Verwaltungsgericht gibt Beschwerde gegen Baugenehmigung statt
Das Verwaltungsgericht hat einer Beschwerde gegen eine Baugenehmigung stattgegeben. Die Antragstellerinnen hatten Einspruch gegen die Baugenehmigung eines barrierefreien Anbaus an ein Reihenhaus eingelegt, da sie der Meinung waren, dass das Vorhaben gegen das Gebot der Rücksichtnahme verstoße und die Hausgruppe verändern würde. Das Gericht gab der Beschwerde statt und erklärte, dass das Vorhaben zu Lasten der Antragstellerinnen gegen das Gebot der Rücksichtnahme verstoße und die Hausgruppe verändern würde. Das Gericht stellte außerdem fest, dass das Vorhaben auch möglicherweise zu nachteiligen Veränderungen der Belichtung und Besonnung der Grundstücke und Gebäude der Antragstellerinnen führen könne. Das Urteil ist unanfechtbar.
OVG Nordrhein-Westfalen – Az.: 10 B 1148/22 – Beschluss vom 23.02.2023
Der angefochtene Beschluss wird mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert.
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragstellerinnen tragen je zur Hälfte die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 7.500 Euro festgesetzt.
Gründe:
Die zulässige Beschwerde ist begründet.
Das Verwaltungsgericht hat den Antrag der Antragstellerinnen, die aufschiebende Wirkung der Klage 4 K 2819/22 gegen die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung der Antragsgegnerin vom 3. Dezember 2021 beziehungsweise 30 Mai 2022 zur Errichtung eines barrierefreien Anbaus an das Reihenhaus auf dem Grundstück H.-Straße 12a in E., Gemarkung T., Flur 6, Flurstück 425 (im Folgenden: Baugenehmigung beziehungsweise Vorhaben) stattgegeben, weil das Vorhaben zu Lasten der Antragstellerinnen gegen das Gebot der Rücksichtnahme verstoße. Es verändere in unzulässiger Weise die aus den Gebäuden H.-Straße 10 bis 14a bestehende Hausgruppe.
Die nach den §§ 80a Abs. 3, 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung fällt zu Gunsten des Beigeladenen aus, weil die ihm erteilte Baugenehmigung nach dem bisherigen Sach- und Streitstand nicht gegen Nachbarschutz vermittelnde Vorschriften des öffentlichen Baurechts verstößt. Bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage spricht Überwiegendes dafür, dass das Vorhaben nicht deswegen zu Lasten der Antragstellerinnen gegen bauplanungsrechtliche Vorschriften verstößt, weil nach seiner Verwirklichung das Wohnhaus des Beigeladenen mit den Wohnhäusern der Antragstellerinnen (H.-Straße 12 und 14) sowie den Gebäuden H.-Straße 10 und 14a keine Hausgruppe mehr bilden würde.
Das Verwaltungsgericht hat die Maßstäbe, anhand derer zu beurteilen ist, ob aneinander gebaute Häuser als Doppelhaus beziehungsweise Hausgruppe zu beurteilen sind, zutreffend dargestellt (vgl. dazu zum Beispiel OVG NRW, Beschlüsse vom 18. Januar 2016 – 10 A 2574/14 -, sowie Urteil vom 19. April 2012 – 10 A 1035/10 -).
Es erscheint danach bereits fraglich, ob die Gebäude H.-Straße 10 bis 14a überhaupt noch eine Hausgruppe bilden oder ob die Erweiterung des Gebäudes H.-Straße 14a ihren Charakter als Hausgruppe bereits aufgehoben hat. Geht man mit dem Verwaltungsgericht davon aus, dass die besagten Gebäude nach wie vor eine Hausgruppe bilden, teilt der Senat nicht dessen Bewertung, dass sie nach der Verwirklichung des Vorhabens nicht mehr in verträglicher und abgestimmter Weise aneinandergebaut wären.
Das Verwaltungsgericht hat darauf abgestellt, dass das Vorhaben durch die rückwärtige Erweiterung des Gebäudes H.-Straße 12a im Erdgeschoss und im ersten Obergeschoss den Eindruck eines einseitigen Grenzanbaus erzeugen werde. Bislang seien die Gebäude der Antragstellerinnen und des Beigeladenen auf einer Länge von 7,95 m aneinander gebaut. Das Vorhaben sehe im Erdgeschoss eine 4,81 m tiefe Erweiterung vor. Die dadurch hervorgerufene Wirkung eines einseitigen Grenzanbaus werde verstärkt durch die Erweiterung im ersten Obergeschoss, die 2,51 m tief sei, und durch die 2,30 m tiefe Dachterrasse, die den Eindruck einer Aussichtsplattform mache. Ob dieser Bewertung bei isolierter Betrachtung der Gebäude der Antragstellerinnen und des Beigeladenen zu folgen ist, bedarf keiner abschließenden Bewertung.
Für die Frage, ob die – unterstellte – bauliche Einheit der Hausgruppe durch das Vorhaben erhalten bleibt, ist auch das Gebäude H.-Straße 14a als Teil dieser Hausgruppe in die Bewertung einzubeziehen. Mit Blick auf die Dimensionen dieses Gebäudes, an dessen Bautiefe sich das Vorhaben orientiert hat und im Obergeschoss sogar deutlich dahinter zurückbleibt, spricht wenig dafür, dass der Charakter der Hausgruppe durch die Verwirklichung des Vorhabens verloren gehen würde. Diese vorläufige Einschätzung nimmt das Ergebnis einer gegebenenfalls auf eine Ortsbesichtigung gestützten erneuten Gesamtbetrachtung im Hauptsacheverfahren nicht vorweg. Eine Realisierung des Vorhabens erfolgt deshalb auf eigenes Risiko der Beigeladenen.
Der Senat geht bei summarischer Prüfung auch nicht davon aus, dass das Vorhaben gegen das Gebot der Rücksichtnahme verstoßen könnte, weil mögliche mit seiner Umsetzung verbundene nachteilige Veränderungen der Belichtung und Besonnung der Grundstücke und der Gebäude der Antragstellerinnen unzumutbar wären. Das Gebot der Rücksichtnahme fordert nicht, dass alle Fenster eines Hauses mit den dahinter liegenden Zimmern beziehungsweise das gesamte Grundstück das ganze Jahr über optimal besonnt oder belichtet werden (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 30. August 2021 – 10 B 511/21 m.w.N.).
Zwar werden die Terrassen und die angrenzenden Zimmer der Gebäude H.-Straße 12 und 14 durch das Vorhaben zu unterschiedlichen Tageszeiten je nach Jahreszeit mehr oder weniger vom Schattenwurf des Gebäudes des Beigeladenen betroffen sein. Dass die zu erwartende Verschlechterung der Belichtungs- und Besonnungssituation aber über das zumutbare Maß hinausgehen könnte, ist weder dargelegt noch unter den konkreten Gegebenheiten, soweit sie sich aus den Akten, aus dem Vorbringen der Antragstellerinnen und aus dem frei zugänglichen Kartenmaterial ergeben, sonst erkennbar. Dabei verkennt der Senat nicht, dass die Auswirkungen des Vorhabens für die Antragstellerin zu 1 nachteiliger sein werden als etwa die Erweiterung des nordöstlich gelegenen Gebäudes H.-Straße 14a, dass zu ihrem Grundstück H.-Straße 14 zudem einen Grenzabstand einhält. Soweit in der angefochtenen Entscheidung davon die Rede ist, dass die geplante Dachterrasse wie eine Aussichtsplattform wirke, geht der Senat davon aus, dass das Vorhaben keine den Antragstellerinnen unzumutbaren Möglichkeiten schafft, von dem Vorhabengrundstück aus auf ihre Grundstück zu blicken.
Gewähren Fenster, Balkone oder Terrassen eines neuen Gebäudes beziehungsweise Gebäudeteils den Blick auf ein Nachbargrundstück, ist deren Ausrichtung, auch wenn der Blick von dort in einen Ruhebereich des Nachbargrundstücks fällt, nicht aus sich heraus rücksichtslos. Es ist in bebauten Gebieten üblich, dass infolge einer solchen Bebauung erstmals oder zusätzlich Einsichtsmöglichkeiten entstehen. Nach ständiger Rechtsprechung der Bausenate des Oberverwaltungsgerichts ist dies regelmäßig hinzunehmen (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 7. Dezember 2020 – 10 A 179/20 m.w.N.).
Anhaltspunkte dafür, dass es hier ausnahmsweise anders sein könnte, sind bei der hier gegebenen baulichen Situation nicht ersichtlich.
Aus den vorstehenden Erwägungen folgt zugleich, dass das Vorhaben auch dann keine Rechte der Antragstellerinnen verletzen kann, wenn der Charakter der fraglichen Gebäude als Hausgruppe bereits durch die Erweiterung des Gebäudes H.-Straße 14a verloren gegangen wäre. Nach Lage der Dinge könnten sich die Antragstellerinnen dann allein auf das Gebot der Rücksichtnahme berufen. Dass das Vorhaben ihnen gegenüber nicht rücksichtslos ist, ergibt sich aus den vorstehenden Ausführungen.
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).