Rechtliche Implikationen des OVG Nordrhein-Westfalen im Fall 7 B 808/22
Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen hat in seinem Beschluss vom 13.09.2023 die Beschwerde eines Antragstellers zurückgewiesen. Dieser Fall dreht sich um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes, bei dem das Verwaltungsgericht zuvor eine Ablehnung ausgesprochen hatte. Ein zentrales Element dieses Falles ist die Frage, ob das Rücksichtnahmegebot durch eine mögliche Verschlechterung der Erschließungssituation eines Grundstücks verletzt wird.
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Übersicht
Kernpunkte des Urteils
Die summarische Prüfung des Gerichts ergab, dass die Rechtsverfolgung des Antragstellers in der Hauptsache offene Erfolgsaussichten hat. Es wurde jedoch festgestellt, dass keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass das streitige Vorhaben das Rücksichtnahmegebot verletzt. Dieses Gebot könnte verletzt sein, wenn sich die Erschließungssituation eines Grundstücks durch ein Vorhaben erheblich verschlechtert und die resultierende Gesamtbelastung unzumutbar wird.
In diesem speziellen Fall wird ein im Außenbereich gelegenes Grundstück über einen Wirtschaftsweg erschlossen. Das Gericht kam zu dem Schluss, dass es für den Antragsteller nicht unzumutbar sein sollte, vorausschauend zu fahren und gegebenenfalls zurückzusetzen, um größeren Fahrzeugen auszuweichen. Es wurde auch festgestellt, dass die Anzahl der Verkehrsvorgänge, die ein Zurücksetzen erfordern, durch das streitige Vorhaben nicht unzumutbar ansteigen würde.
Eigentumsrecht und Notwegerecht
Ein weiterer zentraler Punkt des Falles war die Frage des Eigentumsrechts und des Notwegerechts. Der Antragsteller berief sich auf sein Eigentum an bestimmten Wegeparzellen und argumentierte, dass das genehmigte Vorhaben zu einem Notwegerecht führen und somit sein Eigentum verletzen würde. Das Gericht erkannte an, dass eine Baugenehmigung das Eigentumsrecht verletzen kann, wenn sie eine unmittelbare Rechtsverschlechterung in Bezug auf ein Notwegerecht bewirkt.
Es wurde jedoch festgestellt, dass weitere Klärung erforderlich ist, um zu bestimmen, ob eine solche Eigentumsrechtsverletzung in diesem Fall vorliegt. Es wurde auch in Erwägung gezogen, dass der betreffende Wirtschaftsweg ein sogenannter Interessentenweg sein könnte, bei dem die Rechte und Pflichten bei einer Interessentenschaft liegen.
Abschließende Betrachtungen
Das Gericht kam zu dem Schluss, dass die Interessenabwägung nicht die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes rechtfertigt. Es wurde festgestellt, dass es dem Antragsteller nicht unzumutbar ist, den Vollzug der Baugenehmigung bis zur Hauptsacheentscheidung hinzunehmen. Für eventuelle Beschädigungen des Weges durch den Transport von Bodenaushub wurde der Antragsteller auf die Verfolgung zivilrechtlicher Ansprüche verwiesen.
Die Kostenentscheidung und die Streitwertfestsetzung wurden ebenfalls im Beschluss dargelegt. Es wurde festgestellt, dass der Beschluss unanfechtbar ist.
Das vorliegende Urteil
Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen – Az.: 7 B 808/22 – Beschluss vom 13.09.2023
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die erstattungsfähig sind.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 7.500 € festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes im Ergebnis zu Recht abgelehnt. Dabei legt der Senat
– ebenso wie das Verwaltungsgericht – zugunsten des Antragstellers zugrunde, dass § 6 UmwRG der weiteren Sachprüfung nicht entgegensteht.
1. Hiervon ausgehend hat die Rechtsverfolgung des Antragstellers in der Hauptsache nach der im vorliegenden Verfahren allein möglichen summarischen Prüfung offene Erfolgsaussichten.
a) Keine hinreichenden Anhaltspunkte ergeben sich nach dem Inhalt der vorliegenden Akten allerdings dafür, dass das streitige Vorhaben wegen einer Verschlechterung der Erschließungssituation zu Lasten des Antragstellers das Rücksichtnahmegebot verletzt. Ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot kann zwar ausnahmsweise auch dann zu bejahen sein, wenn sich die Erschließungssituation eines Grundstücks durch eine vorhabenbedingte Überlastung einer das Grundstück des Betroffenen erschließenden Straße erheblich verschlechtert und die entstehende Gesamtbelastung infolgedessen bei Abwägung aller Belange unzumutbar ist.
Vgl. dazu etwa Senatsbeschluss vom 2.3.2015 – 7 A 563/14 -, BRS 83 Nr. 86 = BauR 2015, 1469 = juris, Rn. 12 sowie OVG NRW, Urteil vom 15.5.2013 – 2 A 3009/11 -, BRS 81 Nr. 177 = BauR 2013, 1640 = juris, Rn. 47, m. w. N.
Das dürfte hier indes nicht der Fall sein. In einer Situation wie der vorliegenden, in der – wie im Fall des Antragstellers – ein im Außenbereich gelegenes Grundstück über einen Wirtschaftsweg erschlossen wird, der wegen seiner geringen Breite jedenfalls bei größeren Fahrzeugen keinen Begegnungsverkehr zulässt, dürfte es im Regelfall nicht unzumutbar sein, entsprechend vorausschauend zu fahren und gegebenenfalls bis in die nächste Einmündung oder einen anderen Bereich, der ein Ausweichen ermöglicht, zurückzusetzen. Dabei ist im vorliegenden Zusammenhang lediglich die zwischen dem ausgebauten Teil der Straße „Am K.-straße“ und dem Anwesen des Antragstellers liegende Strecke des Wirtschaftsweges in den Blick zu nehmen. Dass es in diesem Bereich an entsprechenden Ausweichmöglichkeiten vollständig fehlt – wie der Antragsteller in der Beschwerdebegründung behauptet – ist anhand der in den Verwaltungsvorgängen befindlichen Luftbilder nicht nachvollziehbar. Dass die Zahl der Verkehrsvorgänge, die ein Zurücksetzen erfordern, infolge des streitigen Vorhabens in unzumutbarem Umfang ansteigen könnte, ist ebenfalls nicht zu ersehen. Ausweislich der Anlage zur Betriebsbeschreibung, die Bestandteil der Baugenehmigung ist, ist nur mit einer begrenzten Zahl von Verkehrsvorgängen zu rechnen, die zudem zu einem nicht unerheblichen Teil in der Nacht bzw. in den frühen Morgenstunden abgewickelt werden.
b) Offen erscheinen die Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung in der Hauptsache jedoch insoweit, als sich der Antragsteller auf das Eigentum an den Wegeparzellen Gemarkung Hiltrup, Flur 35, Flurstücke 765, 766, 767 und 1010 beruft und geltend macht, das genehmigte Vorhaben führe zur Begründung eines Notwegerechts im Sinne von § 917 BGB und verletze deshalb sein Eigentum. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass eine Baugenehmigung das durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Eigentumsrecht verletzen kann, wenn sie infolge Fehlens der Erschließung für den Nachbarn in Richtung auf die Duldung eines Notwegerechts eine unmittelbare Rechtsverschlechterung in der Weise bewirkt, dass er gehindert ist, der Inanspruchnahme des Notwegerechts die Rechtswidrigkeit des Vorhabens entgegenzuhalten.
Vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 26..3.1976 – IV C 7.74 -, BauR 1976, 269 = juris, Rn. 20f., sowie Beschluss vom 28.7.2010 – 4 B 19.10 -, juris, Rn. 3f.
Ob eine solche im Nachbarrechtsstreit relevante Beeinträchtigung des Eigentumsrechts hier vorliegt, wird aber erst nach weiterer Aufklärung zu beurteilen sein. Der Senat sieht zwar keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass der Wirtschaftsweg im fraglichen Bereich ein öffentlicher Weg ist. Nach den erkennbaren Umständen erscheint es aber nicht fernliegend, dass es sich bei dem Weg um einen sogenannten Interessentenweg handelt mit der Folge, dass die sonst dem Eigentümer zustehenden Rechte und Pflichten bei der Interessentenschaft liegen.
Vgl. dazu näher etwa Kodal, Handbuch des Straßenrechts, 8. Aufl., 2021, Seite 285, sowie von Germershausen/Seydel, Wegerecht und Wegeverwaltung in Preußen, 4. Aufl., unveränderter Nachdruck 1953, Seite 559 ff.
Als deren Mitglied kommt nicht nur der Antragsteller, sondern auch der Beigeladene in Betracht, der im weiteren Verlauf des Weges ebenfalls Eigentum an Wegeparzellen besitzt. Infolgedessen ist zunächst die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass dem Beigeladenen infolge eines solchen Rechtsverhältnisses die Nutzung des Weges gestattet sein könnte. Verneinendenfalls bedürfte es weiterer Prüfung, ob und inwieweit der Antragsteller Rechte der Interessentenschaft – ähnlich einer actio pro socio – vorliegend einwenden könnte. Ob eine solche Interessentenschaft hier besteht und welche Rechte und Pflichten sie begründet, ist weder den Verwaltungsvorgängen zu entnehmen, noch gibt der Vortrag des Antragstellers im Klageverfahren zur Entstehungsgeschichte des Weges dazu Aufschluss. Die in diesem Zusammenhang notwendigen Aufklärungsmaßnahmen müssen dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.
2. Die danach vorzunehmende folgenorientierte Interessenabwägung rechtfertigt nicht die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes. Die Folgenabwägung orientiert sich an der grundsätzlichen Wertung des Gesetzgebers, die in § 212 a Abs. 1 BauGB zum Ausdruck kommt; danach hat die Anfechtungsklage eines Dritten gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens keine aufschiebende Wirkung. Dem privaten Aussetzungsinteresse des Antragstellers ist demgegenüber kein höheres Gewicht beizumessen. Nach Maßgabe der zu 1. a) angestellten Erwägungen kann nicht angenommen werden, dass es dem Antragsteller im Hinblick auf eine beeinträchtigte Erschließung seines Grundstücks unzumutbar ist, den Vollzug der Baugenehmigung bis zur Hauptsacheentscheidung hinzunehmen. Hinsichtlich der von ihm auch infolge des Transports von Bodenaushub befürchteten Beschädigungen des Weges ist er für die Dauer des Hauptsacheverfahrens auf die Verfolgung etwaiger zivilrechtlicher Ansprüche zu verweisen, die ihm im Falle eines Notwegerechts nach § 917 BGB zustehen,
vgl. zur Herstellungs- und Unterhaltungspflicht des Duldungsberechtigten etwa Martinek, in: jurisPK-BGB, Stand: 15.3.2023, § 917 Rn.16,
bzw. auf die Rechte einer gegebenenfalls bestehenden Interessentenschaft bei einer unberechtigten oder jedenfalls übermäßigen Benutzung des Weges.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, dass der Antragsteller auch die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen trägt, weil dieser einen Sachantrag gestellt und sich damit selbst einem prozessualen Kostenrisiko ausgesetzt hat (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO).
Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.