Baurecht: OLG Hamburg stärkt Substanzialitätsanforderungen bei Baumängelrügen
Das vorliegende Urteil OLG Hamburg, Az.: 4 W 15/24, befasst sich mit der teilweise erfolgreichen sofortigen Beschwerde einer Antragstellerin gegen einen vorherigen Beschluss, wobei es um die Anweisung zur Begutachtung bestimmter Baumängel geht und die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens sowie die Anforderungen an die Beweisführung und die Substantiierung von Mängelbehauptungen im Kontext der Symptomtheorie erörtert werden.
Übersicht
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✔ Das Wichtigste in Kürze
- Das OLG Hamburg hat teilweise der sofortigen Beschwerde stattgegeben und einen Teil des vorherigen Beschlusses aufgehoben, während andere Teile bestätigt wurden.
- Die Antragstellerin muss bei einem selbständigen Beweisverfahren die Mängel konkret ausführen und kann sich nicht auf pauschale Behauptungen stützen.
- Die Entscheidung betont die Bedeutung der Symptomtheorie, nach der die Beweislast für das Vorliegen von Mängeln erleichtert sein kann, sofern eine substantiierte Darlegung erfolgt.
- Im Zentrum des Urteils steht die prozessuale Handhabung von Beweisverfahren und die Anforderungen an die Präzision und Substantiierung von Mängelvorwürfen.
- Die Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben, und die Kosten des erfolgreichen Beschwerdeverfahrens sind Teil der Kosten der Hauptsache.
- Die Entscheidung verdeutlicht, dass ein Ermessensspielraum bei der Anordnung der Beweisaufnahme besteht, aber prozessleitende Maßnahmen zumutbar sein müssen.
- Eine pauschale Mängelbehauptung ohne konkrete Qualifizierung genügt nicht den Anforderungen an ein selbständiges Beweisverfahren.
- Das Urteil betont, dass effektiver Rechtsschutz auch die Bereitschaft zu zusätzlicher Mühe im Verfahren erfordert.
Baumängel, Beweisführung und die Symptomtheorie
Baumängel stellen im Baurecht eine besondere Herausforderung dar. Häufig treten Schäden und Mängel an Gebäuden auf, deren Ursachen nicht immer leicht zu erkennen sind. In solchen Fällen spielt die sogenannte Symptomtheorie eine wichtige Rolle. Sie erleichtert es dem Besteller, die Beweislast für das Vorliegen von Mängeln zu erfüllen.
Im Rahmen eines selbständigen Beweisverfahrens haben Betroffene die Möglichkeit, mittels Sachverständigengutachten den Zustand eines Bauwerks untersuchen zu lassen. Allerdings müssen die Mängel konkret ausgeführt und substantiiert dargelegt werden. Pauschale Behauptungen genügen nicht. Das Gericht prüft die Zulässigkeit des Beweisantrags und die Erfordernisse für eine effektive Beweisaufnahme.
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➜ Der Fall im Detail
Der Streit um Baumängel und die Symptomtheorie im OLG Hamburg
Im Fokus des Rechtsstreits standen angeführte Baumängel in einer Hamburger Wohnung, welche von der Antragstellerin gerügt wurden.
Die rechtliche Auseinandersetzung entwickelte sich um die Frage, ob und inwiefern ein selbständiges Beweisverfahren zur Klärung dieser Mängel zulässig und notwendig ist. Die Antragstellerin sah sich mit der Herausforderung konfrontiert, ihre Behauptungen zu den Mängeln ausreichend zu substantiieren, um ein solches Verfahren zu rechtfertigen. Dabei kam die sogenannte Symptomtheorie zur Anwendung, welche es erlaubt, aus sichtbaren Mängelsymptomen auf tieferliegende Defekte zu schließen.
Zentrale Entscheidungen des OLG Hamburg
Das OLG Hamburg setzte sich intensiv mit der sofortigen Beschwerde der Antragstellerin auseinander und entschied, Ziffer 2 des ursprünglichen Beschlusses aufzuheben, wodurch ein Teil der Anforderungen an die Antragstellerin entfiel. Das Gericht betonte die Wichtigkeit eines zielgerichteten Beweisverfahrens, bei dem nicht nur pauschale Mängelbehauptungen, sondern konkrete und substantiierte Angaben erforderlich sind. Die Entscheidung des Gerichts spiegelt die Balance wider, die zwischen dem Bedürfnis nach effektivem Rechtsschutz und der Vermeidung von Ausforschungsbeweisen gefunden werden muss.
Rechtliche Abwägungen und die Rolle der Symptomtheorie
Im Zuge der Urteilsfindung waren mehrere rechtliche Abwägungen von zentraler Bedeutung. Insbesondere wurde die Frage, inwieweit die Symptomtheorie Anwendung finden kann, um ohne direkten Zugang zu den betroffenen Bauteilen eine Beweisaufnahme zu begründen, intensiv diskutiert. Das Gericht unterstrich, dass selbst bei Anwendung der Symptomtheorie eine gewisse Substantiierung der Mängelvorträge erforderlich bleibt. Es wurde klargestellt, dass ein selbständiges Beweisverfahren nicht dazu dienen soll, erstmalig Mängel aufzudecken, sondern bereits bekannte und hinreichend dargelegte Mängel näher zu untersuchen.
Konsequenzen für die Praxis
Die Entscheidung hat weitreichende Konsequenzen für die Praxis der Durchführung selbständiger Beweisverfahren im Baurecht. Sie verdeutlicht, dass Gerichte eine klare und detaillierte Darlegung von Baumängeln verlangen, bevor sie ein Beweisverfahren anordnen. Für Antragsteller bedeutet dies, dass sie ihre Mängelbehauptungen präzise formulieren und soweit möglich konkretisieren müssen, um den Anforderungen der Gerichte zu genügen.
Das Verfahren und seine gerichtlichen Kosten
Ein interessanter Aspekt des Urteils betrifft die Entscheidung über die Gerichtskosten. Das Gericht entschied, dass aufgrund des teilweisen Erfolgs der sofortigen Beschwerde keine Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren erhoben werden. Diese Entscheidung unterstreicht, dass die Kosten eines teilweise erfolgreichen Rechtsmittels als Teil der Kosten der Hauptsache angesehen werden, was für die Praxis bedeutet, dass die finanziellen Risiken eines Rechtsmittels sorgfältig abgewogen werden müssen.
✔ Häufige Fragen – FAQ
Was ist ein selbständiges Beweisverfahren und wann wird es angewendet?
Das selbständige Beweisverfahren ist ein gerichtliches Verfahren im Zivilprozess, das der Sicherung und Feststellung von Beweisen dient, bevor oder während ein Rechtsstreit geführt wird. Es findet insbesondere im Werkvertragsrecht und Baurecht Anwendung, um beispielsweise Baumängel, deren Ursachen und den erforderlichen Aufwand zur Mängelbeseitigung durch einen gerichtlich bestellten Sachverständigen feststellen zu lassen.
Das Verfahren kann auf Antrag einer Partei eingeleitet werden, wenn entweder der Verfahrensgegner zustimmt oder die Gefahr besteht, dass Beweismittel verlorengehen oder deren Benutzung erschwert wird. Ist noch kein Rechtsstreit anhängig, muss die Partei ein rechtliches Interesse an der Beweiserhebung haben, was in der Regel bejaht wird, wenn die Feststellung der Vermeidung eines Rechtsstreits dienen kann.
Das selbständige Beweisverfahren erfüllt mehrere wichtige Funktionen: Es kann eine gütliche Einigung der Parteien fördern, indem strittige Tatsachen durch einen neutralen Sachverständigen geklärt werden. Zudem wird mit Zustellung des Antrags die Verjährung etwaiger Ansprüche gehemmt. Nicht zuletzt dient es auch der Prozessvorbereitung, da die Partei mit dem Gutachten Tatsachen in Erfahrung bringen kann, die für die Erfolgsaussichten eines späteren Rechtsstreits relevant sind.
Das Verfahren endet, sobald die Beweisaufnahme, in der Regel mit Eingang des schriftlichen Sachverständigengutachtens, abgeschlossen ist. Das Gericht kann dem Antragsteller auf Antrag des Gegners dann eine Frist zur Erhebung der Hauptsacheklage setzen. Das Ergebnis des selbständigen Beweisverfahrens steht einer Beweisaufnahme im Hauptsacheprozess gleich.
Wie können im Baurecht Mängel effektiv nachgewiesen werden?
Um Baumängel effektiv nachzuweisen, sind folgende Schritte und Methoden entscheidend:
- Detaillierte Mängeldokumentation: Baumängel müssen möglichst genau beschrieben und nach Lage, Gestalt und Erscheinungsbild konkretisiert werden. Eine rein schlagwortartige Beschreibung reicht in der Regel nicht aus. Fotos sind ein wichtiges Mittel, um den Zustand zu dokumentieren. Bei gravierenden Mängeln empfiehlt sich auch eine private Beweissicherung durch einen Sachverständigen.
- Mängelrüge mit Fristsetzung: Der Auftragnehmer muss schriftlich zur Mängelbeseitigung aufgefordert werden, verbunden mit einer angemessenen Frist. Die Frist muss unmissverständlich sein, am besten mit konkretem Datum. Sie muss dem Unternehmer ausreichend Zeit für Materialbestellung und Ausführung lassen. Lehnt er die Frist ab, muss er mitteilen, welchen Zeitraum er benötigt.
- Beweislastumkehr beachten: Vor der Abnahme muss der Unternehmer die Mangelfreiheit beweisen, danach der Auftraggeber das Vorliegen von Mängeln. Deshalb ist es wichtig, Mängel möglichst frühzeitig und spätestens bei der Abnahme zu rügen und im Abnahmeprotokoll festzuhalten. Für gerügte „Abnahmeprotokollmängel“ bleibt die Beweislast beim Unternehmer bis zur Nachbesserung.
- Selbständiges Beweisverfahren: Zur Beweissicherung und Vorbereitung eines Prozesses kann ein selbständiges Beweisverfahren durchgeführt werden. Dabei werden die Mängel durch einen gerichtlich bestellten Sachverständigen begutachtet. Oft führt dies schon zu einer Einigung.
- Ersatzvornahme ankündigen: Beseitigt der Unternehmer die Mängel nicht fristgerecht, kann der Auftraggeber sie selbst beseitigen (lassen) und Kostenvorschuss verlangen. Dafür muss er die Kosten grob schätzen, z.B. durch Angebote anderer Firmen. Die Ersatzvornahme muss dem Unternehmer nach Fristablauf angedroht werden.
- Beweismittel sichern: Beweise wie Fotos, Protokolle, Schriftwechsel und Gutachten müssen sorgfältig aufbewahrt werden. Wird ein mangelhaftes Werk ohne Beweissicherung beseitigt, kann es zu einer Beweislastumkehr zulasten des Auftraggebers kommen.
Insgesamt zeigt sich, dass eine sorgfältige, lückenlose Dokumentation und die Einhaltung von Fristen und Formalien entscheidend sind, um Mängel erfolgreich durchzusetzen. Im Zweifelsfall sollte anwaltlicher Rat eingeholt werden, um Beweisprobleme und Rechtsverluste zu vermeiden.
Was versteht man unter der Symptomtheorie im Baurecht?
Die Symptomtheorie ist ein wichtiges Prinzip im privaten Baurecht, das die Anforderungen an die Mängelrüge und Darlegung von Mängeln durch den Auftraggeber erleichtert.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) genügt es, wenn der Auftraggeber bei der Mängelrüge die Symptome, also die für ihn erkennbaren Erscheinungen eines Mangels, hinreichend deutlich beschreibt. Er muss dabei nicht die genauen technischen Ursachen des Mangels angeben oder nachweisen.
Diese Erleichterung gilt sowohl für die außergerichtliche Mängelrüge gegenüber dem Auftragnehmer als auch für die schlüssige Darlegung eines Mangels in einem späteren Gerichtsprozess. Der Auftraggeber darf sich darauf beschränken, die mit bloßem Auge sichtbaren Mangelerscheinungen zu schildern, wie z.B. Risse, Feuchtigkeit oder Verformungen.
Hintergrund der Symptomtheorie ist, dass der Auftraggeber als Laie oft nicht in der Lage ist, die wahren Schadensursachen zu erkennen, die sich hinter den sichtbaren Symptomen verbergen. Es wäre unbillig, ihm die Mängelrechte nur deshalb zu versagen, weil er keine bautechnische Expertise besitzt.
Allerdings darf die Symptomtheorie nicht überspannt werden. Der Auftraggeber muss die Mängel zumindest so konkret beschreiben, dass der Auftragnehmer in die Lage versetzt wird, den gerügten Mangel zu identifizieren, zu überprüfen und ggf. zu beseitigen. Pauschale Behauptungen oder Vermutungen „ins Blaue hinein“ reichen nicht aus.
Zudem erstreckt sich eine Mängelrüge immer nur auf die tatsächlich gerügten Symptome und die dahinter stehenden Ursachen, nicht aber auf davon unabhängige Mängel an anderen Stellen des Bauwerks. Jeder Mangel hat insofern sein eigenes „verjährungsrechtliches Schicksal“.
Insgesamt erweist sich die Symptomtheorie als praxisgerechter Kompromiss zwischen den Interessen des Auftraggebers und Auftragnehmers. Sie erleichtert die Durchsetzung von Mängelansprüchen, ohne den Auftragnehmer der Gefahr einer grenzenlosen Haftung auszusetzen.
Welche Rolle spielt die Substantiierung von Mängelbehauptungen?
Die Substantiierung von Mängelbehauptungen spielt eine entscheidende Rolle, wenn es darum geht, Mängelansprüche erfolgreich durchzusetzen oder sich gegen solche zu verteidigen.
Substantiieren bedeutet, einen Sachverhalt so konkret und detailliert darzulegen, dass der Streitgegner und das Gericht nachvollziehen können, was genau geltend gemacht wird und worauf sich die Behauptungen stützen. Pauschale, unsubstantiierte Behauptungen reichen nicht aus, um eine Beweisaufnahme zu rechtfertigen.
Im Rahmen eines selbständigen Beweisverfahrens muss der Antragsteller die Mängel, deren Feststellung er begehrt, hinreichend bestimmt bezeichnen. Er muss angeben, an welchen konkreten Stellen des Bauwerks sich die Mängel befinden, wie sie sich äußern und warum er sie für mangelhaft hält. Nur dann kann der gerichtlich bestellte Sachverständige gezielt untersuchen, ob die behaupteten Mängel tatsächlich vorliegen.
Auch in einem späteren Klageverfahren muss der Auftraggeber die Mängel substantiiert darlegen, um seiner Darlegungslast zu genügen. Zwar wird diese Last durch die Symptomtheorie erleichtert, jedoch muss er die für ihn erkennbaren Mangelerscheinungen so konkret beschreiben, dass der Auftragnehmer substantiiert darauf erwidern kann. Nur dann ist ein Bestreiten mit Nichtwissen nach § 138 Abs. 4 ZPO ausgeschlossen.
Umgekehrt muss auch der Auftragnehmer, wenn er die Mängel bestreitet, substantiiert darlegen, warum die Leistung nicht mangelhaft ist oder die gerügten Mängel nicht vorliegen. Bloßes Bestreiten oder Behauptungen „ins Blaue hinein“ genügen nicht.
Die Substantiierungsanforderungen dienen letztlich der Prozessökonomie und Waffengleichheit. Sie sollen sicherstellen, dass beide Parteien wissen, worüber sie streiten, und die relevanten Tatsachen in den Prozess einführen. Zudem sollen sie ausufernde Beweisaufnahmen und eine Ausforschung des Gegners verhindern.
Allerdings dürfen die Anforderungen auch nicht überspannt werden. Die Parteien müssen nur Tatsachen vortragen, die sie nach der Lebenserfahrung kennen können und die zur Individualisierung des Streitgegenstands erforderlich sind. Keine Partei ist gehalten, dem Gegner sämtliche Informationen zu offenbaren, über die sie verfügt.
Insgesamt zeigt sich, dass die Substantiierung von Mängelbehauptungen eine Gratwanderung ist. Sie muss einerseits konkret genug sein, um eine sachliche Auseinandersetzung und Beweiserhebung zu ermöglichen, andererseits aber auch nicht überzogen werden, um keiner Partei eine Überforderung oder taktische Benachteiligung zuzumuten.
§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils
- § 485 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO (Zivilprozessordnung): Regelt die Möglichkeiten eines selbständigen Beweisverfahrens, insbesondere im Hinblick auf den Zustand von Sachen. Dies ist relevant, da im vorgegebenen Text die Durchführung eines solchen Verfahrens zur Feststellung von Baumängeln thematisiert wird.
- § 492 Abs. 1, 411 Abs. 3 ZPO: Betrifft die Anordnung der mündlichen Anhörung eines Sachverständigen durch das Gericht. Diese Paragraphen sind wichtig für das Verständnis der gerichtlichen Ermessensentscheidungen bezüglich der Beweisaufnahme.
- § 567 Abs. 1 Nr. 2, 490 Abs. 1 ZPO: Erläutern die Zulässigkeit der sofortigen Beschwerde gegen Entscheidungen im Rahmen eines selbständigen Beweisverfahrens. Dies ist zentral für das Verständnis der rechtlichen Handlungsoptionen der Antragstellerin im beschriebenen Fall.
- § 296 ZPO: Definiert, unter welchen Umständen eine Verzögerung des Verfahrens angenommen wird und wie das Gericht damit umgehen soll. Dieser Paragraph ist relevant für das Verständnis, warum das Gericht im beschriebenen Fall bestimmte Entscheidungen getroffen hat, um Verzögerungen zu vermeiden.
- § 356 ZPO: Beschreibt die Verfahrensweise bei nicht möglicher Beweisaufnahme, was im Kontext des nicht möglichen Zugangs zu einer Wohnung und der daraus resultierenden Entscheidung des Gerichts von Bedeutung ist.
- Symptomtheorie im Baurecht: Obwohl keine spezifische Rechtsnorm, ist die Symptomtheorie ein wesentliches juristisches Konzept im Baurecht, das die Beweisführung bei Baumängeln erleichtert. Es erklärt, wie aus sichtbaren Mängeln auf tieferliegende, nicht sofort erkennbare Mängelgeschlossen werden kann und ist entscheidend für das Verständnis der Anforderungen an die Substantiierung von Mängelbehauptungen.
Das vorliegende Urteil
OLG Hamburg – Az.: 4 W 15/24 – Beschluss vom 15.02.2024
1. Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird Ziffer 2 des Beschlusses vom 22.01.2024 aufgehoben. Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Landgerichts Hamburg vom 22.01.2024, Az. 335 OH 13/22, zurückgewiesen.
2. Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben. Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten findet nicht statt.
Gründe:
Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist hinsichtlich der Ziffer 1 des angefochtenen Beschlusses unzulässig (dazu 1.), im Übrigen ist die zulässige Beschwerde in der Sache hinsichtlich der Ziffer 2 des Beschlusses begründet (dazu 2), hinsichtlich der Ziffer 3 hingegen nicht begründet (dazu 3.).
1. Soweit die Antragstellerin sich gegen die in Ziffer 1 des Beschlusses vom 22.01.2024 getroffene Entscheidung des Landgerichts wendet, den Einwendungen der Antragstellerin gegen das schriftliche Gutachten des Sachverständigen K vom 23.11.2023 durch Anordnung der mündlichen Anhörung des Sachverständigen nachzugehen, ist das Rechtsmittel der Antragstellerin bereits unstatthaft und damit unzulässig. Bei der verfahrensleitenden Entscheidung des Landgerichts nach §§ 492 Abs. 1, 411 Abs. 3 ZPO handelt es sich um eine Zwischenentscheidung, die nicht isoliert anfechtbar ist. Zwar kann auch bei derartigen das Verfahren betreffenden Zwischenentscheidungen das Gebot effektiven Rechtsschutzes dazu zwingen, eine isolierte Anfechtung zu ermöglichen, wenn die Zwischenentscheidung für eine Partei einen bleibenden rechtlichen Nachteil zur Folge hat, der sich im weiteren Verfahren nicht mehr oder jedenfalls nicht mehr vollständig beheben lässt (BGH, Beschluss vom 18.12.2008, Az.: I ZB 118/07, NJW-RR 2009, 995, für Anordnungen des Prozessgerichts nach § 404a Abs. 4 ZPO). Derartige Nachteile stehen hier indessen nicht in Rede. Insbesondere erfüllen die Erschwernisse für die Mieter der betroffenen Wohnung nicht die Anforderungen an einen nicht behebbaren Nachteil im Sinne der vorstehenden Rechtsprechung. Nur ergänzend weist das Gericht darauf hin, dass das Rechtsmittel der Antragstellerin im Hinblick auf die unterlassene Anberaumung eines Ortstermins auch in der Sache nicht begründet wäre. Dem Tatrichter steht im Rahmen des § 411 Abs. 3 ZPO ein Ermessen zu, in welcher geeigneten Weise er seiner Pflicht zur Sachaufklärung nachkommt (BGH, Urteil vom 16.04.2013, Az. VI ZR 44/12, NJW 2014, 71). Das Landgericht hat ausführlich, auf den konkreten Fall bezogen und inhaltlich überzeugend dargelegt, welche Ermessenserwägungen Anlass zur Anberaumung eines Termins zur mündlichen Anhörung nach §§ 492 Abs. 1, 411 Abs. 3 Satz 1 ZPO durch das Gericht gegeben haben. Ermessensfehler irgendwelcher Art sind insoweit nicht zu erkennen.
2. Soweit sich die Antragstellerin gegen die Entscheidung des Landgerichts wendet, den Sachverständigen K nicht anzuweisen, die Fenster in der Wohnung in der G-Straße […], die Gegenstand des ursprünglichen Antrags zu 2) gewesen sind, nunmehr doch zu begutachten, handelt es sich der Sache nach um eine Entscheidung über die nicht vollständige Ausführung des ursprünglichen Beweisbeschlusses, gegen welche eine sofortige Beschwerde nach §§ 567 Abs. 1 Nr.2, 490 Abs. 1 ZPO statthaft ist (Kratz, in: Vorwerk/Wolf, 51. Ed., 2023, § 490 ZPO, Rn. 6).
Die vor diesem Hintergrund zulässige Beschwerde der Antragstellerin hat auch in der Sache Erfolg. Das Landgericht ist allerdings im Ansatz völlig zu Recht hinsichtlich des zunächst nicht möglichen Zugangs zu der Wohnung G-Straße […], nach § 356 ZPO vorgegangen, da es sich bei dem nicht möglichen Zugang um ein der Beweisaufnahme entgegenstehenden Umstand handelt, der in die Risikosphäre der Antragstellerin fällt. Zu Recht ist das Landgericht auch davon ausgegangen, dass das Beweismittel nur benutzt werden kann, wenn nach der freien Überzeugung des Gerichts das Verfahren nicht verzögert wird, wobei das Gericht über die Verzögerung nach freier Überzeugung zu entscheiden hat und der Verzögerungsbegriff des § 296 ZPO gilt. Es ist dann aber wie in allen Fällen des § 296 ZPO auch zu bedenken, ob die Verzögerung noch durch zumutbare prozessleitende Maßnahmen aufgefangen werden kann (vgl. Stadler, in: Musielak/Voit, 20. Aufl., 2023, § 356 ZPO, Rn. 8). Das Landgericht durfte es daher nicht bei der abstrakten Überlegung (Seite 8 oben des Beschlusses vom 22.01.2024) belassen, dass die Beweisaufnahme hinsichtlich der Wohnung in der S-Straße bereits weit fortgeschritten war. Vielmehr wäre es hier im Hinblick auf den noch ausstehenden Termin zur mündlichen Anhörung im April 2024 geboten gewesen, dass das Landgericht darauf hinwirkt, dass noch vor diesem Termin zur mündlichen Anhörung ein Ortstermin in der Wohnung in der S-Straße vom Sachverständigen abgehalten wird. Auch wenn in der Vergangenheit die Terminabstimmung schwierig gewesen ist und sowohl das Landgericht als auch der Sachverständige K sich vorbildlich um die Durchführung des Verfahrens bemüht haben, wäre im Sinne der Gewährung effektiven Rechtsschutzes die zusätzliche Mühe erforderlich gewesen. Das Landgericht wird einen entsprechenden Versuch der Begutachtung der Wohnung in der G-Straße noch unternehmen müssen.
3. Soweit sich die Antragstellerin gegen die Ablehnung der sachverständigen Begutachtung weiterer Wohnungen der Antragstellerin durch den Sachverständigen K wendet, handelt es sich um eine teilweise Zurückweisung des Antrags auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens, so dass eine sofortige Beschwerde nach §§ 567 Abs. 1 Nr.2, 490 Abs. 1 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig ist. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist indessen in der Sache nicht begründet. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Landgericht den entsprechenden Antrag der Antragstellerin aus dem Schriftsatz vom 27.11.2023 als unzulässig behandelt.
Die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens ist nach § 485 Abs. 2 Satz 1 Nr.1 ZPO u.a. möglich im Hinblick auf den Zustand einer Sache. Zum Zustand einer Sache gehört u.a. das Vorhandensein von Sachmängeln. Allerdings darf der Antragsteller es nicht dabei belassen, lediglich pauschal das Vorhandensein von Mängeln an einem Bauteil des Gebäudes zu behaupten. Auch unter Beachtung der insoweit zugunsten des Bestellers unter dem Schlagwort der „Symptomtheorie“ eingreifenden Erleichterungen genügt es nicht, wenn der Antragsteller ohne jede weitere Qualifizierung von Mängeln der Sache spricht. Ein Ausforschungsbeweis im Sinne der erstmaligen Bestandsaufnahme ist im selbständigen Beweisverfahren nämlich nicht zu erheben (Schreiber, in: Münchener Kommentar, 6. Aufl., 2020, § 485 ZPO, Rn. 18). Das geforderte minimale Maß an Substantiierung hinsichtlich der gem. § 487 Nr. 2 ZPO zu bezeichnenden Beweistatsachen ist jedenfalls dann nicht erreicht, wenn der Antragsteller in lediglich formelhafter und pauschaler Weise Tatsachenbehauptungen aufstellt, ohne diese zu dem zu Grunde liegenden Sachverhalt in Beziehung zu setzen (BGH, Beschluss vom 10.11.2015, Az. VI ZB 11/15, NJW-RR 2016, 63). Nach diesen Maßstäben ist der Vortrag der Antragstellerin für die weiteren Wohnungen in den Straßen E, S-Straße und H-Straße nicht ausreichend. Auch in der Beschwerdeschrift hat die Antragstellerin lediglich die Individualisierung und Zuordnung der Wohnungen in der H-Straße nachgeholt, aber keinerlei nähere Angaben zu den angeblichen Mängeln der Fenster der Wohnungen gemacht.
4. Die Entscheidung über die Gerichtskosten ergeht nach Ziffer 1812 der Anlage 1 GKG. Ist – wie hier – die Beschwerde nach §§ 567 Abs. 1 Nr.2, 490 Abs. 1 ZPO teilweise erfolgreich, bedarf es auch im Übrigen keiner Kostenentscheidung und keiner Streitwertfestsetzung, denn die Kosten des erfolgreichen Beschwerdeverfahrens sind Kosten der Hauptsache und werden von deren Kostenentscheidung erfasst (OLG Frankfurt a. M., BeckRS 2017, 138271, zitiert nach Kratz, a.a.O., Rn. 6).