover die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie meint, die Klageforderung sei hinreichend berechenbar. Die Parteien hätten übereinstimmend einen Ausgangsbetrag von 929.026,25 € zu Grunde gelegt. Die Abschlagszahlungen beliefen sich auf 766.199,38 €. Von den verbleibenden 162.826,87 € habe die Beklagte zuletzt nur noch 161.130,52 € eingeklagt. Da die Beklagte am 8. Oktober 2014 einen Betrag von 902.152,26 € anerkannt habe, sei lediglich ein Rechnungsbetrag von 26.873,99 € streitig. Diese Differenz beruhe ausschließlich auf der Frage, in welcher Höhe eine Gutschrift über die zurückgegebenen Achsrechner (zuletzt unstreitig: 28 Stück) zu erteilen gewesen sei. Die Klägerin habe aufgrund ihrer Urkalkulation lediglich 700 € gutschreiben wollen, die Beklagte einen Stückpreis von 3.926,96 €.
Das fragliche Zertifikat (Anlage K 17) sei erst nach einem Integrationstest in einer bestehenden Anlage erstellt worden, was sich aus einer weiteren Stellungnahme des TÜV … vom 24. August 2012 (K 36, Blatt 401ff.) ergebe. Darin heiße es nämlich, dass der Controller alle erforderlichen Prüfungen durchlaufen und nach einem Integrationstest in W. für den Einsatz im bühnentechnischen Bereich freigegeben sei. Dementsprechend habe der gerichtlich beauftragte Sachverständige dann eben sehr schnell feststellen können, dass das erforderliche Zertifikat – entgegen seiner ursprünglichen Annahme – vorgelegen habe. Die Klägerin habe – entgegen der Behauptung der Beklagten – das Zertifikat für das B.-System nicht im Rahmen des streitgegenständlichen Vertragsschlusses vorgelegt. Nach der zweimaligen Aufhebung der Ausschreibung sei der Auftrag im Rahmen einer freihändigen Vergabe erteilt worden, wobei die Klägerin keine Unterlagen mehr vorgelegt habe.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens des Dipl.-Ing. (FH) L. H. nebst mündlicher Erläuterung. Wegen des Ergebnisses wird auf das schriftliche Gutachten vom 12. März 2018 (Aktendeckel) und das Sitzungsprotokoll vom 19. September 2018 (Blatt 608 ff.) Bezug genommen.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf deren Schriftsätze und Anlagen verwiesen.
II.
Die Berufung der Beklagten ist zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg. Das Landgericht hat die Beklagte zu Recht zur Zahlung des noch geltend gemachten Rest-Werklohnes verurteilt und Gegenansprüche der Beklagten verneint.
1. Berechnung der Klagforderung
a) Die Einwände der Beklagten gegen die Ausführungen des Senats unter Ziffer 2 im Beschluss vom 20. April 2016 (Blatt 436 ff.) sind nicht stichhaltig. Der Senat hatte dort nicht bereits die (gegebenenfalls zuzusprechende) Werklohnforderung berechnet, sondern dargelegt, welches Zahlenwerk er zugrunde gelegt. Danach bleibt es dabei, dass die Parteien von einem Brutto-Schlussrechnungsbetrag von 929.026,25 € ausgehen. Dies ergibt sich aus den Schriftsätzen, auf die die Beklagte im Berufungsverfahren Bezug nimmt vom 1. September 2014 (Blatt 118 ff.) und aus dem „Korrekturschriftsatz“ vom 8. Oktober 2014 (Blatt 129 f.). Die Differenzen beruhen lediglich auf den Achsrechnern.
b) Eine weitere „Zahlung“ in Höhe von 14.239,52 € ist nicht zu berücksichtigen.
aa) Eine „echte“ Zahlung behauptet die Beklagte nicht. Im Schriftsatz der Beklagten vom 5. März 2013, Seite 14 (Blatt 39), heißt es, es seien Abschläge in Höhe von 766.200 € geleistet.
bb) Auch ein sonstiger geldwerter Vorteil ist nicht zu erkennen. Der Schriftsatz der Beklagten vom 23. Juni 2016 nimmt Bezug auf eine Abrechnung von Minderleistungen gemäß Schriftsatz vom 1. September 2014, Seite 7 (Blatt 124), in dem sich der als Zahlung behauptete Betrag von 14.239,42 € als Summe der „Minderkosten B.“ errechnet. Dass der Nachfolgeunternehmer bei manchen Positionen günstiger ist als der ursprüngliche Vertragspartner der Beklagten, ist einer Zahlung nicht gleichzustellen. Hätte die Beklagte die Minderleistungen bei der Berechnung ihrer Gegenrechte nicht berücksichtigt, hätte sie diese – unrichtig – mit einem höheren Betrag geltend gemacht. Ein „Quasi-Zahlbetrag“ ergibt sich daraus nicht. Zudem ist die Klägerin dieser Darstellung der Beklagten im Schriftsatz vom 23. August 2016 (Blatt 493) entgegengetreten. Beweis für ihre Behauptung hat die Beklagte nicht angeboten.
2. Berechnung der Achsrechner
Die Klägerin hatte im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht – insbesondere aus Gründen der Zeitersparnis – unstreitig gestellt, dass nicht 29, sondern nur 28 Achsrechner eingebaut wurden. Dementsprechend ist – wie es das Landgericht getan hat – aus der Werklohnforderung ein Betrag für einen Achsrechner in Höhe von 3.926,96 € netto = 4.673,08 € brutto heraus zu rechnen und der Beklagten 28 wieder ausgebaute Achsrechner gut zu bringen und zwar nach den insoweit plausiblen und fundierten Ausführungen des Sachverständigen Z. mit 700 € netto = 833 € brutto. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts Bezug genommen; der Senat tritt ihnen bei. Dies ungeachtet dessen, dass die Beklagte die Gutschrift-Berechnung des Landgerichts mit ihrer Berufung nicht mehr angegriffen hat.
3. Kündigungsrecht der Beklagten
Die Beklagte hat den Werkvertrag mit der Klägerin nicht berechtigterweise aus wichtigem Grund gekündigt; ihr steht kein Schadensersatzanspruch wegen Fertigstellungsmehrkosten zu.
a) Das Werk der Klägerin entspricht nicht in vollem Umfang den vertraglichen Vorgaben. Das ist zwischen den Parteien letztlich unstreitig. Die von der Klägerin zu errichtende Anlage war keine Serienproduktion, sie war nicht bereits praxiserprobt und konnte noch keine Referenz vorweisen.
b) Der Beklagten ist es im vorliegenden Fall jedoch verwehrt, darauf eine Kündigung des Vertrages aus wichtigem Grund zu stützen. Die Beklagte verhält sich treuwidrig. Nach dem Rechtsgedanken des § 442 Abs. 1 BGB verhält sich die Beklagte widersprüchlich, wenn sie zunächst „sehenden Auges“ eine nicht 100-prozentig vertragsgerechte Anlage bestellt, um dann bei weit fortgeschrittenem Leistungsstand eine Kündigung aus wichtigem Grund hierauf stützen zu wollen:
(1) Der Beklagten war bei der Auftragsvergabe bekannt, dass die Klägerin ein Referenzobjekt nicht benannt hatte. Mit welchem Ergebnis welche Referenzen „abgefragt“ worden sein sollen (Schriftsatz der Streithelferin vom 23. August 2016, Seite 2, Blatt 496), ist nicht vorgetragen. Unstreitig ist zwischen den Parteien, dass es kein Referenzobjekt gibt.
(2) Die Beklagte wusste auch, dass das mit dem Angebot vorzulegende Zertifikat nicht vorlag. Die Beklagte hatte sich sachkundiger Hilfe bedient und war deshalb in der Lage zu erkennen, ob die gegebenenfalls mit vorausgegangenen Angeboten eingereichten Zertifikate sich auf die Anlage der Klägerin bezogen bzw. überhaupt beziehen konnten. Der gerichtlich beauftragte Sachverständige H. hat dazu erklärt, bei der Beauftragung habe sowohl die Angabe des Referenzobjektes als auch die betreffende Zertifizierung gefehlt. Hätte es denn ein Referenzobjekt gegeben, hätte es auch nahe gelegen, das zugehörige Zertifikat mit vorzulegen, weil – so auch der Vortrag der Beklagten – ein Zertifikat üblicherweise erst nach einem Integrationstest in einer bestehenden Anlage ausgestellt wird. Der TÜV … hatte noch vor den Kündigungserklärungen, nämlich am 24. August 2012 (K 36, Blatt 401ff.) die Grundlagen des erteilten Zertifikat klargestellt.
(3) Die von der Klägerin angebotene Anlage entsprach im Übrigen in vollem Umfang den Vorgaben der Beklagten. Der Sachverständige H. war zur Beantwortung der anstehenden Fragen besonders geeignet, weil er einer derjenigen Sachverständigen ist, die die vorgeschriebenen Prüfungen vornehmen; er erstellt auch selbst Leistungsverzeichnisse. Es wies ihn daher besondere Sachkunde aus. Seine Angaben waren gut nachvollziehbar, plausibel und in sich widerspruchsfrei. Keine der Parteien hat Bedenken gegen eine seiner Erläuterungen und Einschätzungen vorgebracht.
(4) Das Leistungsverzeichnis der Beklagten war in Teilen widersprüchlich, weil einerseits das Prüftableau als programmierbare Lösung ausgeführt werden sollte, aber andererseits nur Fahr- und Prüftasten vorgesehen waren, jedoch keine Tastatur/numerisches Eingabefeld, mit dem eine Programmierung hätte durchgeführt werden können (vergleiche Ziffer 13 des schriftlichen Gutachtens, Seite 6).
(5) Die Anforderung unter Ziffer 12, die Kernkomponenten sollten schnell während der Vorstellung ausgetauscht werden können, erfüllt das Produkt der Klägerin besser als das Angebot der T. GmbH, der Mitbewerberin, weil dies bei der Anlage der Klägerin durch einfachen Austausch der SD-Speicherkarte möglich war.
(6) Die Befürchtung der Beklagten, man könne möglicherweise keine Ersatzteile beziehen, wenn es sich nicht um ein Serienprodukt handelt, war unbegründet. Die Anlage der Klägerin besteht zum Beispiel im Zentralrechner aus einem Industrie-PC mit einem Prozessor, während das „Serienprodukt“ der B. eine Eigenentwicklung mit zwei Prozessoren darstellt. Welche einzelnen Komponenten nicht ersetzbar sein sollen, hat sich nicht gezeigt. Das Steuerungssystem ist ein Serienprodukt (Seite 11 des Sachverständigengutachtens).
(7) Die Beklagte hätte keine unzumutbaren Risiken zu tragen, hätte sie das Angebot der Klägerin angenommen, die Anlage noch einige Monate zu behalten und danach ggfls. den Austausch verlangen zu können. Nach den Ausführungen des Sachverständigen ist eine solche Anlage innerhalb von 2-3 Tagen umfassend zu prüfen und der Integrationstest zu machen. Danach ist die Anlage in vollem Umfang funktionstüchtig und erfüllt die an sie gestellten Anforderungen.
Zwar könne es neben den immer bei einer neu installierten Anlage auftretenden Fehlern zusätzlich „Kinderkrankheiten“ der noch nicht anderweitig verbauten Anlage geben. Diese „Kinderkrankheiten“ zeigen sich aber relativ schnell. Bereits nach einigen Monaten seien diese weitestgehend ausgemerzt.
(8) Auf eine etwa drohende Insolvenz der Klägerin kann sich die Beklagte nicht berufen. Es ist weder dargetan noch ersichtlich, dass die Beklagte keine Ersatzteile für die Anlage hätte beziehen können, sollte die Klägerin insolvent werden. Die Anlage und insbesondere die Steuerung bestehen letztlich in ihren Einzelteilen aus Industrie-Produkten. Hinzu kommt, dass die Klägerin der Beklagten eine Bürgschaft von über 220.000 € anbot, was als Sicherheit auskömmlich erscheint. Hinzu kommt, dass die Beklagte die Klägerin mit ihrer unberechtigten Kündigung und der unterlassenen Zahlung gerade in die Gefahr einer Insolvenz brachte, Gedanke des § 162 Abs. 2 BGB.
Da die Beklagte bei Auftragsvergabe wusste, dass die Klägerin die Anforderungen des Leistungsverzeichnisses nicht buchstabengetreu erfüllt, nämlich kein Zertifikat vorlag und insbesondere kein Referenzobjekt benannt wurde, kann die Beklagte sich nicht nach weitgehendem Abschluss der Arbeiten darauf formalistisch berufen, den Vertrag fristlos kündigen und einen Ausbau von Komponenten erzwingen. Innerhalb der vertraglichen Bindung, die zwischen den Parteien bestand, war die Beklagte unter diesen besonderen Umständen verpflichtet, auf das Angebot der Klägerin vom 11. Oktober 2012 (K 19) einzugehen.
Der Klägerin ist anzulasten, die Fragen einer „Weiterentwicklung“ eines Serienprodukts nicht vor Vertragsschluss unmissverständlich offen gelegt zu haben. Da die Beklagte jedoch vor Vertragsschluss bereits um die nicht 100-prozentige Erfüllung der Leistungsvorgaben wusste und ihr eigenes Leistungsverzeichnis in Teilen widersprüchlich war, erscheint es dem Senat nach dem weit fortgeschrittenen Stand der Leistungen der Klägerin im Ergebnis treuwidrig, zu einem so späten Zeitpunkt noch auf einen Umstand abzustellen, den sie bereits vor Vertragsschluss kannte. Die vertragliche Bindung zwischen den Parteien gebot es nach Auffassung des Senats, auf die Interessen der Klägerin insoweit Rücksicht zu nehmen, dass die Beklagte auf das Angebot der Klägerin einging, die Anlage „probezufahren“.
4. Kosten der Mangelbeseitigung
Die Beklagte kann der Rest-Werklohnforderung der Klägerin keine Kosten für die Mangelbeseitigung entgegenhalten.
Der Senat hatte der Beklagten aufgegeben, zu den Mängelbeseitigungskosten (ohne Steuerung) näher vorzutragen, nämlich zu den Voraussetzungen und der Höhe (Beschluss vom 20. April 2016, Blatt 436, 437). Dazu hat sich die Beklagte geäußert (Schriftsatz vom 23. Juni 2016, Seite 10 = Blatt 452 ff.).
Insoweit gilt, dass die Beklagte Aufwendungen für Mangelbeseitigungskosten nur geltend machen kann, soweit diese ohne Rücksicht auf die Steuerung/Achsrechner angefallen sind. Bezüglich dieser Anlagenteile hat nämlich die Beklagte den Werkvertrag nicht berechtigterweise aus wichtigem Grund gekündigt. Sie kann daher solche Kosten nicht ersetzt verlangen, die dadurch angefallen sind, dass die Beklagte die Anlage der Klägerin nicht akzeptierte. Dabei reicht eine Mitursächlichkeit aus. Die Beklagte könnte die Erstattung von Mangelbeseitigungskosten nur hinsichtlich solcher gerügten Mängel verlangen, die damit nicht in Verbindung stehen und die die Klägerin nicht innerhalb der gesetzten Frist beseitigte. Nach dieser Maßgabe entfallen Ansprüche für die folgenden Rechnungen:
(1) Rechnung B. vom 7. Dezember 2012 über 17.802,40 €
(2) Rechnung Firma A. über 8.637,02 €
(3) Rechnung der Firma t. über 2.019,43 €. Hätte die Beklagte den Vertrag mit der Klägerin nicht gekündigt, wären die Prüfkosten in der Pauschale enthalten gewesen (Schriftsatz der Beklagten vom 20. Juni 2016, Seite 17 f. = Blatt 459 f.).
(4) Rechnung B. vom 7. Februar 2013 über 13.815,90 €. Der Maschinenrahmen gehörte nicht zum Leistungssoll der Klägerin (vergleiche Gutachten des erstinstanzlich beauftragten Sachverständigen Z. Seite 5: zusätzliche Maßnahme) und es handelte sich lediglich um eine Interimslösung, was im Ergebnis die Beklagte zu verantworten hat.
(5) Rechnung der Firma B. vom 11. September 2013 über 11.316,90 €. Die Leistungen, die die Firma B. abgerechnet hat (vgl. Anlage 6.2 des Gutachtens Z.), sind nicht den Punkten zuzuordnen, die lediglich deswegen erneut zu bearbeiten waren, weil die Beklagte vertragswidrig die Leistungen der Klägerin ablehnte. Darauf hat der Senat mit Beschluss vom 20. April 2016 hingewiesen (Blatt 436 ff.). Bereits der erstinstanzlich beauftragte Sachverständige hatte festgestellt, dass der größte Teil dieser Arbeiten Kleinigkeiten sind, in erster Linie Justierarbeiten von Seilrollen und Laststangen. Die in Bezug genommene Anlage zur Abnahme (K8, K9) weist gerade nicht ausschließlich Mängel aus, sondern auch Restarbeiten. Hinzu kommt, dass die Beklagte den Werkvertrag am 8. Oktober 2012 kündigte, obwohl sie teilweise Fristen zur Mangelbeseitigung bis zum 10. Oktober 2012 gesetzt hatte. Welche angeblich mangelhaften Leistungen die Klägerin unabhängig von der Zurückweisung der Anlage als nicht „praxiserprobt“ noch hätte nachbessern sollen, ist nicht nachvollziehbar. Um der Beklagten hier noch Gegenansprüche zuzusprechen, wäre es erforderlich gewesen, im einzelnen darzutun, um welche Mängel mit welcher Fristsetzung zur Nachbesserung es sich handelt und dass und warum sie nicht mit den Punkten wie Achsrechnern und Steuerung in Zusammenhang stehen, derentwegen die Beklagte – nach Auffassung des Senates zu Unrecht – den Vertrag kündigte. Es kann daher dahinstehen, dass die abgerechneten Beseitigungskosten nach Auffassung des erstinstanzlich beauftragten Sachverständigen Z. überhöht sind.
(6) Firma B. über 3.848,93 €, von Beklagter fallen gelassen.
(7) Firma B. vom 24. Oktober 2013 über 1.398,25 €, Zusammenhang mit Maschinenrahmen (kein Vertragssoll für die Klägerin), im Übrigen Interimslösung, die wegen der unberechtigten Kündigung der Beklagten erforderlich wurde.
Es verbleibt dem Grunde nach ein Anspruch der Beklagten auf Erstattung von Aufwendungen für die Beschädigungen an der Lackierung des Scherenhubtisches, Firma G. vom 5. November 2013 über 1.506,44 €. Die Klägerin ist dem Vortrag der Beklagten zu einer entsprechenden Einigung (Schriftsatz vom 23. Juni 2016, Seite 22 = Blatt 464) nicht entgegengetreten. Dahinstehen kann, ob die Rechnung über 1.506,44 € überhöht ist, wie dies der erstinstanzlich beauftragte Sachverständige Z. ausführte, und nur 260 € netto angemessen wären. Da die Klägerin von verbleibenden 162.826,87 € (brutto-Schlussrechnungssumme abzüglich Abschlagszahlungen) nur 161.130,52 € geltend machte, verbleibt der von dem Landgericht ausgeurteilte Betrag auch nach Berücksichtigung dieser Rechnung. Es ist nämlich nicht ersichtlich, warum das Landgericht nicht von einem Wert von 162.826,87 € ausging, sondern von der Klagforderung in Höhe von 161.130,52 € die Achsrechner absetzte. Da die Klägerin sich auch in zweiter Instanz auf einen vorhandenen „Überschuss“ zwischen Schlussrechnungsbetrag und Klagforderung berief (Schriftsatz vom 29. Februar 2016, Seite 2 = Blatt 397), ist von einer sogenannten antragslosen Anschlussberufung dergestalt auszugehen, dass ein für die Lackierung des Scherenhubwagens verbleibender Betrag mit diesem „freien Rest“ von 1.696,35 € (162.826,87 € – 161.130,52 €) zu verrechnen ist. Demnach verbleibt auch unter Berücksichtigung von Lackierkosten (Rechnung der Firma G.) kein Betrag, der die landgerichtliche Verurteilung unterschritte.
Die Berufung der Klägerin war daher mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nummer 10, §§ 711,709 Satz 2 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor, § 543 ZPO.