Der Aufstockungsstreit: Eine Bauherrin, die Stadt und das Gericht
In einem lebhaften Kampf zwischen einer ambitionierten Eigentümerin und städtischen Behörden kam es zu einer juristischen Auseinandersetzung, die bis zum Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz eskalierte. Die streitige Frage war die Erteilung einer Baugenehmigung für die geplante Aufstockung eines bestehenden Mehrfamilienhauses in einem dicht bebauten Viertel.
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Übersicht
Der Fall: Plan einer ambitionierten Eigentümerin
Die Eigentümerin eines Mehrfamilienhauses strebte die Aufstockung ihres Gebäudes an und beantragte hierfür eine entsprechende Baugenehmigung. Das Vorhaben sah vor, das bereits existierende Gebäude um ein Vollgeschoss zu erweitern und damit Platz für weitere drei Wohneinheiten zu schaffen. Trotz der sorgfältigen Planung und Ausarbeitung ihres Vorhabens lehnte die Stadt die Erteilung der beantragten Baugenehmigung ab.
Ablehnung der Stadt: Gründe und Gegenargumente
Die Stadt verweigerte die Baugenehmigung mit der Begründung, dass sich das geplante Vorhaben nicht in das städtische Bild einfügen würde. Insbesondere wurde hervorgehoben, dass die geplante Gebäudehöhe und die Anzahl der Stockwerke von der umliegenden Bebauung abweichen würden. Trotz des Widerspruchs der Eigentümerin hielt die Stadt an ihrer Entscheidung fest, was zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung führte.
Das Gerichtsverfahren: Bauherrin gegen Stadt
Das Gerichtsverfahren führte zu einem Urteil, welches die Position der Bauherrin stärkte. Das Verwaltungsgericht gab der Klage der Bauherrin statt und verpflichtete die Stadt, die beantragte Baugenehmigung zu erteilen. Die Begründung des Gerichts berief sich darauf, dass dem Vorhaben keine baurechtlichen oder sonstigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstünden.
Das Oberverwaltungsgericht: Entscheidung und Konsequenzen
Die Stadt und die Beigeladene versuchten, gegen dieses Urteil Berufung einzulegen. Allerdings wurden die Anträge auf Zulassung der Berufung vom Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz abgelehnt. Damit bleibt die Entscheidung des Verwaltungsgerichts bestehen und die Bauherrin kann ihre Pläne zur Aufstockung des Mehrfamilienhauses weiterverfolgen. Die Stadt und die Beigeladene müssen die Kosten des Zulassungsverfahrens, einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Klägerin, zur Hälfte tragen.
Das vorliegende Urteil
Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz – Az.: 1 A 11325/20.OVG – Beschluss vom 11.03.2021
Die Anträge des Beklagten und der Beigeladenen auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Koblenz vom 24. September 2020 werden abgelehnt.
Der Beklagte und die Beigeladene tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Klägerin jeweils zur Hälfte.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Zulassungsverfahren auf 30.000 Euro festgesetzt.
Gründe
Die Anträge des Beklagten und der Beigeladenen auf Zulassung der Berufung gegen das im Tenor bezeichnete Urteil bleiben ohne Erfolg. Keiner der angeführten Zulassungsgründe ist gegeben.
I.
Die Klägerin begehrt die Erteilung einer Baugenehmigung für die Erweiterung (Aufstockung) eines Mehrfamilienhauses.
Sie ist Eigentümerin des Grundstücks Gemarkung C, Flur 9, Parzelle Nr. 936/15 (B… 3). Das innerhalb eines durch vier Straßenzüge begrenzten Karrees liegende Grundstück ist mit einem aus acht Wohneinheiten bestehenden, ca. 10 m breiten sowie etwa 41 m langen, an drei Seiten zwei- und an einer Seite dreigeschossig in Erscheinung tretenden Mehrfamilienhaus bebaut. Die Grundfläche beträgt 412,30 m². Das Gebäude schließt mit einem Flachdach ab. In westlicher Richtung ist es über die Straße „B…“ erschlossen, an die sich auf der gegenüberliegenden Seite die vier- bis sechsgeschossige, mehrere aneinandergebaute Gebäude umfassende Klinik N… sowie Wohnhäuser anschließen. Nördlich verläuft die H…straße, südlich die Straße „A…“ und östlich die W…straße. Die Geländeoberfläche ist zur H…straße hin abschüssig. Ein Bebauungsplan besteht nicht.
Am 29. Juni 2017, zuletzt geändert unter dem 19. August 2017, beantragte die Klägerin die Erteilung einer Baugenehmigung zur Erweiterung (Aufstockung) ihres Wohngebäudes um ein aus weiteren drei Wohneinheiten bestehendes Vollgeschoss mit Flachdach. Ausweislich der Bauantragsunterlagen soll die Grundfläche des geplanten Vollgeschosses 373,16 m² betragen. Das Vorhaben weist eine Grundflächenzahl von 0,4, eine Geschossflächenzahl von 0,8 sowie eine Gebäudehöhe von 10,17 m (mittlere Höhe über der Geländeoberfläche) auf.
Mit Bescheid vom 22. November 2017 lehnte der Beklagte die Erteilung der beantragten Baugenehmigung unter Hinweis auf die Versagung des Einvernehmens der Beigeladenen ab und führte weiter aus, das Vorhaben füge sich nach dem Maß der baulichen Nutzung nicht in die Eigenart der näheren Umgebung ein, da sowohl die geplante Gebäudehöhe als auch die Geschosszahl von der vorhandenen Umgebungsbebauung abweiche. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies der Kreisrechtsausschuss des Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 5. Juli 2019 zurück.
Mit dem angefochtenen Urteil gab das Verwaltungsgericht der daraufhin erhobenen Klage der Klägerin statt und verpflichtete den Beklagten, ihr die beantragte Baugenehmigung zu erteilen. Zur Begründung wurde darauf verwiesen, dem Vorhaben stünden keine baurechtlichen oder sonstigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften im Sinne des § 70 Abs. 1 Satz 1 Landesbauordnung Rheinland-Pfalz – LBauO – entgegen. Dabei beschränke sich die im vereinfachten Genehmigungsverfahren nach § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 LBauO durchzuführende Überprüfung der Behörde nach § 66 Abs. 4 Satz 1 LBauO auf die Klärung der Vereinbarkeit des Vorhabens mit den Bestimmungen des Baugesetzbuchs, örtlichen Bauvorschriften (§ 88 LBauO), § 52 LBauO und den sonstigen öffentlich-rechtlichen Normen.
Davon ausgehend füge sich die Aufstockung nach dem zwischen den Beteiligten allein im Streit stehenden Maß der baulichen Nutzung in die Eigenart der näheren Umgebung im Sinne des § 34 Abs. 1 Baugesetzbuch – BauGB – ein. In den Umgebungsbereich miteinzubeziehen sei jedenfalls das westlich des B… gelegene Gebäude der Klinik N…. Daher könne offenbleiben, ob die entlang der H…straße Nr. 1 bis 11 und der W…straße Nr. 2 bis 18 vorhandene Bebauung sowie das südlich der Einmündung der Straße „A…“ auf dem Grundstück B… Nr. 5 errichtete Wohngebäude ebenfalls maßstabsprägend seien. Darüber hinaus führe die Verwirklichung des Vorhabens im Verhältnis zu dem Nachbargrundstück Nr. 972/3 (B… Nr. 3a) weder zu einer dem bauplanungsrechtlichen Gebot der Rücksichtnahme widersprechenden unzumutbaren Verschattung noch zu einer erdrückenden Wirkung.
II.
Die gegen die erstinstanzliche Entscheidung des Verwaltungsgerichts vorgetragenen Einwände des Beklagten und der Beigeladenen rechtfertigen keine Zulassung der Berufung.
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) sind nicht gegeben.
Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 Baugesetzbuch – BauGB – ist ein Vorhaben, das auf einem Grundstück innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils verwirklicht werden soll, zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. Entspricht die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete der Baunutzungsverordnung, beurteilt sich die Zulässigkeit des Vorhabens seiner Art nach allein danach, ob es nach dieser Verordnung in dem Baugebiet allgemein zulässig wäre, § 34 Abs. 2 BauGB.
Diesen Anforderungen genügt die von der Klägerin beabsichtigte Aufstockung ihres Wohngebäudes.
Entgegen der Rechtsauffassung des Beklagten und der Beigeladenen fügt sich das Vorhaben nach dem Maß der baulichen Nutzung in die nähere Umgebung ein.
Die für die Beurteilung des Einfügens eines Bauvorhabens maßgebliche „nähere Umgebung“ wird dadurch ermittelt, dass in zwei Richtungen, nämlich in Richtung vom Vorhaben auf die Umgebung und in Richtung von der Umgebung auf das Vorhaben geprüft wird, wie weit die jeweiligen Auswirkungen reichen. Dabei ist die nähere Umgebung für jedes der in § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB aufgeführten Bezugsmerkmale gesondert zu ermitteln, weil sie jeweils eine Prägung mit unterschiedlicher Reichweite und Gewichtung entfalten können. Bezüglich des Maßes der baulichen Nutzung – wie auch für die überbaubare Grundstücksfläche – wird die nähere Umgebung aber im Regelfall enger als bei dem Merkmal der Art der baulichen Nutzung zu bemessen sein. Denn die von dem Maß der Nutzung ausgehende Prägung bleibt in ihrer Reichweite im Allgemeinen hinter den von der Art der baulichen Nutzung ausgehenden Wirkungen zurück. Entscheidend bleiben in jedem Fall die tatsächlichen Verhältnisse im Einzelfall (vgl. BVerwG, Beschluss vom 13. Mai 2014 – 4 B 38.12 –, Beschluss vom 16. Juni 2009 – 4 B 50.08 –, jeweils juris).
Bei der Bewertung zu berücksichtigen sind unter anderem auch bestehende Sichtbeziehungen, allerdings nicht in dem Sinn, dass stets eine „freie“ Sicht vom und zum Vorhabengrundstück möglich sein muss. Diese wird regelmäßig durch vorhandene Bebauung zumindest teilweise beeinträchtigt sein (vgl. OVG NRW, Urteil vom 30. November 2010 – 7 A 853/09 –, Urteil vom 6. März 2015 – 7 A 1777/13 –, jeweils juris).
Bei der Bestimmung des Maßstabs, der sich aus der in der so bestimmten näheren Umgebung vorhandenen Bebauung ergibt, ist zunächst alles in den Blick zu nehmen, was in der näheren Umgebung tatsächlich vorhanden ist. Ob es sich hierbei um geplante oder ungeplante Bebauung handelt, ist grundsätzlich ebenso unerheblich wie die Genehmigungslage. Ebenso wenig kommt es auf die Motivlage für die Zulassung einer konkreten Bebauung an und auch nicht darauf, ob es sich um einen aus heutiger Sicht (un)erwünschten Zustand handelt. Diese Bebauung ist in der vorzunehmenden Wertung auf das Wesentliche zurückzuführen, das den charakteristischen Rahmen für das jeweils in den Blick zu nehmende Merkmal bildet. Auszusondern sind hiernach zunächst solche baulichen Anlagen, die von ihrem quantitativen Erscheinungsbild (zum Beispiel Ausdehnung, Höhe, Zahl) nicht die Kraft haben, die Eigenart der näheren Umgebung zu beeinflussen, die der Betrachter also nicht oder nur am Rande wahrnimmt. Des Weiteren sind solche Anlagen unbeachtet zu lassen, die zwar quantitativ die Erheblichkeitsschwelle überschreiten, die ihrer Qualität nach aber völlig aus dem Rahmen der sonst in der näheren Umgebung anzutreffenden Bebauung herausfallen und deshalb als Fremdkörper erscheinen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 6. November 1997 – 4 B 172.97 –, Beschluss vom 28. November 1989 – 4 B 43.89, 4 B 44.89 – jeweils juris). Jenseits dessen ist diese Fremdkörperrechtsprechung jedoch kein Mittel, aus dem Vorhandenen den städtebaulich erwünschten Zustand herauszudestillieren, um allein diesen als Bezugsmaßstab verwenden zu können (siehe zum Ganzen auch OVG NRW, Urteil vom 1. März 2017 – 2 A 46/16 –, juris).
Unter Beachtung dieser Kriterien hat das Verwaltungsgericht als maßgebliche Umgebung für die Bewertung des Einfügens hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung zutreffend den westlich des B… vorhandenen Gebäudekomplex der Klinik N… einbezogen. Entscheidend hierfür war die nicht zu beanstandende Einschätzung der Vorinstanz, dass die Klinik in einer Sichtbeziehung zum Vorhabengrundstück steht und die Straße „B…“ keine trennende Wirkung hat. Dabei erstreckt sich die Prägung des Gebiets östlich des B… durch die N…-Klinik nicht nur, wie der Beklagte meint, auf einen schmalen straßenseitigen Bereich, sondern bis in Höhe der W…straße, da das Krankhaus auch insoweit dominierend in Erscheinung tritt. Aus den gleichen Gründen kann von keiner hier erheblichen Zäsur betreffend desjenigen Teils der H…straße, der Bestandteil des vorgenannten Karrees ist, und der im weiteren westlichen Verlauf bestehenden Bebauung sein, wie der Beklagte mit Rücksicht auf einen flacheren Verlauf dieser Straße ab der Einmündung des B… in Richtung des Klinikareals meint. Bei der zuletzt genannten Verkehrsanlage handelt es sich überdies um eine wenig befahrene Straße mit einer relativ geringen Fahrbreite, die im Hinblick auf die Massivität der gesamten Bebauung optisch zurücktritt und die wechselseitige Prägung der Grundstücke beiderseits des Straßenkörpers nicht unterbricht. Dem B… kommt daher im Gegenteil ein verbindender Charakter zu, zumal er bezogen auf alle an ihm liegenden Grundstücke dazu geeignet ist, deren Anliegerverkehr zu bewältigen.
Anders als der Beklagte und die Beigeladene annehmen, ist die Klinik N… nicht als Fremdkörper aus der rechtlichen Beurteilung herauszunehmen. Das kann nur dann gerechtfertigt sein, wenn eine singuläre Anlage in einem auffälligen Kontrast zur übrigen Bebauung steht und zu dieser die Stellung eines „Unikats“ hat, mithin nach ihrer auch äußerlich erkennbaren Zweckbestimmung in der näheren Umgebung einzigartig ist. Das ist umso eher der Fall, wenn die Umgebung im Übrigen eine besonders homogene Struktur aufweist und die bauliche Anlage wegen ihrer Andersartigkeit und Einzigartigkeit den Charakter ihrer Umgebung letztlich nicht beeinflusst. Dabei können bauliche Anlagen von stark abweichendem Charakter nach Ausdehnung, Zahl und anderen Quantitätsmerkmalen ein solches Gewicht enthalten, dass sie trotz ihrer herausstechenden Andersartigkeit in einer abweichend und verhältnismäßig einheitlich strukturierten Umgebung ihrerseits tonangebend wirken (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Februar 1990 – 4 C 23/86 –, juris).
Die Voraussetzungen für die Einstufung der Klinik N… als Fremdkörper sind hier nicht erfüllt. Aufgrund der Größe des Areals sowie der Anzahl und des Umfangs der dort vorhandenen Baukörper ist der Klinik – an die sich im Übrigen in westlicher Richtung weitere Kliniken und medizinische Einrichtungen einreihen – eine Wirkung beizumessen, die der Umgebung ein bestimmtes Gepräge aufdrückt, statt in dieser einen Fremdkörper darzustellen. Davon abgesehen ist die Umgebungsbebauung durch ein Nebeneinander von unterschiedlichen Nutzungen sowohl von der Art als auch dem Maß und der Bauweise gekennzeichnet, die der Annahme einer Homogenität entgegenstehen. Neben Wohnbauten finden sich in dem Karree zwischen B…, H…straße, W…straße und der Straße „A…“ eine Reihe von gewerblich genutzten Bauten, Gebäude in offener und geschlossener Bauweise, in erster und zweiter Bautiefe sowie eingeschossige und mehrgeschossige bauliche Anlagen.
Dem Vorbringen der Beigeladenen, wonach bereits das Bestandsgebäude der Klägerin als Fremdkörper in der Umgebungsbebauung zu qualifizieren sei und eine Erhöhung um eine Geschossebene sich daher nicht mehr einfüge, kann vor diesem Hintergrund nicht gefolgt werden. Das geplante Vorhaben ist mit der ganz erheblich höheren sowie in ihrer räumlichen Ausdehnung wesentlich komplexeren und damit maßstabbildenden Klinik N… nicht vergleichbar und dieser untergeordnet. Davon abgesehen ist zu berücksichtigen, dass das im Eigentum der Klägerin stehenden Gebäude ebenso wie zahlreiche sonstige Bauten in der Umgebung zu Wohnzwecken genutzt wird, wenn auch in einer intensiveren Form. Eine „Einzigartigkeit“ in dem vorbeschriebenen Sinn lässt sich daraus nicht herleiten. Dafür ist das Wohnhaus, selbst wenn man die Klinik zugunsten der Beigeladenen einmal außer Acht lässt, nicht groß genug.
Zu Unrecht ist der Beklagte ferner der Ansicht, das erstinstanzliche Urteil habe fehlerhaft nicht berücksichtigt, dass das Bauvorhaben der Klägerin im Hinblick auf das nördlich gelegene Gebäude auf der Parzelle Nr. 972/3 (B… 3a) gegen das drittschützende Gebot der Rücksichtnahme verstoße, weil es den Belichtungswinkel von 45 Grad zum nächstgelegenen notwendigen Fenster des vorgenannten Hauses nicht einhalte.
Das Verwaltungsgericht hat hierzu festgestellt, eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots scheide in der Regel und so auch hier aus, weil die landesrechtlichen Abstandsvorschriften eingehalten seien. Auch wenn die Prüfung dieser Bestimmungen nicht Gegenstand des vereinfachten Genehmigungsverfahrens gewesen sei, wahre das Vorhaben der Klägerin die nach § 8 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 6 LBauO vorgeschriebene Abstandsfläche zur Parzelle Nr. 972/3, da es in diesem Bereich den erforderlichen Mindestabstand von 3,75 m mit 4,04 m einhalte. Es werde insofern auf die in den Bauantragsunterlagen der Klägerin vorhandene Berechnung verwiesen, gegen deren Richtigkeit keine Einwände erhoben worden seien. Gründe, die ausnahmsweise – trotz Einhaltung der Abstandsvorschriften – eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots rechtfertigen könnten, seien weder vorgetragen noch ersichtlich. Das Gebot der Rücksichtnahme fordere in innerstädtischen Lagen nicht, dass alle Fenster eines Hauses bzw. das gesamte Grundstück das ganze Jahr über optimal durch Sonneneinstrahlung belichtet würden. In einem bebauten innerstädtischen Wohngebiet wie hier müssten Nachbarn vielmehr hinnehmen, dass Grundstücke innerhalb des durch das Bauplanungs- und das Bauordnungsrecht vorgegebenen Rahmens baulich ausgenutzt würden und es dadurch zu einer Verschattung des eigenen Grundstücks bzw. von Wohnräumen komme.
Einer besonderen Prüfung der Belichtungsverhältnisse bedürfe es kraft ausdrücklicher gesetzlichen Anordnung lediglich in den Fällen des § 8 Abs. 8 und 9 LBauO, die besondere Anforderungen an die Beleuchtung mit Tageslicht stellten. Diese Vorschriften fänden hier jedoch keine Anwendung. § 8 Abs. 8 LBauO erfasse nach Satz 1 nur solche baulichen Anlagen und Einrichtungen, die anders als das geplante Vorhaben keine oberirdischen Gebäude darstellten, während § 8 Abs. 9 Satz 3 LBauO, wie sich aus der Bezugnahme auf Satz 1 ergebe, nur für solche baulichen Anlagen gesonderte Anforderungen an die Belichtung mit Tageslicht stelle, die gegenüber Grundstückgrenzen ohne Abstandsflächen errichtet werden dürften. Da das Vorhaben der Klägerin jedoch nicht innerhalb einer Abstandsfläche errichtet werden soll, ergäben sich auch aus § 8 Abs. 9 Satz 3 LBauO keine weiteren Voraussetzungen im Hinblick auf die Beleuchtung des Grundstücks Nr. 972/3, so dass es nicht darauf ankomme, ob der Belichtungswinkel von 45 Grad vor notwendigen Fenstern des auf dieser Parzelle gelegenen Wohngebäudes durch die geplante Aufstockung unterschritten werde.
Diese Feststellungen stimmen mit der Rechtsprechung sowohl des 1. als auch des 8. Senats des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz überein. Mit seiner gegenteiligen Rechtsauffassung dringt der Beklagte nicht durch.
Auf die von ihm zitierten Entscheidung des 1. Senats (Beschluss vom 20. Januar 2009 – 1 A 10768/08.OVG –) kann sich der Kläger nicht mit Erfolg berufen. Darin wird zur Frage Stellung genommen, ob sich § 8 LBauO der vom dortigen Kläger aufgestellte Grundsatz entnehmen lässt, dass zwischen zwei Gebäuden stets ein Abstand von 0,8 H vorhanden sein müsse. Dies wurde mit dem Hinweis verneint, bereits aus § 8 Abs. 10 Satz 1 Nr. 2 LBauO – also in überwiegend bebauten Gebieten, wenn die Gestaltung des Straßenbildes oder städtebauliche Verhältnisse dies erfordern – folge, dass im Einzelfall geringere Tiefen zugelassen werden könnten, sofern unter anderem die Belichtung mit Tageslicht nicht erheblich beeinträchtigt werde. Namentlich Altstadtbereiche, wie das Umfeld des klägerischen Anwesens, dürften – so die weitere Argumentation – wesentlicher Anwendungsfall der genannten Vorschrift sein.
Zwar heißt es in dem vorgenannten Beschluss sodann, es hätte dem Kläger oblegen, substantiiert darzulegen, dass die Belichtungssituation seines Anwesens durch das genehmigte Vorhaben erheblich beeinträchtigt werde, wofür die Unterschreitung eines Belichtungswinkels von 45 Grad von notwendigen Fenstern gehöre. An dieser Darlegung fehle es hier. Dieser Umstand ist jedoch nicht geeignet, eine abweichende Beurteilung zu rechtfertigen. Insoweit hat der Senat klargestellt (vgl. Urteil vom 18. Januar 2018 – 1 A 11459/17.OVG –, juris), dass auf ein Bauvorhaben zur Errichtung eines oberirdischen Gebäudes, das außerhalb der gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Absatz 6 LBauO zu beachtenden Abstandsflächen errichtet werden soll, die Bestimmungen in § 8 Abs. 8 Satz 2 und Abs. 9 Satz 3 LBauO nicht anwendbar sind. Bei einem solchen Vorhaben gewährleisten die zu beachtenden Abstandsflächen vielmehr die nachbarlichen Interessen an einer ausreichenden Besonnung und einer Verhinderung einer unzumutbaren Verschattung des Nachbargrundstücks. Daraus folgt, dass es einer besonderen Prüfung der Belichtungsverhältnisse kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung lediglich in den dort genannten Fällen – dem gleichgestellt dürfte darüber hinaus die Privilegierung des § 8 Abs. 10 Satz 1 Nr. 2 LBauO sein – bedarf, nicht jedoch, wenn ein Vorhaben, wie hier, nicht innerhalb der zu wahrenden Abstandsflächen liegt, sondern den erforderlichen Abstand einhält.
Mit dieser Betrachtungsweise im Einklang steht auch der im Zulassungsantrag genannte Beschluss des 8. Senats vom 2. Dezember 2003 (8 B 11709/03.OVG), der die Einhaltung des Belichtungswinkels von 45 Grad an einem betroffenen Fenster eines Hauptgebäudes im Verhältnis zu einem hinzutretenden Nebengebäude gemäß § 8 Abs. 9 LBauO, also gerade in einem Fall, in dem eine besondere Prüfung der Beleuchtungs- und Verschattungsverhältnisse gesetzlich angeordnet ist, zum Gegenstand hat.
Gleiches gilt mit Blick auf den Beschluss des 8. Senats vom 24. März 2004 (8 B 11769/03.OVG). Die dort im Rahmen einer Prüfung des Rücksichtnahmegebots erfolgte Feststellung, dass der Belichtungswinkel vor notwendigen Fenstern eines Gebäudes durch ein geplantes benachbartes Hauptgebäude nicht unterschritten werde, erfolgte mit Rücksicht darauf, dass die Bauherren selbst einen entsprechenden Beleg vorgelegt hatten und beinhaltet ein nicht notwendiges zusätzliches Argument zur Verneinung einer erdrückenden Wirkung.
Tragend war insofern zunächst die Aussage, dass die von den dortigen Beigeladenen geplante Bebauung das Anwesen der Antragsteller nicht überragt. Vor allem aber stellte der 8. Senat bei der Frage der Zumutbarkeit einer Belichtungs- und Belüftungsbeeinträchtigung auf die Situationsgebundenheit des Grundstücks der Antragsteller ab. Hierzu führte er aus, dass in einem dicht bebauten historischen Altstadtbereich ein Grundstückseigentümer in vermehrtem Maße seinerseits auf das Interesse von Nachbarn Rücksicht zu nehmen hat, ihr Grundstück in einem der Umgebung angepassten Umfang bebauen zu können. Dies entspricht jedoch, wie gezeigt, gerade auch der Situation im vorliegend streitgegenständlichen Verfahren.
2. Die Rechtssache weist nach alle keine tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) auf.
3. Weiterhin hat die Rechtssache nicht die grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO), die ihr der Beklagte beimisst.
Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache zu, wenn eine Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung des Rechtsstreits erheblich, bislang höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht geklärt und über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus bedeutsam ist. Die Frage muss ferner im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts einer berufungsgerichtlichen Klärung zugänglich sein und dieser Klärung auch bedürfen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 16. November 2010 – 6 B 58.10 –, juris).
Die vom Zulassungsantrag des Beklagten aufgeworfene Frage, „ob zur Einhaltung des bauplanungsrechtlichen Rücksichtnahmegebots die Einhaltung des Belichtungswinkels von 45 Grad zu einem notwendigen Fenster eines Nachbargebäudes auch dann gegeben sein muss, wenn ein Hauptgebäude die erforderliche Abstandsfläche zum betreffenden Nachbargrundstück einhält und von ihm auch keine erdrückende Wirkung auf das Nachbargrundstück ausgeht“, hat die ihr zugeschriebene grundsätzliche Bedeutung nicht. Sie ist bei der Beurteilung von Vorhaben im unbeplanten Innenbereich, wie vorstehend erläutert, unmittelbar aus § 34 BauGB sowie der hierzu ergangenen, vom Verwaltungsgericht zutreffend wiedergegebenen Rechtsprechung herzuleiten und in der Regel zu verneinen.
Ob unter bauplanungsrechtlichen Gesichtspunkten aufgrund atypischer Verhältnisse des Einzelfalls ausnahmsweise eine abweichende Betrachtung angezeigt ist, braucht der Senat nicht zu entscheiden, da derartige Umstände vorliegend nicht dargelegt und davon abgesehen auch nicht ersichtlich sind.
Eine grundsätzliche Bedeutung ergibt sich ferner nicht aus dem Vorbringen, der Senat „widerspreche mit dem o.a. Urteil vom 18. Januar 2018 seiner bisherigen Rechtsprechung (s.o. Beschluss vom 20. Januar 2009), ohne in dem Urteil vom 18. Januar 2018 klargestellt zu haben, dass und aus welchen Gründen er an seiner o.a. Rechtsprechung nicht mehr festhalte.“
Ungeachtet dessen, dass der Beklagte damit keine grundsätzlich bedeutsame Frage formuliert hat, liegt der behauptete Widerspruch aus den dargestellten Erwägungen nicht vor.
4. Die Berufung ist schließlich nicht wegen der von dem Beklagten geltend gemachten Abweichung des angefochtenen Urteils von den Entscheidungen des OVG Rheinland-Pfalz (Beschlüsse vom 20. Januar 2009, 2. Dezember 2003 und vom 24. März 2004, a.a.O.) zuzulassen.
Der Zulassungsgrund der Divergenz setzt voraus, dass das angegriffene verwaltungsgerichtliche Urteil von einer Entscheidung eines in der Vorschrift genannten Gerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Eine Abweichung liegt vor, wenn das Verwaltungsgericht mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz von einem in der Rechtsprechung der genannten Gerichte aufgestellten ebensolchen Rechtssatz in Anwendung derselben oder einer inhaltsgleichen Rechtsvorschrift ausdrücklich oder konkludent abrückt. Zwischen den Gerichten muss ein prinzipieller Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines Rechtsgrundsatzes bestehen. Im Zulassungsantrag muss ein abstrakter Rechtssatz des angefochtenen Urteils herausgearbeitet und einem Rechtssatz des anderen Gerichts unter Darlegung der Abweichung gegenübergestellt werden (vgl. Rudsile in Schoch/Schneider, VwGO, Werkstand: 39. EL Juli 2020, § 124a Rn. 106 f; Pietzner/Bier in Schoch/Schneider, a.a.O., § 133 Rn. 36).
Der Beklagte trägt hierzu vor, dem Beschluss des Senats vom 20. Januar 2009 sei zu entnehmen, dass die Klärung der Frage, ob der Belichtungswinkel von 45 Grad zum Nachbaranwesen unterschritten ist, zum Prüfungsgegenstand im Rahmen des bauplanungsrechtlichen Rücksichtnahmegebots gehöre. Hiervon weiche das erstinstanzliche Urteil ab, indem es der Klage stattgebe, obwohl bei der Genehmigung der Belichtungswinkel zum zulässigerweise errichteten Gebäude B… 3a nachweislich nicht eingehalten werde.
Aus den vom Senat im Einzelnen angeführten Gründen liegt die behauptete Abweichung indes tatsächlich nicht vor.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 154 Abs. 2, 159 VwGO, 100 ZPO.
Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes beruht auf §§ 47, 52 Abs. 1 GKG und entspricht der erstinstanzlichen Festsetzung, gegen die Einwände nicht erhoben worden sind.