VG München – Az.: M 1 K 11.3209 – Urteil vom 04.10.2011
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 6. Juni 2011 zur Errichtung eines Doppelhauses mit je zwei Wohneinheiten und Kfz-Stellplätzen auf den Grundstücken Fl.Nr. …/2 und …/1 Gem. ….
Das Grundstück Fl.Nr. …/2 soll nach den genehmigten Planvorlagen mit einem zwei- bis dreigeschossigen Doppelhaus mit jeweils zwei Wohneinheiten und sechs offenen Stellplätzen (Nr. 6 bis 11) bebaut werden. Es liegt zwischen dem … im Westen und dem Flutkanal im Osten. Östlich des Flutkanals liegt das Klägergrundstück Fl.Nr. …/1 Gem. …, das an seiner Ostseite mit einem Wohngebäude bebaut ist. Diese beiden Grundstücke haben auf eine Länge von ca. 2 m eine gemeinsame Grenze. Auf dem westlich des …s anliegenden Grundstück Fl.Nr. …/1 sollen fünf offene Stellplätze errichtet werden (Nr. 12 bis 16).
Die genannten Grundstücke liegen im Geltungsbereich des Bebauungsplans Steg III in seiner Änderungsfassung vom 21. Juni 2006. Danach ist das klägerische Grundstück beginnend vom Flutkanal auf eine Breite (West-Ost) von ca. 33 m als private Grünfläche ausgewiesen. Im Bereich des Baugrundstücks Fl.Nr. …/2 (Südteil der Parzelle 3) ist ein Bauraum festgesetzt, den das geplante Doppelhaus im Wesentlichen wahrt. Als Gebietsart ist ein Dorfgebiet festgesetzt.
Mit Bescheid vom 6. Juni 2011 genehmigte das Landratsamt … a. Inn (Landratsamt) den am 9. Mai 2008 eingegangenen und in der Folge mehrfach geänderten Bauantrag der Beigeladenen unter Erteilung einer Befreiung wegen Überschreitung der Baugrenze nach Westen um 1,05 m².
Gegen die am 7. Juni 2011 per Einschreiben zur Post gegebene Baugenehmigung hat der Kläger am 8. Juli 2011 Klage beim Verwaltungsgericht München erhoben. Er beantragt:
Die Baugenehmigung vom 6. Juni 2011 wird aufgehoben.
Zur Klagbegründung wird u. a. ausgeführt, die vorgelegten und genehmigten Lagepläne seien falsch gezeichnet, insbesondere seien die Gewässerverläufe unzutreffend wider gegeben. Das Vorhaben nehme keine Rücksicht auf die Allgemeinheit, liege im Hochwasserbereich und verletze die Abstandsflächen. Auf die weiteren umfassenden Ausführungen in den klägerischen Schriftsätzen wird verwiesen.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die erteilte Befreiung sei städtebaulich vertretbar und beeinträchtige keine Nachbarrechte. Der Verlauf des …s werde im Lageplan vom 16. Februar 2011 zutreffend wider gegeben, die südwestliche Gebäudeecke rage nicht in den …. Die angesprochene wasserrechtliche Problematik sei nicht Gegenstand des Baugenehmigungsverfahrens gewesen.
Die Beigeladenen stellen keinen eigenen Sachantrag, schließen sich aber den Ausführungen des Beklagten an.
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Akten des Landratsamts verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist nicht begründet.
Der Kläger wird durch die angefochtene Baugenehmigung nicht in eigenen Rechten verletzt, §113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO hebt das Gericht den angefochtenen Verwaltungsakt auf, soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig ist und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist. Ficht ein Dritter den an einen anderen gerichteten, diesen begünstigenden Verwaltungsakt an, so hängt der Erfolg seiner Klage davon ab, dass die verletzte Norm zumindest auch dem Schutz des Klägers zu dienen bestimmt ist (Schmidt in Eyermann, VwGO, Kommentar, 13. Auflage 2010, § 113 RN 18 m. w. N.; sog. „Schutznormtheorie“). Eine Rechtsverletzung des Klägers durch die angefochtene Baugenehmigung kommt daher nur in Betracht, soweit die darin getroffene Feststellung zur Zulässigkeit des Vorhabens gegen den nachbarschützenden Gehalt der im Baugenehmigungsverfahren geprüften Normen verstößt. Für eine derartige Rechtsverletzung bestehen vorliegend keinerlei Anhaltspunkte.
Soweit der Kläger einwendet, die Bauvorlagen seien unbestimmt, trifft das in Ansehung der klägerischen Nachbarrechte nicht zu. Eine etwaige Unbestimmtheit der Bauvorlagen ist nur dann nachbarrechtlich erheblich, wenn infolge des Mangels nicht beurteilt werden könnte, ob das Vorhaben den geprüften nachbarschützenden Vorschriften entspricht (vgl. BayVGH vom 10.12.2007 -1 BV 04.843 – juris). Ein solcher Fall liegt nicht vor, weil auf Grund der tatsächlichen Verhältnisse schon keine nachbarrelevanten Belange des Klägers ersichtlich sind, die das Vorhaben nachteilig berühren könnte. Insbesondere ist eine Überbauung des …s weder beantragt noch genehmigt worden. Die im Bauvorlageplan bereits dargestellte Verrohrung des …s im Bereich der Stellplatzflächen auf dem Grundstück Fl.Nr. …/1 wurde in einem gesonderten wasserrechtlichen Verfahren zugelassen (vgl. Plangenehmigung vom 26. August 2011) und war nicht Gegenstand des Baugenehmigungsverfahrens. Soweit zunächst unklar war, ob die auf den nördlich gelegenen Grundstücken Fl.Nr. …/7 und …/5 dargestellten Stellplatzanlagen Bestandteil der Baugenehmigung sind, haben der Beklagte und die Beigeladene übereinstimmend klar gestellt, dass die Baugenehmigung nur die offenen Stellplätze auf den im Betreff der Baugenehmigung genannten Grundstücken Fl.Nr. …/2 und …/1 erfasst.
Die planungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens bemisst sich nach § 30 Abs. 1 BauGB, weil es im Geltungsbereich des qualifizierten Bebauungsplans Steg III ausgeführt werden soll.
Hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung entspricht das der Wohnnutzung dienende Vorhaben ohne weiteres der Gebietsfestsetzung als Dorfgebiet. Dorfgebiete dienen auch dem Wohnen; in ihm sind Wohngebäude allgemein zulässig, § 6 Abs. 1 und Abs. 2 BauNVO.
Die nach § 31 Abs. 2 BauGB zugelassene Befreiung wegen Überschreitung des Bauraums nach Westen um 1,05 m² ist nicht zu beanstanden. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hat der Nachbar bei der Erteilung einer Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB von einer nicht nachbarschützenden Festsetzung eines Bebauungsplans keinen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung der Baugenehmigungsbehörde. Unter welchen Voraussetzungen eine Befreiung die Rechte des Nachbarn verletzt, ist nach den Maßstäben zu beantworten, die das Bundesverwaltungsgericht zum drittschützenden Gebot der Rücksichtnahme entwickelt hat (BVerwG v. 8.7.1998 NVwZ-RR 1999, 8). Es ist nicht ersichtlich, dass für die Begrenzung des Bauraums hier drittschützende Erwägungen eine Rolle gespielt hätten. Dass insoweit eine das Rücksichtnahmegebot verletzende Abweichung zu Lasten des Klägers zugelassen worden wäre, ist schon angesichts eines Abstands von über 70 m zwischen der betroffenen Teilfläche des Baugrundstücks zu den bebauten bzw. bebaubaren Flächen des Klägers ausgeschlossen. Der klägerische Einwand, das Vorhaben würde auf dem … errichtet werden, was ggf. zu einer Erhöhung der Überflutungsgefahr auch seines Grundstücks führen könne, ist unbegründet. Eine derartige Überbauung des …s durch das Wohngebäude wurde nicht beantragt und nicht genehmigt.
Ob das Vorhaben im Übrigen den Festsetzungen des Bebauungsplans entspricht, darf offen bleiben. Keiner der klägerseits genannten Punkte wie etwa der geplante Winkel der Häuser zueinander, die Hauseindeckung, das freizuhaltende Sichtdreieck oder die Frage nach der im Bebauungsplan zugelassenen Hausgruppe berührt nachbarschützende Belange. Ein Rücksichtnahmeverstoß zu Lasten des Klägers ist angesichts der tatsächlichen Umstände ausgeschlossen. Insbesondere wird das Vorhaben nach der Stellungnahme des fachkundigen Wasserwirtschaftsamts … nicht im überschwemmungsgefährdeten Bereich errichtet. Diese Auskunft bezieht sich auf eine – den Beteiligten bekannte – Hochwasserberechnung des Ingenieur-Büros-… vom Mai 2000 (vgl. Stellungnahmen des Wasserwirtschaftsamts vom 16. Juli 2008 und vom 1. Dezember 2009).
Da das Vorhaben weder innerhalb des 60 m-Bereichs eines Gewässers dritter Ordnung, für das die Regierung von Oberbayern eine Genehmigungspflicht begründet hat, noch innerhalb eines Überschwemmungsgebiets liegt, bedurfte es keiner Zulassungsentscheidung auf Grundlage des Wasserrechts. Der … und der Flutkanal sind nicht in der Verordnung der Regierung von Oberbayern über die Genehmigungspflicht für Anlagen in oder an Gewässern dritter Ordnung genannt (Art. 59 Satz 1 Nr. 3 BayBO, Art. 20 Abs. 2 und Abs. 5 BayWG, § 36 Satz 1 WHG).
Die klägerseits aufgeworfene Abstandsflächenproblematik besteht aus zwei Gründen nicht. Zum einen fallen in Richtung des klägerischen Grundstücks keine vorhabensbezogenen Abstandsflächen an. Zum andern trifft die Baugenehmigung keine Feststellung darüber, ob das Bauvorhaben mit den landesrechtlichen Abstandsregelungen im Einklang steht, da das Vorhaben im vereinfachten Verfahren nach Art. 59 Satz 1 BayBO genehmigt wurde.
Nach alldem war die Klage mit der sich aus § 154 Abs. 1 VwGO ergebenden Kostenfolge abzuweisen. Da die Beigeladenen keinen eigenen Sachantrag gestellt und sich mithin keinem Kostenrisiko ausgesetzt haben, entspricht es billigem Ermessen, dass sie ihre außergerichtlichen Kosten selbst tragen, § 154 Abs. 3, § 162 Abs. 3 VwGO. Der Ausspruch über die sofortige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.
Beschluss
Der Streitwert wird auf EUR 7.500,– festgesetzt (§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz -GKG-).