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Grenzabstandverletzung durch Bauherrn bei eigenem Abstandsverstoß gegenüber Nachbarn

Nachbarschaftsstreit eskaliert: Bauherr darf trotz Grenzabstandsverletzung bauen, weil Kläger selbst gegen Abstandsregeln verstoßen. Karlsruher Gericht weist Klage ab und betont das „Verbot widersprüchlichen Verhaltens“. Kläger müssen nun auch noch die Prozesskosten tragen.

Das Wichtigste: Kurz & knapp

  • Gegenstand des Urteils ist ein Nachbarschaftsstreit wegen einer dem Nachbarn erteilten Baugenehmigung.
  • Die Kläger beschweren sich über den Bau des Nachbarn, obwohl sie selbst gegen Abstandsregeln verstoßen haben.
  • Der Zusammenhang besteht darin, dass beide Parteien bereits in der Vergangenheit Abstandsverstöße begangen haben.
  • Die Schwierigkeit liegt darin, dass der klagende Bauherr selbst gegen Bauabstandsregelungen verstoßen hat und dennoch gegen die Baugenehmigung des Nachbarn vorgeht.
  • Das Gericht entschied, die Klage abzuweisen.
  • Das Gericht entschied so, weil der Kläger selbst ähnliche Verstöße begangen hat und daher sein Beschwerderecht ins Leere läuft.
  • Die Entscheidung bedeutet, dass ein Bauherr, der selbst Abstandsregeln missachtet, sich nicht erfolgreich gegen die Verstöße seines Nachbarn wehren kann.
  • Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens, was weitere finanzielle Belastungen bedeutet.
  • Das Urteil betont die Notwendigkeit der Einhaltung von Abstandsregelungen, um rechtliche Konflikte zu vermeiden.
  • Das Urteil sendet ein Signal, dass Doppelmoral und Ungerechtigkeit bei der Anwendung von Bauvorschriften nicht toleriert werden.

Bauherr muss trotz eigener Grenzabstandsverletzung nachbarlichen Neubau dulden

Die Grenze zwischen dem Recht auf freie Entfaltung der eigenen Lebensgestaltung und den Rechten des Nachbarn ist oft schmal. Insbesondere beim Bauen kann es zu Konflikten kommen, wenn die eigenen Bauvorhaben die Abstände zu Nachbargrundstücken nicht einhalten. Der Gesetzgeber hat klare Abstandsregelungen geschaffen, um die Interessen aller Beteiligten zu schützen und Konflikte zu vermeiden. Doch was passiert, wenn der Bauherr selbst gegen die Abstandsregeln verstößt und sich dann gleichzeitig über einen Abstandsverstoß durch den Nachbarn beschwert?

In diesem Fall stellt sich die Frage, ob der Bauherr überhaupt das Recht hat, sich über eine Grenzabstandverletzung durch den Nachbarn zu beschweren, wenn er selbst gegen die Abstandsregelungen verstoßen hat. Dieser Sachverhalt ist mit all seinen Facetten komplex und bedarf einer genaueren Betrachtung. Im Folgenden soll ein Gerichtsurteil beleuchtet werden, welches sich mit dieser Thematik auseinandersetzt und wertvolle Hinweise auf die rechtliche Situation in solchen Fällen geben kann.

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Nachbarschaftskonflikte aufgrund von Grenzabstandsverletzungen sind komplex und erfordern fundiertes Fachwissen. Unsere Kanzlei verfügt über langjährige Erfahrung im Baurecht und Nachbarschaftsrecht. Wir analysieren Ihre individuelle Situation, bewerten Ihre rechtlichen Möglichkeiten und entwickeln eine maßgeschneiderte Strategie für Ihren Fall. Kontaktieren Sie uns noch heute für eine unverbindliche Ersteinschätzung Ihres Falles. Wir setzen uns für Ihre Rechte ein!

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Der Fall vor Gericht


Grenzabstandsverletzung bei Neubau führt zu Nachbarschaftsstreit

Der Fall dreht sich um einen Nachbarschaftskonflikt aufgrund von Grenzabstandsverletzungen bei einem Neubauvorhaben. Die Kläger sind Eigentümer eines Grundstücks mit einem Wohnhaus, das direkt an der Straße und der südwestlichen Grundstücksgrenze errichtet wurde. Ihr Nachbar, der Beigeladene, plant auf seinem südlich angrenzenden Grundstück einen Neubau, nachdem er das alte Gebäude abgerissen hat.

Das Problem entstand, als der Beigeladene eine Baugenehmigung für sein neues Wohnhaus erhielt. Dieses soll ebenfalls direkt an der Straße und mit einem seitlichen Abstand zur nordöstlichen Grundstücksgrenze, also zur Grenze des klägerischen Grundstücks, errichtet werden. Die Kläger sehen darin eine Verletzung der baurechtlich vorgeschriebenen Grenzabstände und fechten daher die erteilte Baugenehmigung an.

Die rechtliche Herausforderung in diesem Fall liegt in der Abwägung zwischen den Interessen der Nachbarn und den baurechtlichen Vorschriften. Einerseits haben die Kläger ein berechtigtes Interesse daran, dass die Abstandsregelungen eingehalten werden. Andererseits muss berücksichtigt werden, dass ihr eigenes Haus ebenfalls Grenzabstände verletzt.

Gerichtliche Entscheidung zur Baugenehmigung

Das Verwaltungsgericht Karlsruhe hat in seinem Urteil vom 20.03.2024 die Klagen der Nachbarn abgewiesen. Die Richter sahen keinen Grund, die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung aufzuheben.

In der Urteilsbegründung spielte eine wesentliche Rolle, dass die Kläger selbst gegen Abstandsvorschriften verstoßen. Ihr Wohnhaus wurde grenzständig zur Straße und zum südwestlichen Nachbargrundstück errichtet, was ebenfalls nicht den üblichen Abstandsregelungen entspricht.

Das Gericht argumentierte, dass die Kläger sich nicht auf die Verletzung von Vorschriften berufen können, gegen die sie selbst verstoßen. Dies wird als „Verbot widersprüchlichen Verhaltens“ bezeichnet. Die Richter sahen es als unbillig an, wenn die Kläger einerseits selbst Grenzabstände missachten, andererseits aber vom Nachbarn die strikte Einhaltung dieser Vorschriften verlangen.

Kostenentscheidung und Konsequenzen für die Kläger

Das Gericht entschied, dass die Kläger die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner tragen müssen. Dies bedeutet, dass sie gemeinsam für die gesamten Prozesskosten aufkommen müssen. Eine Ausnahme bilden dabei die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, also des Nachbarn, der die Baugenehmigung erhalten hat. Diese Kosten muss er selbst tragen.

Die Kostenentscheidung stellt eine zusätzliche finanzielle Belastung für die Kläger dar, die neben der Ablehnung ihrer Klage nun auch noch für die Verfahrenskosten aufkommen müssen. Dies unterstreicht die Wichtigkeit, vor Einreichung einer Klage die Erfolgsaussichten sorgfältig zu prüfen.

Auswirkungen auf zukünftige Nachbarschaftskonflikte

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe hat möglicherweise weitreichende Auswirkungen auf ähnliche Fälle in der Zukunft. Es zeigt deutlich, dass Gerichte bei Nachbarschaftskonflikten um Grenzabstände das Verhalten beider Parteien berücksichtigen.

Eigentümer, die selbst gegen Abstandsvorschriften verstoßen, können sich in Zukunft möglicherweise schwerer darauf berufen, wenn Nachbarn ähnliche Verstöße begehen. Dies könnte zu einer ausgewogeneren Betrachtung von Nachbarschaftskonflikten führen und Klagen in solchen Fällen erschweren.

Für Bauherren und Grundstückseigentümer bedeutet dieses Urteil, dass sie bei der Planung von Neubauten oder Umbauten nicht nur die geltenden Vorschriften beachten, sondern auch die Situation der Nachbargrundstücke berücksichtigen sollten. Eine frühzeitige Kommunikation mit den Nachbarn und eine einvernehmliche Lösung können helfen, kostspielige rechtliche Auseinandersetzungen zu vermeiden.

Die Schlüsselerkenntnisse


Das Urteil bekräftigt den Grundsatz des Verbots widersprüchlichen Verhaltens im Nachbarschaftsrecht. Wer selbst gegen Abstandsvorschriften verstößt, kann sich nicht auf deren Verletzung durch Nachbarn berufen. Dies fördert eine ausgewogene Betrachtung von Nachbarschaftskonflikten und unterstreicht die Bedeutung gegenseitiger Rücksichtnahme im Baurecht. Für Grundstückseigentümer wird die Berücksichtigung der Nachbarsituation bei Bauvorhaben sowie eine frühzeitige Kommunikation zur Vermeidung rechtlicher Auseinandersetzungen wichtiger.


Was bedeutet das Urteil für Sie?

Dieses Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe hat weitreichende Bedeutung für alle, die in einen Nachbarschaftsstreit wegen Grenzabständen verwickelt sind oder zukünftig bauen möchten.

Wenn Sie selbst gegen Abstandsregeln verstoßen haben: Das Urteil zeigt, dass Sie sich in einem Streitfall möglicherweise nicht auf die Verletzung von Abstandsregeln durch Ihren Nachbarn berufen können. Dies gilt insbesondere, wenn Ihr eigenes Haus ebenfalls zu nah an der Grundstücksgrenze steht. In solchen Fällen könnte Ihre Klage abgewiesen werden und Sie müssten sogar die Prozesskosten tragen.

Wenn Ihr Nachbar gegen Abstandsregeln verstößt: Auch wenn Ihr Nachbar gegen Abstandsregeln verstößt, heißt das nicht automatisch, dass Sie erfolgreich klagen können. Das Gericht wird auch Ihr eigenes Verhalten prüfen. Haben Sie selbst gegen Abstandsregeln verstoßen, könnte dies Ihre Chancen auf einen erfolgreichen Prozess deutlich verringern.

Wenn Sie neu bauen möchten: Das Urteil unterstreicht, wie wichtig es ist, sich vor Baubeginn über die geltenden Abstandsregeln zu informieren und diese einzuhalten. So vermeiden Sie spätere Konflikte mit Ihren Nachbarn und mögliche rechtliche Auseinandersetzungen.

Fazit: Dieses Urteil zeigt, dass bei Streitigkeiten um Grenzabstände nicht nur das Verhalten des Nachbarn, sondern auch das eigene Verhalten eine entscheidende Rolle spielt. Es lohnt sich daher, frühzeitig das Gespräch mit den Nachbarn zu suchen und gemeinsam eine Lösung zu finden, die für alle Seiten akzeptabel ist.


FAQ – Häufige Fragen

Sie bauen ein neues Haus oder haben Grenzabstandsverletzungen durch Ihren Nachbarn festgestellt? Unsere FAQ-Rubrik beantwortet Ihre wichtigsten Fragen zum Thema Baurecht und klärt Sie über die rechtlichen Vorgaben und möglichen Konfliktlösungen auf.


Welche gesetzlichen Regelungen gibt es zu Grenzabständen bei Neubauten?

Die gesetzlichen Regelungen zu Grenzabständen bei Neubauten in Deutschland sind in den Landesbauordnungen der einzelnen Bundesländer verankert. Diese Vorschriften dienen dem Brandschutz und der Sicherstellung einer angemessenen Wohnqualität hinsichtlich Lichteinfall und Sichtweite.

In den meisten Bundesländern gilt ein Mindestabstand von zweieinhalb bis drei Metern zur Grundstücksgrenze. Dieser Abstand wird als Abstandsfläche bezeichnet und muss grundsätzlich auf dem eigenen Grundstück liegen. Die genaue Berechnung der erforderlichen Abstandsfläche hängt von der Gebäudehöhe ab und variiert je nach Bundesland.

In Bayern beispielsweise wird die Gebäudehöhe mit dem Faktor eins multipliziert, um die erforderliche Abstandsfläche zu ermitteln. Ein sechs Meter hohes Haus mit Flachdach benötigt demnach eine Abstandsfläche von sechs Metern über die gesamte Breite der Fassade. In Hessen hingegen gilt in Kerngebieten ein Faktor von 0,4, wobei ein Mindestabstand von drei Metern nicht unterschritten werden darf.

Es existieren jedoch Ausnahmen von diesen Regelungen. Grenzt ein Grundstück an öffentliche Plätze oder Straßen, dürfen die Abstandsflächen bis zur Hälfte der Straßenbreite auf diese übergreifen. Zudem kann der Nachbar einer Überschreitung der Abstandsfläche auf sein Grundstück zustimmen, was allerdings seine eigenen Baumöglichkeiten einschränkt.

Für bestimmte Bauwerke gelten Sonderregelungen. Garagen und Carports dürfen unter bestimmten Voraussetzungen innerhalb der Abstandsflächen errichtet werden. In Nordrhein-Westfalen ist dies beispielsweise bei einer mittleren Wandhöhe von maximal drei Metern und einer Gebäudelänge von höchstens neun Metern gestattet. In Hessen darf die Grundfläche 100 Quadratmeter nicht überschreiten.

Auch für andere bauliche Anlagen wie Gartenhäuser, Gewächshäuser und Schuppen können ähnliche Ausnahmen gelten. Die konkreten Bestimmungen variieren jedoch zwischen den Bundesländern, weshalb eine Rücksprache mit dem zuständigen Bauamt empfehlenswert ist.

Bei der Planung von Wärmepumpen sollte ebenfalls der übliche Mindestabstand von zweieinhalb bis drei Metern zur Grundstücksgrenze eingehalten werden. Allerdings können hier aufgrund möglicher Geräuschemissionen im Einzelfall größere Abstände erforderlich sein.

Die Brandenburgische Bauordnung von 2016 führte das Konzept der mittleren Wandhöhe ein. Dies ermöglicht eine flexiblere Gestaltung von Grenzbebauungen, auch bei stärkeren Dachneigungen oder geneigtem Gelände.

In bestimmten Fällen können Abstandsflächen auf Nachbargrundstücke übergreifen. Dies erfordert jedoch eine öffentlich-rechtliche Sicherung, üblicherweise durch Eintragung einer Baulast im Baulastenverzeichnis der Bauaufsichtsbehörde. Der betroffene Grundstückseigentümer verpflichtet sich dabei, die überschrittene Fläche nicht zu bebauen.

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Was kann ich tun, wenn mein Nachbar gegen Grenzabstandsvorschriften verstößt?

Bei einem Verstoß gegen Grenzabstandsvorschriften durch den Nachbarn stehen dem Betroffenen verschiedene Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung. Zunächst empfiehlt sich ein freundliches Gespräch mit dem Nachbarn, um auf den Verstoß aufmerksam zu machen und eine einvernehmliche Lösung zu finden. Oft sind sich Nachbarn der geltenden Vorschriften nicht bewusst und zeigen sich kooperativ, wenn sie darauf hingewiesen werden.

Führt das Gespräch nicht zum gewünschten Erfolg, kann eine schriftliche Aufforderung zur Beseitigung des Verstoßes erfolgen. Darin sollte eine angemessene Frist zur Behebung gesetzt werden. Es ist ratsam, dieses Schreiben per Einschreiben zu versenden, um den Zugang nachweisen zu können.

Bleibt auch die schriftliche Aufforderung ohne Wirkung, kann eine Schlichtungsstelle oder ein Mediator eingeschaltet werden. Viele Gemeinden bieten kostenlose oder kostengünstige Schlichtungsverfahren an, die eine gerichtliche Auseinandersetzung vermeiden können.

Führen alle vorgenannten Schritte nicht zum Ziel, besteht die Möglichkeit, rechtliche Schritte einzuleiten. Hierbei ist jedoch Vorsicht geboten, da das eigene Verhalten ebenfalls eine Rolle spielt. Wer selbst gegen Grenzabstandsvorschriften verstößt, kann nach dem Grundsatz von Treu und Glauben möglicherweise keine Ansprüche gegen den Nachbarn geltend machen.

Vor der Einleitung rechtlicher Schritte sollte daher unbedingt geprüft werden, ob man selbst alle relevanten Vorschriften einhält. Dies betrifft nicht nur den konkreten Streitgegenstand, sondern auch andere Bereiche des Grundstücks. Beispielsweise könnte eine zu hohe Hecke oder ein zu nah an der Grenze stehendes Gartenhaus auf dem eigenen Grundstück die Durchsetzung von Ansprüchen gegen den Nachbarn erschweren oder sogar verhindern.

Ist die eigene Position rechtlich einwandfrei, kann eine Klage auf Beseitigung des Verstoßes beim zuständigen Amtsgericht eingereicht werden. Es ist dringend zu empfehlen, hierfür einen Rechtsanwalt mit Erfahrung im Nachbarrecht zu konsultieren. Dieser kann die Erfolgsaussichten einer Klage einschätzen und bei der Durchsetzung der Ansprüche unterstützen.

In manchen Fällen kann auch die zuständige Bauaufsichtsbehörde eingeschaltet werden. Diese kann bei Verstößen gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften tätig werden und gegebenenfalls Anordnungen zur Beseitigung des rechtswidrigen Zustands erlassen.

Es ist wichtig zu beachten, dass Grenzabstandsvorschriften je nach Bundesland und Art der Bepflanzung oder Bebauung variieren können. Eine genaue Kenntnis der lokalen Regelungen ist daher unerlässlich. Im Zweifelsfall sollte man sich bei der Gemeinde oder einem Rechtsanwalt über die geltenden Bestimmungen informieren.

Der Weg über die Gerichte sollte stets als letztes Mittel betrachtet werden. Nachbarschaftliche Konflikte lassen sich oft durch Kompromissbereitschaft und gegenseitiges Verständnis lösen. Ein gutes nachbarschaftliches Verhältnis ist auf lange Sicht wertvoller als die strikte Durchsetzung von Rechtsansprüchen.

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Welche Rolle spielt das eigene Verhalten bei der Durchsetzung von Abstandsregelungen?

Das eigene Verhalten spielt eine entscheidende Rolle bei der Durchsetzung von Abstandsregelungen gegenüber Nachbarn. Grundsätzlich haben Grundstückseigentümer das Recht, die Einhaltung gesetzlicher Grenzabstände von ihren Nachbarn zu verlangen. Dieses Recht kann jedoch durch das eigene Verhalten eingeschränkt oder sogar verwirkt werden.

Ein wichtiger Aspekt ist die Gleichbehandlung. Wer selbst gegen Abstandsvorschriften verstößt, kann sich nur schwer darauf berufen, wenn der Nachbar ähnliche Verstöße begeht. Die Rechtsprechung wendet hier den Grundsatz von Treu und Glauben an. Es widerspricht dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis, vom Nachbarn ein Verhalten zu fordern, das man selbst nicht einhält.

Auch die Duldung von Abstandsverletzungen über einen längeren Zeitraum kann die Durchsetzbarkeit von Ansprüchen beeinträchtigen. Wer jahrelang schweigt, wenn der Nachbar zu nah an der Grenze baut, kann später Schwierigkeiten haben, dagegen vorzugehen. Es entsteht der Eindruck, man habe die Situation akzeptiert.

Widersprüchliches Verhalten schwächt ebenfalls die eigene Position. Wer zunächst einer grenznahen Bebauung zustimmt und später dagegen vorgeht, handelt widersprüchlich. Gerichte berücksichtigen solche Verhaltensweisen bei der Beurteilung von Nachbarschaftskonflikten.

Die aktive Mitwirkung an Abstandsverletzungen kann sogar zum vollständigen Rechtsverlust führen. Wer dem Nachbarn beim Bau einer zu nahen Garage hilft, kann sich später nicht mehr auf die Verletzung der Abstandsregeln berufen.

Besonders problematisch ist es, wenn Grundstückseigentümer selektiv vorgehen. Die Durchsetzung von Abstandsregeln nur gegen bestimmte Nachbarn, während man bei anderen wegschaut, wird von Gerichten kritisch gesehen. Es entsteht der Verdacht der Willkür oder persönlicher Animositäten.

Das Gebot der Rücksichtnahme im nachbarlichen Verhältnis verlangt zudem, dass man nicht nur auf die strikte Einhaltung von Vorschriften pocht, sondern auch die Interessen des Nachbarn berücksichtigt. Wer kompromisslos auf jedem Zentimeter Abstand besteht, riskiert, dass Gerichte dies als unverhältnismäßig bewerten.

Grundstückseigentümer sollten daher stets konsistent und fair handeln, wenn es um Abstandsregelungen geht. Es empfiehlt sich, frühzeitig das Gespräch mit dem Nachbarn zu suchen und gemeinsam Lösungen zu finden. Wer selbst vorbildlich mit Abstandsregeln umgeht, stärkt seine Position für den Fall, dass er sie einmal durchsetzen muss.

Bei geplanten Bauvorhaben ist es ratsam, die Nachbarn frühzeitig zu informieren und einzubeziehen. Dies kann spätere Konflikte vermeiden und zeigt guten Willen. Umgekehrt sollten Einwände gegen Nachbarbebauungen zeitnah und sachlich vorgebracht werden.

In komplexen Fällen kann es sinnvoll sein, einen Mediator hinzuzuziehen. Dieser kann helfen, eine für alle Seiten akzeptable Lösung zu finden, ohne dass es zu einem kostspieligen und belastenden Rechtsstreit kommt.

Letztlich gilt: Wer von seinen Nachbarn die Einhaltung von Abstandsregeln erwartet, muss sich auch selbst daran halten. Konsequenz und Fairness im eigenen Handeln sind der beste Weg, um die eigenen Rechte bezüglich Grenzabständen durchzusetzen.

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Welche Kosten können bei einer rechtlichen Auseinandersetzung um Grenzabstände auf mich zukommen?

Bei rechtlichen Auseinandersetzungen um Grenzabstände können erhebliche Kosten auf die Beteiligten zukommen. Die Höhe der Kosten hängt von verschiedenen Faktoren ab, insbesondere vom Streitwert und der Dauer des Verfahrens.

Anwaltskosten stellen einen wesentlichen Kostenfaktor dar. Diese richten sich nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) und werden anhand des Streitwerts berechnet. Bei Streitigkeiten um Grenzabstände liegt der Streitwert häufig zwischen 5.000 und 50.000 Euro. Für einen Streitwert von 10.000 Euro fallen beispielsweise Anwaltsgebühren von etwa 1.300 Euro pro Partei an.

Hinzu kommen Gerichtskosten, die ebenfalls vom Streitwert abhängen. Bei einem Streitwert von 10.000 Euro betragen die Gerichtskosten für die erste Instanz circa 750 Euro. Geht der Rechtsstreit in die zweite Instanz, erhöhen sich die Kosten entsprechend.

Oft sind in solchen Verfahren Sachverständigengutachten erforderlich, um den genauen Grenzverlauf oder die Auswirkungen von Grenzabstandsverletzungen zu klären. Die Kosten für ein Gutachten können je nach Umfang zwischen 1.500 und 5.000 Euro oder mehr betragen.

Bei einer Klage wegen Grenzabstandsverletzungen können auch Kosten für Vermessungsarbeiten anfallen. Diese belaufen sich in der Regel auf 500 bis 2.000 Euro, abhängig von der Komplexität des Geländes und dem Umfang der erforderlichen Messungen.

Im Falle einer gerichtlich angeordneten Beseitigung von Bauwerken oder Pflanzen, die den Grenzabstand verletzen, können zusätzliche Kosten für Abriss- oder Rückbauarbeiten entstehen. Diese variieren stark je nach Art und Umfang der erforderlichen Maßnahmen und können von wenigen hundert bis zu mehreren tausend Euro reichen.

Verfahrenskosten wie Zustellungsgebühren, Auslagen für Zeugen oder Sachverständige sowie Reisekosten können die Gesamtkosten weiter erhöhen. Diese belaufen sich meist auf einige hundert Euro.

Bei einem Vergleich fallen zusätzliche Einigungsgebühren für die Anwälte an. Diese betragen in der Regel 1,5 Gebühren nach dem RVG und können bei einem Streitwert von 10.000 Euro etwa 400 Euro pro Anwalt ausmachen.

Die Kostenverteilung richtet sich nach dem Ausgang des Verfahrens. Grundsätzlich trägt die unterliegende Partei sämtliche Kosten. Bei teilweisem Obsiegen werden die Kosten anteilig verteilt.

Für Parteien mit geringem Einkommen besteht die Möglichkeit, Prozesskostenhilfe zu beantragen. Diese deckt bei Bewilligung die Gerichtskosten und die eigenen Anwaltskosten ab, sofern die Erfolgsaussichten der Klage nicht als gering eingestuft werden.

Eine Rechtsschutzversicherung kann die finanziellen Risiken eines Rechtsstreits um Grenzabstände abmildern. Allerdings sind Streitigkeiten im Zusammenhang mit Grundstücken oft von der Deckung ausgeschlossen oder nur mit Einschränkungen versichert.

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Wie kann ich Nachbarschaftsstreitigkeiten um Grenzabstände vermeiden?

Nachbarschaftsstreitigkeiten um Grenzabstände lassen sich durch frühzeitige Kommunikation und genaue Kenntnis der rechtlichen Vorgaben weitgehend vermeiden. Eine sorgfältige Planung von Bauvorhaben oder Bepflanzungen unter Berücksichtigung der geltenden Abstandsregelungen ist dabei von zentraler Bedeutung. Die Grenzabstände für Gebäude, Zäune, Bäume und andere Anpflanzungen sind in den jeweiligen Landesbauordnungen und Nachbarrechtsgesetzen der Bundesländer geregelt. Diese Vorschriften können regional stark variieren, weshalb eine Rücksprache mit der zuständigen Baubehörde oder einem Fachanwalt für Nachbarrecht ratsam ist.

Vor Beginn jeglicher Baumaßnahmen oder Anpflanzungen in Grenznähe empfiehlt sich ein offenes Gespräch mit den betroffenen Nachbarn. Dabei sollten die geplanten Vorhaben transparent dargelegt und mögliche Bedenken ernst genommen werden. Eine schriftliche Vereinbarung über etwaige Abweichungen von den gesetzlichen Vorgaben kann spätere Konflikte verhindern.

Bei der Errichtung von Gebäuden oder anderen baulichen Anlagen ist besondere Vorsicht geboten. Die Einhaltung der vorgeschriebenen Abstandsflächen dient nicht nur dem Nachbarfrieden, sondern auch dem Brandschutz und der ausreichenden Belichtung und Belüftung. Ein professionelles Vermessungsbüro kann die exakten Grundstücksgrenzen ermitteln und so Unklarheiten beseitigen.

Für Anpflanzungen gelten je nach Art und Wuchshöhe unterschiedliche Mindestabstände zur Grundstücksgrenze. Diese reichen in der Regel von 0,5 Metern für niedrige Hecken bis zu mehreren Metern für große Bäume. Bei der Auswahl von Pflanzen sollte das zu erwartende Wachstum berücksichtigt werden, um spätere Konflikte durch überhängende Äste oder Schattenwurf zu vermeiden.

Eine regelmäßige Pflege und der fachgerechte Rückschnitt von Bäumen und Hecken tragen ebenfalls zur Vermeidung von Streitigkeiten bei. Hierbei sind die gesetzlichen Fristen zum Schutz brütender Vögel zu beachten. In vielen Bundesländern ist das Zurückschneiden von Hecken zwischen dem 1. März und dem 30. September nur eingeschränkt erlaubt.

Bei Unsicherheiten bezüglich der geltenden Vorschriften oder bei bereits bestehenden Konflikten kann die Einschaltung eines neutralen Mediators hilfreich sein. Dieser kann zwischen den Parteien vermitteln und eine einvernehmliche Lösung herbeiführen, ohne dass ein kostspieliges Gerichtsverfahren notwendig wird.

Die präventive Einhaltung der Grenzabstände schützt nicht nur vor rechtlichen Konsequenzen, sondern fördert auch ein harmonisches Zusammenleben in der Nachbarschaft. Ein respektvoller Umgang und die Bereitschaft zu Kompromissen sind dabei ebenso wichtig wie die Kenntnis der rechtlichen Rahmenbedingungen. Durch umsichtiges Handeln lassen sich viele potenzielle Konflikte bereits im Vorfeld entschärfen.

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Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt

  • Grenzabstandsverletzung: Eine Grenzabstandsverletzung liegt vor, wenn ein Gebäude oder eine bauliche Anlage den gesetzlich vorgeschriebenen Mindestabstand zur Grundstücksgrenze unterschreitet. Diese Abstände sind in den Landesbauordnungen geregelt und variieren je nach Bundesland. Sie dienen dem Brandschutz, der Belichtung und Belüftung sowie der Wahrung nachbarlicher Interessen. Im vorliegenden Fall haben sowohl die Kläger als auch der Beigeladene gegen diese Vorschriften verstoßen, was zu dem Rechtsstreit führte.
  • Beigeladener: Im Verwaltungsprozess ist der Beigeladene eine Person, die zwar nicht direkt Kläger oder Beklagter ist, aber vom Ausgang des Verfahrens rechtlich betroffen sein könnte. Er wird zum Verfahren „beigeladen“, um seine Interessen zu wahren. Im konkreten Fall ist der Beigeladene der Nachbar, dem die umstrittene Baugenehmigung erteilt wurde. Seine Rechtsposition könnte durch eine Aufhebung der Baugenehmigung beeinträchtigt werden, weshalb er am Verfahren beteiligt wurde.
  • Verbot widersprüchlichen Verhaltens: Dieser Rechtsgrundsatz besagt, dass niemand sich zu seinem eigenen früheren Verhalten in Widerspruch setzen und daraus Vorteile herleiten darf. Er leitet sich aus dem Prinzip von Treu und Glauben (§ 242 BGB) ab. Im vorliegenden Fall wurde den Klägern vorgeworfen, selbst gegen Abstandsregeln zu verstoßen, sich aber gleichzeitig über den Verstoß des Nachbarn zu beschweren. Das Gericht sah darin ein widersprüchliches Verhalten, das rechtlich nicht geschützt wird.
  • Gesamtschuldner: Gesamtschuldner haften gemäß § 421 BGB gemeinsam für eine Schuld, wobei der Gläubiger die Leistung nach seinem Belieben von jedem Schuldner ganz oder teilweise fordern kann. Im Prozessrecht bedeutet dies, dass mehrere Kläger oder Beklagte gemeinsam für die Prozesskosten haften. Im vorliegenden Fall wurden die Kläger als Gesamtschuldner zur Tragung der Verfahrenskosten verurteilt, was bedeutet, dass jeder von ihnen für die gesamten Kosten haftet.
  • Außergerichtliche Kosten: Hierunter fallen alle Kosten, die einer Partei im Zusammenhang mit einem Rechtsstreit entstehen, aber nicht unmittelbar Gerichtskosten sind. Dazu gehören insbesondere Anwaltskosten, Reisekosten oder Kosten für Gutachten. Im konkreten Fall musste der Beigeladene seine außergerichtlichen Kosten selbst tragen, obwohl die Klage abgewiesen wurde. Dies ist eine Besonderheit des Verwaltungsprozessrechts und soll die Beteiligung Dritter am Verfahren fördern.
  • Baugenehmigung: Eine Baugenehmigung ist eine behördliche Erlaubnis, die für die Errichtung, Änderung oder Nutzungsänderung von Gebäuden erforderlich ist. Sie wird erteilt, wenn das Bauvorhaben den öffentlich-rechtlichen Vorschriften entspricht. Im vorliegenden Fall war die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung Gegenstand des Rechtsstreits. Die Kläger fechten diese an, da sie eine Verletzung der Abstandsvorschriften sahen. Das Gericht bestätigte jedoch die Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung unter Berücksichtigung aller Umstände.

Wichtige Rechtsgrundlagen


  • § 34 BauGB (Baugesetzbuch): Regelt die Zulässigkeit von Bauvorhaben innerhalb der im Bebauungsplan festgesetzten Art und des Maßes der baulichen Nutzung. Im konkreten Fall wurde geprüft, ob die Baugenehmigung des Nachbarn (Beigeladener) diesen Vorgaben entspricht.
  • Nachbarrechtsgesetz des jeweiligen Bundeslandes: Legt fest, wie die Interessen von Nachbarn bei Bauvorhaben zu berücksichtigen sind. Im konkreten Fall wurde das Nachbarrechtsgesetz herangezogen, um zu beurteilen, ob die Grenzabstände des Neubaus zulässig sind und die Rechte der Kläger beeinträchtigen.
  • § 242 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch): Verankert den Grundsatz von Treu und Glauben im Rechtsverkehr. Im konkreten Fall wurde dieser Grundsatz angewendet, um das widersprüchliche Verhalten der Kläger zu bewerten, die selbst gegen Abstandsregeln verstoßen haben.
  • Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO): Regelt das Verfahren vor den Verwaltungsgerichten. Im konkreten Fall war die VwGO die Grundlage für das Verfahren der Kläger gegen die Baugenehmigung des Nachbarn.
  • § 154 VwGO: Bestimmt, wer die Kosten des Verfahrens trägt. Im konkreten Fall wurden die Kläger als Gesamtschuldner zur Kostentragung verurteilt, da ihre Klage abgewiesen wurde.

Das vorliegende Urteil

VG Karlsruhe – Az.: 4 K 1921/22 – Urteil vom 20.03.2024

1. Die Klagen werden abgewiesen.

2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser auf sich behält.

Tatbestand

Die Kläger wenden sich gegen eine dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung.

Die Kläger sind Eigentümer des Grundstücks FlstNr. …, … Straße 16, im Gebiet der Beklagten. Bis zum 12.10.2022 stand das Grundstück im Eigentum der Klägerin zu 1 und dem Vater des Klägers zu 2. Das Grundstück ist mit einem Wohnhaus bebaut, das in Richtung Straße sowie zum südwestlich gelegenen Nachbargrundstück grenzständig errichtet ist.

Der Beigeladene ist Eigentümer des Grundstücks FlstNr. …, … Straße 18, im Gebiet der Beklagten, das im Süden an das oben genannte Grundstück grenzt. Auf dem Grundstück befand sich vor dessen Abriss ein Wohngebäude, das ebenfalls direkt an der Straße und mit einem seitlichen Abstand zur nordöstlichen Grundstücksgrenze errichtet worden war.

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Zwischen dem Wohngebäude mit einem Satteldach und dem Grundstück der Kläger befand sich eine grenzständig errichtete, unmittelbar an das Hauptgebäude anschließende zur straßenabgewandten Seite offene bauliche Anlage mit einem zum klägerischen Grundstück hin abfallenden Dach.

Die Grundstücke … Straße 16 und 18 liegen in der Bauzone 3c des Bebauungsplans „Ortsmitte …“ vom 30.03.2004. Dieser sieht in seinem zeichnerischen Teil hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung für die genannte Bauzone eine Grundflächenzahl von 0,35 und eine Geschossflächenzahl von 0,7 vor und erlaubt insofern zwei Vollgeschosse. Hinsichtlich der Bauweise bestimmt er im zeichnerischen Teil eine offene Bauweise. Im schriftlichen Teil gibt der Bebauungsplan für die Bauzone 3c hingegen eine Grundflächen- und eine Geschossflächenzahl von jeweils 1,0 vor und erlaubt lediglich ein Vollgeschoss. Hinsichtlich der Bauweise sieht er im schriftlichen Teil eine abweichende Bauweise (§ 22 Abs. 4 BauNVO) vor. Es sei ohne Abstandsflächen auf den mit Baulinien markierten Grundstücksgrenzen zu bauen.

Am 02.06.2021 stellte der Beigeladene bei der Beklagten den Antrag auf Erteilung einer Baugenehmigung im vereinfachten Verfahren zur Errichtung eines Wohnhauses mit vier Wohneinheiten auf dem Grundstück … Straße 18. Nach den Bauzeichnungen ist das Bauvorhaben, das 12,50 m tief ist, über eine Länge von 7,40 m grenzständig errichtet. Zur … Straße hin weist das Bauvorhaben in Höhe des Erdgeschosses einen Rücksprung von 5,10 m Länge und 2,40 m Breite auf. Auf der Grundfläche innerhalb des Gebäuderücksprungs ist der „Stellplatz 1“ vorgesehen.

Mit Schreiben vom 15.07.2021 teilte der jetzige Kläger zu 2 der Beklagten mit, dass er seine Eltern vertrete und „Einspruch“ gegen das Bauvorhaben erhebe. Die Angaben im zeichnerischen und schriftlichen Teil des Bebauungsplans „Ortsmitte …“ seien für die Bauzone 3c hinsichtlich der zulässigen Anzahl der Vollgeschosse und der zulässigen Bauweise widersprüchlich. Einer „Vermischung“ der Festsetzungen werde nicht zugestimmt. Außerdem sei die Nutzbarkeit des Stellplatzes Nr. 1 bei einer Breite von 2,30 m nicht möglich und entspreche nicht der Garagenverordnung. Eine Baulast wegen Abweichung vom gesetzlichen Grenzabstand werde nicht übernommen.

Unter dem 17.09.2021 erteilte die Beklagte dem Beigeladenen die beantragte Baugenehmigung im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren.

Mit Schreiben vom 20.09.2021 wies die Beklagte gegenüber dem Kläger zu 2 die Einwendungen, die dieser als Bevollmächtigter der Klägerin zu 1 und seines Vaters vorgebracht hatte, als unbegründet zurück. Zur Begründung trug sie vor, für die Bauzone 3c differierten die Festsetzungen des zeichnerischen und des schriftlichen Teils des Bebauungsplans hinsichtlich der Geschosszahl und der Bauweise. In einem solchen Fall sei der Bebauungsplan unwirksam, was die genannten Festsetzungen betreffe. Das Gebiet sei so zu beurteilen, als ob kein Bebauungsplan vorliege. Die Grundstücke seien nach der umgebenden Bebauung zu beurteilen. In der Umgebung herrsche eine Bebauung mit zwei Vollgeschossen und einseitiger Grenzbebauung vor. Das Bauvorhaben füge sich in diese Eigenart der Umgebung ein. Die Stellplatzbreite von Stellplatz 1 betrage 2,40 m und entspreche den Vorgaben von § 4 Abs. 2 GaragenVO. Eine Baulast wegen einer Abweichung vom gesetzlichen Grenzabstand sei nicht erforderlich. Im Übrigen gingen von dem Bauvorhaben keine unzumutbaren Beeinträchtigungen aus.

Am 06.10.2021 erhob der Kläger zu 2 im Namen der Klägerin zu 1 und seines Vaters Widerspruch gegen die Baugenehmigung vom 17.09.2021. Zur Begründung machte er im Wesentlichen geltend, die Gebäude auf den beiden an das Vorhabengrundstück grenzenden Grundstücken hätten lediglich ein Vollgeschoss bei einseitiger Grenzbebauung. Es sei entweder eine einseitige Grenzbebauung mit einem Vollgeschoss oder eine zweigeschossige Bebauung unter Wahrung von Abstandsflächen zulässig. Es komme zu einer unzumutbaren Verschattung auf dem klägerischen Grundstück und zu einer Wertminderung desselben. In der umgebenden Bebauung finde sich kein Mehrfamilienhaus mit vier Wohnungen. Das Bauvorhaben verfüge mit vier Stellplätzen nur über die Hälfte der nach der Stellplatzsatzung der Beklagten erforderlichen Anzahl an Stellplätzen. Mit Blick auf die barrierefreie Wohnung im Erdgeschoss fehle es an einem Behindertenparkplatz. Hinzu komme, dass die geplanten Stellplätze nicht der Garagenverordnung entsprächen, zu schmal seien und aufgrund der geringen Straßenbreite nicht angefahren werden könnten. Die Zuwegung zu den Müllboxen fehle ebenfalls, wie auch ein für alle Parteien zugänglicher Kinderspielplatz. Durch das Bauvorhaben werde es zu verstärktem Lärm und verstärkten Abgasen durch Parkplätze suchende und rangierende Autos kommen. Die Klägerin zu 1 und der Vater des Klägers zu 2 seien stark pflegebedürftig. Die ohnehin prekäre Stellplatzsituation werde weiter verschärft. Es seien erhebliche Nachteile bei der medizinischen Versorgung der Klägerin zu 1 und seines Vaters zu befürchten.

Am 11.02.2022 stellten die Klägerin zu 1 und der Vater des Klägers bei Gericht den Antrag, die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen die Baugenehmigung vom 17.09.2021 anzuordnen. Mit Beschluss vom 06.05.2022 lehnte das Gericht die Anträge mangels Eilrechtsschutzbedürfnisses ab, da das Gebäude des Beigeladenen weitgehend errichtet sei (4 K 432/22).

Mit Widerspruchsbescheid vom 18.05.2022 wies das Regierungspräsidium Karlsruhe den Widerspruch der Kläger zurück. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, die gegen das Vorhaben vorgetragenen Gründe führte nicht zu einer Rechtsverletzung der Kläger. Das Vorhabengrundstück liege zwar im Geltungsbereich eines Bebauungsplans, dieser könne aber wegen eklatanter Widersprüche zwischen dem zeichnerischen und textlichen Teil nicht angewendet werden. Eine etwaige fehlende Erschließung des Vorhabengrundstücks verletze keine drittschützenden Rechte. Bezüglich der Bauweise füge sich das Vorhaben nach § 34 Abs. 1 BauGB in die nähere Umgebung ein. Die nähere Umgebung umfasse den Bereich der an der südöstlichen … Straße liegenden Grundstücke bis zur …. Selbst wenn man die nähere Umgebung hinsichtlich der Bauweise größer fassen wollte und in diesem Gebiet neben der geschlossenen und halboffenen Bauweise auch die offene Bauweise vorhanden wäre, würde sich das Vorhaben einfügen, da jedenfalls die abweichende, einseitig grenzständige Bauweise vorhanden sei. Im genannten Bereich der … Straße seien sogar alle Wohngebäude einseitig begrenzt. Das Gebot der Rücksichtnahme sei durch das Vorhaben nicht verletzt. Die Kläger würden durch das Vorhaben nicht unzumutbar beeinträchtigt. Dieses habe keine erdrückende Wirkung. Das geplante Gebäude sei nicht erheblich höher als das Wohnhaus der Kläger. Die Baukörper stünden nicht frontal zueinander. Dies verhindere eine abriegelnde Wirkung. Auch die Belichtung, Belüftung und Besonnung würden nicht unzumutbar eingeschränkt. Nur in den Morgenstunden sei die Besonnung und Belichtung durch das Vorhabengebäude etwas eingeschränkt. Die Belichtung und Belüftung sei außerdem bereits durch das zuvor grenzständig bestehende Gebäude eingeschränkt gewesen und werde durch das Vorhaben nicht unzumutbar weiter eingeschränkt. Ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot sei auch nicht im Hinblick auf die Stellplatzsituation erkennbar. Ein Stellplatz befinde sich auf der entgegengesetzten Grundstücksseite und damit sehr weit vom Grundstück der Kläger entfernt. Der andere befinde sich direkt an der Straße, also nicht in einem lärmberuhigten Bereich. Ebenso verhalte es sich mit den Stellplätzen in der Doppelgarage, die ebenfalls an der Straße lägen. Ein etwaiger Wertverlust des Grundstücks der Kläger habe keinen Einfluss auf die Rechtmäßigkeit der erteilten Baugenehmigung. Ob dem Vorhaben eine Zuwegung zu den Mülltonnen fehle, sei für das Rücksichtnahmegebot unerheblich. Die Mülltonnen befänden sich nicht entlang der Grenze zum Grundstück der Kläger. Auch bauordnungsrechtlich verstoße das Vorhaben nicht gegen nachbarschützende Vorschriften. Gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 LBO müsse vorliegend jedenfalls auf eine Grundstücksgrenze gebaut werden, da die Grundstücke auf der südöstlichen Seite der … Straße bis zur Höhe … Hauptnutzungen aufwiesen, die einseitig grenzständig seien. Dass die Wand des Vorhabens in Richtung Grundstück der Kläger aufgrund des Stellplatzes von der Grenze abgerückt sei, verletze die Kläger nicht in ihren Rechten. Der Stellplatz belaste diese weitaus weniger als eine, hier abstandsflächenrechtlich zulässige, durchgehende Wand. Auch sei zu bedenken gewesen, dass die Kläger ihr Wohnhaus ebenfalls linksseitig grenzständig errichtet hätten und deren Nachbarn in der … Straße 14 ebenfalls. Es bestehe folglich ein wechselseitiges Austauschverhältnis, von dem gerade auch die Kläger profitierten, die selbst auf den linksseitigen Grenzabstand hätten verzichten können. Mithin würden die Kläger vom Beigeladenen einen Grenzabstand verlangen, den sie selbst nicht einhielten. Da für das Vorhaben das vereinfachte Verfahren habe durchgeführt werden können, seien weder die Zahl der Stellplätze noch die Schaffung eines Kinderspielplatzes zu überprüfen gewesen.

Die Klägerin zu 1 und der Vater des Klägers zu 2 haben am 03.06.2022 Klage erhoben. Mit Schriftsatz vom 01.08.2023 hat der Kläger-Vertreter mitgeteilt, dass der Vater des jetzigen Klägers zu 2 am 12.10.2022 verstorben ist. Erben des Verstorbenen seien die jetzigen Kläger. Die Erbengemeinschaft führe die Klage hinsichtlich des Miteigentumsanteils des Verstorbenen fort. Die Kläger machen mit ihrer Klage im Wesentlichen geltend: Das Bauvorhaben halte die nach § 5 Abs. 1 Satz 1, Abs. 7 LBO erforderlichen Abstandsflächen nicht ein. Abstandsflächen seien nicht nach § 5 Abs. 1 Satz 2 LBO entbehrlich. Hinsichtlich der Grund- und Geschossflächenzahl sowie der Zahl der Vollgeschosse und der Bauweise sei der Bebauungsplan „Ortsmitte …“ wegen unauflösbarer Widersprüche unwirksam. Es müsse nicht nach § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 LBO an die Grenze gebaut werden. Hiervon gehe auch die Beklagte aus, die wiederholt zutreffend festgestellt habe, die nähere Umgebung sei durch Gebäude sowohl in offener Bauweise (… 2a; … 11 und 13) als auch in Grenzbauweise geprägt. Zur näheren Umgebung zähle auch die gegenüberliegende Bebauung innerhalb des Straßengevierts, mithin auch die Bebauung entlang der …. Die Auffassung der Beklagten, die Bebauung entlang der … Straße zwischen …- und … weise durchgehend eine einseitige seitliche Grenzbebauung auf, sei unzutreffend. Für die Gebäude … 2 und … Straße 10 sei dies unzutreffend, weil diese jeweils nur an straßen-, also vorderseitigen Grundstücksgrenzen im Sinne von § 22 Abs. 4 BauNVO angebaut seien. Eine seitliche Grenzbebauung gebe es dort nicht. Jedenfalls bestehe auf dem Grundstück … 2 keine Grenzbebauung an der südwestlichen Grundstücksgrenze. Auch die vormals auf dem Vorhabengrundstück vorhandene Bebauung sei nicht grenzständig gewesen. Grenzständig errichtet sei lediglich ein an das Hauptgebäude angebauter Schuppen gewesen, der jedoch aufgrund der eigenständigen Nutzbarkeit, des eigenen Zugangs und des vom Hauptgebäude deutlich abweichenden Erscheinungsbilds eine Nebenanlage dargestellt habe. Hinsichtlich der Bauweise seien allerdings nur die Hauptnutzungen in den Blick zu nehmen. Bei den Grundstücken … Straße 10 und 12 stehe ein eigenständiges Hauptgebäude auf der gemeinsamen Grundstücksgrenze. Das Gebäude auf dem Grundstück … Straße 12 sei nicht direkt grenzständig, sondern lediglich an die nordöstliche Grundstücksgrenze angebaut. Das Gebäude auf dem Grundstück … 2a sei in offener Bauweise errichtet. Aus welcher Grundstücksteilung das genannte Grundstück hervorgegangen sei, spiele keine Rolle. Sei aber nach § 34 Abs. 1 BauGB planungsrechtlich sowohl die offene als auch eine grenzständige Bebauung zulässig, finde § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 LBO keine Anwendung. Ein Fall des § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LBO sei nicht gegeben, weil nicht öffentlich-rechtlich gesichert sei, dass auf dem Nachbargrundstück ebenfalls an die Grenze gebaut werde. Ebenso existiere auf dem Grundstück der Kläger keine Grenzbebauung entlang der maßgeblichen Grenze, die geeignet sein könnte, die öffentlich-rechtliche Sicherung zu ersetzen. Selbst wenn von einer zwingenden Grenzbebauung ausgegangen würde, verstieße das im Bereich des straßenseitigen Stellplatzes Nr. 1 vorgesehene Zurücktreten des Bauvorhabens gegen § 22 Abs. 3 und § 23 Abs. 2 BauNVO. Zudem sei in Fällen des § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 LBO nur eine Bebauung mit oder ohne Grenzabstand, nicht aber eine Bebauung mit verringertem Grenzabstand zulässig. Dies sei auch in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg geklärt. Wenn das Bauvorhaben dem Vorrang des Planungsrechts nicht Rechnung trage, gebe es keinen Grund, von dem Grundsatz abzuweichen. Hinzu komme, dass spätestens mit der bestandskräftigen Realisierung des streitgegenständlichen Vorhabens die zwingende einseitig grenzständige Bauweise in der näheren Umgebung aufgelöst werde. Für sie käme im Falle eines Neubaus auf ihrem Grundstück nur noch § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LBO zur Anwendung mit der Folge, dass sie an die Grenze nur im Fall einer öffentlich-rechtlichen Sicherung der beiderseitigen Grenzanbaus bauen dürften. Dieser beiderseitige Grenzanbau wäre aber nicht gesichert, da auf dem Nachbargrundstück schon ein in erheblichen Teilen nicht grenzständiges Gebäude vorhanden sei. Der Verweis der Beklagten auf § 6 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 LBO gehe fehl, da diese Vorschrift keine Grundlage dafür biete, bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 LBO eine Abweichung von der zwingenden Grenzbebauung zuzulassen. Zulässig sei eine Reduzierung des Grenzabstands nach § 6 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 LBO zudem nur, wenn das Vorhaben- oder das Nachbargrundstück durch Besonderheiten geprägt sei, wofür nichts ersichtlich sei. Im Bereich des Rücksprungs verstoße das Bauvorhaben außerdem gegen § 7 Abs. 2 Nr. 5 LBOAVO, da es an der Schmalseite des Stellplatzes eine Fensteröffnung vorsehe, die zur Grenze ihres Grundstücks einen Abstand von 1,25 m nicht einhalte. Die brandschutzrechtliche Unzulässigkeit zähle als nachbarlicher Belang zu den Schutzgegenständen des Abstandsflächenrechts. Sie handelten nicht treuwidrig, indem sie auf die Wahrung von Abstandsflächen bestünden. Treuwidrigkeit könne ihnen allenfalls dann entgegengehalten werden, wenn der Nachbar dem Bauherrn eine Bebauungsmöglichkeit verwehren wolle, von der er selbst im Verhältnis zum Vorhabengrundstück Gebrauch gemacht habe. Würde das Austauschverhältnis auf alle Grundstücke der näheren Umgebung ausgeweitet, würde § 5 Abs. 1 Satz 2 LBO unterlaufen. Der Beigeladene könne sich auch nicht auf einen Bestandsschutz berufen, der aus der vormaligen Bebauung herrühre. Darüber hinaus sei das Bauvorhaben auch im Hinblick auf seine Trauf- und Firsthöhe, die Geschosszahl, seine absolute Grundfläche und die Bebauungstiefe rechtswidrig und verletze das Gebot der Rücksichtnahme.

Die Kläger beantragen, die Baugenehmigung der Beklagten vom 17.09.2021 und den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 18.05.2022 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt, die Klagen abzuweisen.

Sie bringt im Wesentlichen vor: Die grenzständige Bebauung sei gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 LBO erforderlich. Die Hauptgebäude auf den Grundstücken … Straße 10 und 14 seien an der südwestlichen Grundstücksgrenze errichtet worden. Das gelte auch für das Grundstück … Straße 16 der Kläger. Diese wollten dem Beigeladenen etwas verwehren, was sie selbst für sich beanspruchten. Auf dem Grundstück … Straße 12 erstrecke sich nur ein Nebengebäude entlang der südwestlichen Grundstücksgrenze. Die gesamte Bebauung entlang der … Straße zwischen …- und … sei mithin durch eine halbseitig offene Grenzbebauung geprägt. Damit sei von einer zwingend abweichenden Bauweise im Sinne einer halboffenen Bauweise auszugehen. Maßgebliche Umgebungsbebauung sei die Bebauung entlang der … Straße zwischen …- und …. Die auf der gegenüberliegenden Seite der … Straße vorhandene Bebauung sei für das Vorhabengrundstück nicht prägend, zumal sie durch eine Straßenbahnlinie getrennt sei und eine vollkommen andere Bebauungsstruktur aufweise. Hilfsweise sei festzuhalten, dass die Grundstücke entlang der … ebenfalls durchgängig eine einseitige Grenzbebauung aufwiesen. Soweit die Gebäude nicht direkt an der Grenze errichtet worden seien, wie etwa auf dem Grundstück … 13, wiesen sie einen Grenzabstand von weit weniger als 2,50 m auf, erfüllten also ebenfalls nicht das Kriterium der offenen Bauweise. Das zur … orientierte Gebäude … 2a sei ein Ausreißer. Aus der Haus- und der Flurstücknummer des Grundstücks sei abzuleiten, dass das auf dem Grundstück errichtete Gebäude auf dem ehemaligen Gesamtgrundstück … 2 errichtet worden sei und nur deshalb den Grenzabstand zu den Nachbargebäuden einhalte. Gegen das Rücksichtnahmegebot werde nicht verstoßen, zumal das Bauvorhaben nicht in der gesamten Gebäudetiefe auf der Grundstücksgrenze errichtet werden solle. Ein geringfügiger straßenseitiger Rücksprung des Gebäudes, wie hier mit einer Länge von 2,40 m, sei zulässig, ohne dass damit die einseitige Grenzbebauung aufgehoben werde. Mit dem Rücksprung verringerten sich zudem die Belastungen für das Grundstück der Kläger. Die von ihnen zur vermeintlichen Unzulässigkeit eines Rücksprungs herangezogene Rechtsprechung stamme nicht aus Baden-Württemberg. In Baden-Württemberg bestehe im Unterschied zu anderem Landesrecht die Möglichkeit, gemäß § 6 Abs. 3 Satz 1 LBO geringere Tiefen der Abstandsflächen zuzulassen. Die Voraussetzungen von § 6 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 LBO seien gegeben. Die Belange Belüftung, Belichtung und Besonnung würden durch den Rücksprung sogar in größerem Maße gewährleistet. Brandschutzrechtlich sei der Gebäuderücksprung unproblematisch, da auf dem Nachbargrundstück in diesem Bereich keine bauliche Anlage existiere, sondern diese Fläche nur als Grundstückszufahrt genutzt werde. Auch von einer erheblichen Beeinträchtigung nachbarlicher Belange sei nicht auszugehen. Das Bauvorhaben halte im Übrigen die aus der Umgebungsbebauung ableitbare Kubatur ein.

Mit Beschluss vom 08.06.2022 hat das Gericht den Beigeladenen zu dem Verfahren notwendig beigeladen. Dieser hat keinen Antrag gestellt.

In der mündlichen Verhandlung hat das Gericht durch Einnahme eines Augenscheins Beweis erhoben. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das darüber gefertigte Protokoll verwiesen.

Dem Gericht liegen die Verwaltungsakte der Beklagten (1 Heft) und die Widerspruchsakte des Regierungspräsidiums Karlsruhe (1 Heft) vor. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf deren Inhalt, den der gewechselten Schriftsätze sowie das Sitzungsprotokoll verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässigen Klagen sind nicht begründet.

Die angegriffene Baugenehmigung vom 17.09.2021 verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Die Aufhebung einer im vereinfachten Verfahren nach § 52 LBO erteilten Baugenehmigung – wie hier – kann ein diese anfechtender Dritter ebenso wie im normalen Baugenehmigungsverfahren nur dann verlangen, wenn sie – in objektiv-rechtlicher Hinsicht – gegen die im eingeschränkten Prüfungsprogramm zu beachtenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften verstößt und der Dritte hierdurch – in subjektiv-rechtlicher Hinsicht – in seinen Rechten verletzt wird (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 16.02.2016 – 3 S 2167/15 – juris Rn. 19 m.w.N.). Nach § 52 Abs. 2 LBO prüft die Baurechtsbehörde im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren die Übereinstimmung mit den Vorschriften über die Zulässigkeit der baulichen Anlagen nach den §§ 14 und 29 bis 38 BauGB (Nr. 1), die Übereinstimmung mit den §§ 5 bis 7 LBO (Nr. 2) und – nach Nr. 3 – andere öffentlich-rechtliche Vorschriften außerhalb dieses Gesetzes und außerhalb von Vorschriften auf Grund dieses Gesetzes, soweit in diesen Anforderungen an eine Baugenehmigung gestellt werden (Buchst. a) oder soweit es sich um Vorhaben im Außenbereich handelt, im Umfang des § 58 Abs. 1 Satz 2 LBO (Buchst. b).

Für die Beurteilung der Frage, ob eine angefochtene Baugenehmigung den Nachbarn in seinen Rechten verletzt, ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Genehmigungserteilung maßgeblich. Allerdings sind nachträgliche Änderungen zugunsten des Bauherrn zu berücksichtigen. Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass es mit der nach Maßgabe des einschlägigen Rechts gewährleisteten Baufreiheit nicht vereinbar wäre, eine zur Zeit des Erlasses rechtswidrige Baugenehmigung aufzuheben, die sogleich nach der Aufhebung wieder erteilt werden müsste (vgl. BVerwG, Beschl. v. 08.11.2010 – 4 B 43.10 – juris Rn. 9; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 01.10.2019 – 5 S 963/17 – juris Rn. 41).

Nach Maßgabe dessen verstößt die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung zwar gegen von der Baurechtsbehörde nach § 52 Abs. 2 LBO zu prüfende öffentlich-rechtliche Vorschriften, die dem Schutz der Kläger zu dienen bestimmt sind (1.), allerdings können sich die Kläger hierauf nach Treu und Glauben nicht berufen (2.).

1.

Das genehmigte Vorhaben des Beigeladenen verstößt gegen § 5 Abs. 1 Satz 1 LBO. Nach dieser Vorschrift müssen vor den Außenwänden von baulichen Anlagen Abstandsflächen liegen, die von oberirdischen baulichen Anlagen freizuhalten sind. Vor den südwestlichen Außenwänden der genehmigten baulichen Anlage des Beigeladenen liegen keine bzw. keine nach § 5 Abs. 7 Satz 2 LBO ausreichenden Abstandsflächen. Es greift auch keine Ausnahmevorschrift zu § 5 Abs. 1 Satz 1 LBO.

a)

Es liegt kein Fall des § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 LBO vor. Nach dieser Bestimmung ist eine Abstandsfläche nicht erforderlich vor Außenwänden an Grundstücksgrenzen, wenn nach planungsrechtlichen Vorschriften an die Grenze gebaut werden muss, es sei denn, die vorhandene Bebauung erfordert eine Abstandsfläche. Vorliegend ist nicht nach planungsrechtlichen Vorschriften an die Grenze zu bauen.

aa)

Planungsrechtlich ist § 34 Abs. 1 BauGB einschlägig. Gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile ein Vorhaben zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt.

§ 34 BauGB wird nicht durch § 30 BauGB verdrängt. Das Grundstück des Beigeladenen liegt zwar in einem Bereich, für den hinsichtlich der Bauweise normative Vorgaben eines Bebauungsplans bestehen. Der einschlägige Bebauungsplan „Ortsmitte …“ ist jedoch – auch nach übereinstimmender Auffassung der Beteiligten – im Hinblick auf die Überbaubarkeit der Grundstücksfläche zu den Nachbargrundstücken hin widersprüchlich und damit teilnichtig. Der Bebauungsplan sieht in seinen schriftlichen Festsetzungen vor, dass „ohne Abstandsfläche“ auf den mit Baulinien markierten Grundstücksgrenzen zu bauen ist. In seinen zeichnerischen Festsetzungen setzt er hingegen eine offene Bauweise fest. Für das Gebiet, in dem das Vorhabengrundstück gelegen ist, ist auch kein Beschluss über die Aufstellung eines Bebauungsplans gefasst, somit die Anwendung des § 34 BauGB ebenfalls nicht durch § 33 BauGB ausgeschlossen.

Ferner liegt das Vorhabengrundstück innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB und daher nicht im Außenbereich, für den § 35 BauGB gilt. Die aufeinanderfolgende Bebauung im streitgegenständlichen Bereich vermittelt den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit, so dass ein Bebauungszusammenhang vorliegt, an dem das zu bebauende Grundstück teilnimmt. Auch ist dieser Bebauungszusammenhang Teil eines Bebauungskomplexes, der nach der Zahl der vorhandenen Bauten ein gewisses Gewicht besitzt und Ausdruck einer organischen Siedlungsstruktur ist (zu den Maßstäben BVerwG, Beschl. v. 07.06.2016 – 4 B 47.14 – juris Rn. 10 m.w.N.). Dies wird auch von den Beteiligten nicht infrage gestellt.

bb)

Maßstabsbildend für das Einfügen im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist die Umgebung, insoweit sich die Ausführung eines Vorhabens auf sie auswirken kann und insoweit, als sie ihrerseits den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägt oder doch beeinflusst (stRspr, vgl. BVerwG, Beschl. v. 04.01.2022 – 4 B 35.21 – juris Rn. 6 m.w.N.). Welcher räumliche Bereich hiernach die „nähere Umgebung“ im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist, lässt sich deshalb nicht schematisch, sondern nur nach der jeweiligen tatsächlichen städtebaulichen Situation bestimmen, in die das für die Bebauung vorgesehene Grundstück eingebettet ist. Die Grenze zwischen näherer und fernerer Umgebung kann dabei auch dort zu ziehen sein, wo zwei jeweils einheitlich geprägte Bebauungskomplexe mit voneinander verschiedenen Bau- und Nutzungsstrukturen aneinanderstoßen. Der Grenzverlauf der näheren Umgebung ist nicht davon abhängig, dass die unterschiedliche Bebauung durch eine künstliche oder natürliche Trennlinie (Straße, Schienenstrang, Gewässerlauf, Geländekante etc.) entkoppelt ist. Eine solche Linie hat bei einer beidseitig andersartigen Siedlungsstruktur nicht stets eine trennende Funktion. Umgekehrt führt ihr Fehlen nicht dazu, dass benachbarte Bebauungen stets als miteinander verzahnt anzusehen sind und insgesamt die nähere Umgebung ausmachen (BVerwG, Beschl. v. 28.08.2003 – 4 B 74.03 – juris Rn. 2 m.w.N.; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 13.11.2023 – 14 S 1161/23 – juris Rn. 29).

Die für die Bauweise maßgebliche Umgebungsbebauung ist die Bebauung des Gevierts … Straße, …, … und …. Entgegen der Auffassung der Beklagten beschränkt sich die nähere Umgebung nicht auf die östliche Bebauung entlang der … Straße zwischen der … im Norden und der … im Süden. Der Hausgartenbereich im Inneren des Gevierts bewirkt keine Zäsur, ist das Geviert doch räumlich sowie flächenmäßig überschaubar und besteht von der … eine Sichtbeziehung zum Vorhabengrundstück. Vor diesem Hintergrund ist auch die unterschiedliche Ausrichtung von Gebäuden (trauf- oder giebelständig) des Gevierts nicht geeignet, die nähere Umgebung weiter zu begrenzen. Die auf der anderen (westlichen) Seite der … Straße gelegenen Gebäude (… Straße 7, … Straße 16 bis 20) gehören hingegen nicht zur näheren Umgebung. Insofern erweist sich die … Straße als Zäsur.

cc)

Bedeutsam für die Frage des Einfügens hinsichtlich der Bauweise, also die Bebauung des Grundstücks in Beziehung zu seinen Grenzen und zu den Nachbargebäuden, sind die sich aus § 22 BauNVO ergebenden Gesichtspunkte. Denn die Vorschriften der Baunutzungsverordnung können im unbeplanten Innenbereich als Auslegungshilfe herangezogen werden. Sie enthalten definitorische Grundsätze, was etwa die Begriffe der offenen oder geschlossenen Bauweise meinen (vgl. BVerwG Urt. v. 05.12.2013 – 4 C 5.12 – juris Rn. 12 m.w.N.). Entspricht die im Gebiet vorhandene Bebauung einer nach § 22 BauNVO vorgegebenen offenen, geschlossenen oder abweichenden Bauweise, so fügt sich ein Vorhaben nur ein, wenn es dieser Bauweise entspricht. Vom Vorliegen einer Bauweise im Sinne des § 22 BauNVO kann dabei nur ausgegangen werden, wenn in der näheren Umgebung die Gebäude derart gebaut sind, dass in ihnen ein ablesbares organisch gewachsenes bauplanerisches Ordnungssystem zum Ausdruck kommt, das zur Annahme des Vorliegens einer solchen Bauweise berechtigt. Ein Gebäude muss dabei nach planungsrechtlichen Vorschriften allerdings nur dann an die Grenze gebaut werden, wenn die Eigenart der näheren Umgebung eine Bebauung entsprechend einer geschlossenen Bauweise oder einer abweichenden Bauweise im Sinne von § 22 Abs. 3 oder 4 BauNVO zwingend verlangt und daher eine Bebauung mit Abstandsflächen sich nicht einfügen würde. Ist in einem unbeplanten Gebiet teils offene bzw. halboffene und teils geschlossene Bauweise vorzufinden, besteht kein Zwang zu einer Grenzbebauung (vgl. BVerwG, Beschl. v. 11.03.1994 – 4 B 53.94 – juris Rn. 4; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 13.11.2023 – 14 S 1161/23 – juris Rn. 27 m.w.N.). Die „Eigenart“ der näheren Umgebung wird grundsätzlich durch die tatsächlich vorhandene Bebauung geprägt, wie sie nach außen wahrnehmbar in Erscheinung tritt (BVerwG, Urt. v. 26.05.1978 – IV C 9.77 – juris Rn. 34; Beschl. v. 16.07.2018 – 4 B 51.17 – juris Rn. 6). Hinsichtlich der Bauweise sind insoweit allerdings ausschließlich die Hauptnutzungen in den Blick zu nehmen. Entsprechend sind bei der Bestimmung der Eigenart der näheren Umgebung hinsichtlich der Bauweise erkennbar lediglich Nebennutzungen dienende bauliche Anlagen – etwa Garagen, Stallgebäude u. ä. – nicht zu berücksichtigen. Denn die Regelungen zur Bauweise in § 22 BauNVO haben nur die Verortung von Wohngebäuden auf Grundstücken im Blick, während für Nebenanlagen bauplanungs- und bauordnungsrechtlich abweichende Regelungen greifen (§ 23 Abs. 5 BauNVO, § 6 Abs. 1 LBO; vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 13.11.2023 – 14 S 1161/23 – juris Rn. 32 m.w.N.).

Vorliegend sind die Gebäude des Gevierts … Straße, …, … und … nicht derart gebaut, dass in ihnen ein ablesbares organisch gewachsenes bauplanerisches Ordnungssystem zum Ausdruck kommt, das zur Annahme des Vorliegens einer halboffenen Bauweise, bei der die Gebäude auf der einen Seite mit und auf der anderen Seite ohne seitlichen Grenzabstand errichtet werden (zum Begriff VGH Bad.-Württ., Urt. v. 13.11.2023 – 14 S 1161/23 – juris Rn. 35), berechtigt. Da in der näheren Umgebung teils die offene, teils die halboffene und teils die geschlossene Bauweise vorzufinden sind, besteht kein Zwang zu einer einseitigen Grenzbebauung. Während die Gebäude der Grundstücke … Straße 14 und 16 in halboffener Bauweise errichtet sind, gilt dies nach Inaugenscheinnahme der näheren Umgebung durch die Kammer nicht für die Gebäude … Straße 12. Auf diesem Grundstück lässt sich eine Hauptnutzung an der nordöstlichen wie auch der südwestlichen Grundstücksgrenze (Wohnnutzung) feststellen. In offener Bauweise errichtet sind die Gebäude der Grundstücke … 2a und … 11 bis 17. Noch nicht einmal das vormals auf dem Baugrundstück … Straße 18 vorhandene, der Hauptnutzung Wohnen dienende Gebäude war in halboffener Bauweise errichtet. Die beseitigte bauliche Anlage behält im Hinblick auf den für dieses Urteil maßgeblichen Zeitpunkt der Sach- und Rechtslage ihre für die Eigenart der näheren Umgebung prägende Wirkung (hierzu BVerwG, Beschl. v. 02.10.2007 – 4 B 39.07 – juris Rn. 2; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 29.03.2017 – 5 S 1389/16 – juris Rn. 8). Bei der baulichen Anlage mit dem zur klägerischen Grundstücksgrenze abfallenden Dach, die ursprünglich auf dem Baugrundstück grenzständig errichtet war, handelte es sich um eine Nebenanlage, mithin um eine Anlage, die nicht Teil der Hauptanlage war. Für die Frage, ob eine Anlage keine Nebenanlage ist, weil sie Teil der Hauptanlage ist, ist in räumlicher Hinsicht maßgeblich, ob das Vorhaben ein eigenständiges Gebäude ist, es in das Hauptgebäude integriert oder mit ihm konstruktiv verbunden ist. Jedenfalls im Regelfall wird eine Nebenanlage baulich selbständig sein, während ein an ein Wohnhaus angebauter Raum als Erweiterung der Hauptanlage keine Nebenanlage ist. Zwar sind auch Nebenanlagen denkbar, die an die Hauptanlage angebaut sind. In solchen Fällen muss aber durch die Bauweise, die Gestaltung des Zugangs oder auf andere Weise die auf eine Nebenanlage beschränkte Funktion deutlich hervortreten (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.12.2017 – 4 C 9.16 – juris Rn. 10 m.w.N.). In räumlicher Hinsicht war der vormalige Anbau nicht Teil der Hauptanlage. Zwar schloss sich der Anbau nach den vorgelegten Lichtbildern über seine lange Seite an das Hauptgebäude an und nutzte eine vorhandene Außenwand als Gegenwand. Allerdings war der Anbau nicht nur im Vergleich zum Gebäude, an das er sich anlehnte, von geringer Höhe und einfacher Bauweise (einfache Platten ohne Isolierung als Dach), sondern sogar auf der straßenabgewandten Seite offen und konnte nur über diese offene Seite betreten werden. Einen Zugang zum Wohngebäude unterhalb des Daches gab es nicht. Auch funktionelle Gesichtspunkte führen nicht zu einer anderen Einordnung. Zwar kann ein Abstellraum je nach gelagerten Gegenständen (etwa: Lebensmittel, Winterkleidung, Spielsachen) funktionell der Wohnnutzung zugeordnet sein (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.12.2017 – 4 C 9.16 – juris Rn. 11). Anhaltspunkte dafür hat das Gericht vorliegend allerdings nicht. Im Gegenteil lässt gerade die einfache Bauweise und die Offenheit der baulichen Anlage nach lebensnaher Betrachtung darauf schließen, dass in dem Raum unter dem Dach keine Gegenstände gelagert werden sollten bzw. gelagert wurden, die eine Einstufung als Teil der Hauptanlage rechtfertigen. Ob die auf den Eckgrundstücken … Straße 10 und … 2 errichteten Gebäude ihrer Bauweise nach als halbseitig offen zu qualifizieren sind, kann im Hinblick auf die Heterogenität der sonst festzustellenden Bauweisen dahingestellt bleiben.

Selbst wenn die maßgebliche Umgebungsbebauung auf die Gebäude des östlichen Straßenzuges entlang der … Straße zwischen …- und … begrenzt wäre, würde sich nichts anderes ergeben. Auch dann wäre ein ablesbares organisch gewachsenes bauplanerisches Ordnungssystem, das zur Annahme des Vorliegens einer halboffenen Bauweise berechtigt, im Hinblick darauf, dass weder die abgerissene Bebauung auf dem Vorhabengrundstück halbseitig offen war noch die Bebauung auf dem Grundstück … Straße 12 halbseitig offen ist, nicht zu erkennen.

b)

Auch § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LBO als weitere Ausnahmebestimmung zu § 5 Abs. 1 Satz 1 LBO greift nicht, da nicht öffentlich-rechtlich gesichert ist, dass auf dem Nachbargrundstück der Kläger – … Straße 16 – ebenfalls an die Grenze gebaut wird. Die öffentlich-rechtliche Sicherung ist nicht nach § 5 Abs. 1 Satz 3 LBO entbehrlich, weil nach den Festsetzungen einer abweichenden Bauweise unabhängig von der Bebauung auf dem Nachbargrundstück an die Grenze gebaut werden dürfte.

c)

Ferner liegt kein in § 6 Abs. 1 oder 3 LBO geregelter Sonderfall vor. Insbesondere können nicht nach § 6 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 LBO geringere Tiefen der Abstandsflächen zugelassen werden, da vorliegend durch die genehmigte bauliche Anlage des Beigeladenen nachbarliche Belange erheblich beeinträchtigt werden. Dabei ist von der normativen Wertung auszugehen, dass eine erhebliche Beeinträchtigung nachbarlicher Belange regelmäßig vorliegt, wenn die nachbarschützende Abstandsflächentiefe unterschritten wird, gleichgültig, ob die Unterschreitung gravierend oder geringfügig ist. Nachbarliche Belange sind in einem solchen Fall nur dann nicht erheblich beeinträchtigt, wenn die vorhandene Situation in Bezug auf das Nachbargrundstück durch bauordnungsrechtlich relevante Besonderheiten gekennzeichnet ist, die das Interesse des Nachbarn an der Einhaltung der nachbarschützenden Abstandsflächentiefe deutlich mindern oder als weniger schutzwürdig erscheinen lassen (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 21.07.2020 – 8 S 702/19 – juris Rn. 46 m.w.N.). Besondere Umstände oder eine Sondersituation, aufgrund derer das Nachbargrundstück im Hinblick auf das ihm im Regelfall zustehende Maß an Besonnung, Belüftung und Belichtung trotz Nichteinhaltung der Abstandsflächenvorschriften weniger schutzwürdig wäre, liegen nicht vor.

2.

Die Kläger können sich auf den Verstoß der Baugenehmigung gegen § 5 Abs. 1 Satz 1 LBO allerdings nach Treu und Glauben nicht berufen.

Ein Nachbar, der seinerseits den erforderlichen Grenzabstand nicht einhält, ist nach dem Grundsatz von Treu und Glauben daran gehindert, die Verletzung des Grenzabstands beim Bauherrn zu rügen, wenn die Verletzung nachbarschützender Abstandsregelungen durch das angegriffene Vorhaben nicht schwerer wiegt als der eigene Verstoß und in gefahrenrechtlicher Hinsicht keine völlig untragbaren Zustände entstehen (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 29.09.2010 – 3 S 1752/10 – juris Rn. 5 m.w.N.). Das Wohnhaus der Kläger auf dem Grundstück … Straße 16 hält seinerseits in südwestlicher Richtung den erforderlichen Grenzabstand nicht ein. Mithin verlangen die Kläger vom Beigeladenen die Einhaltung eines – von der … Straße aus in Bezug auf ihr Grundstück gesehen – linksseitigen Grenzabstands, den sie selbst nicht einhalten. Sie verwehren ihm etwas, was sie für sich selbst beanspruchen. Die Verletzung nachbarschützender Abstandsregelungen durch das angegriffene Vorhaben des Beigeladenen wiegt nicht weniger schwer als der eigene Verstoß. Dafür, dass in gefahrenrechtlicher Hinsicht völlig untragbare Zustände entstehen, ist nichts ersichtlich. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der beiden im Grenzbau vorhandenen Fenster in Richtung … Straße.

Der Einwand der Kläger, ihnen könne keine Treuwidrigkeit entgegengehalten werden, da ihr Wohngebäude in südwestlicher Hinsicht und damit nicht zum Grundstück des Beigeladenen grenzständig errichtet sei und es nur treuwidrig sei, wenn ein Nachbar dem Bauherrn eine Bebauungsmöglichkeit verwehren wolle, von der er selbst im Verhältnis zum Vorhabengrundstück Gebrauch gemacht habe, verfängt nicht. Anders als die Kläger meinen, machen diese auch dann im Verhältnis zum Vorhabengrundstück von einer grenzständigen Bebauung Gebrauch, wenn sie ihr Wohnhaus an die gegenüberliegende Grundstücksgrenze gebaut haben. Hierdurch nutzen sie ihr Grundstück hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung intensiver, als es ihnen unter Einhaltung der Abstandsflächen nach § 5 Abs. 1 Satz 1 LBO möglich ist. Könnten sie verlangen, dass auf dem Vorhabengrundstück in Richtung ihres Grundstücks Abstandsflächen eingehalten werden, würden sie dem Beigeladenen die entsprechende intensive Nutzung seines Grundstücks verwehren und aufgrund der in südwestlicher Richtung grenzständigen Lage ihres Wohnhauses dadurch zusätzlich profitieren, dass in nordöstlicher Richtung die bauliche Verdichtung – mit all ihren Nachteilen – geringer ist. Entgegen der Auffassung der Kläger besteht daher auch dann ein wechselseitiges Austauschverhältnis, wenn die auf den benachbarten Grundstücken vorhandenen baulichen Anlagen nicht aneinandergrenzen. Dies führt auch nicht zu einer Ausdehnung des Austauschverhältnisses auf alle Grundstücke in der näheren Umgebung. Auch kann keine Rede davon sein, dass mit der Auffassung des Gerichts das Abstandsflächenrecht unterlaufen würde. Dass ein Nachbar nach Treu und Glauben daran gehindert ist, die Verletzung des Grenzabstands beim Bauherrn zu rügen, ändert nichts an der Aufgabe der Baurechtsbehörde, die Wahrung der §§ 5 bis 7 LBO sicherzustellen. Aus der vom Kläger-Vertreter zitierten Rechtsprechung folgt nichts anderes. Der Beschluss des Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg vom 19.12.2012 (OVG 2 S 44.12 – juris Rn. 11) betraf die vom vorliegenden Fall abweichende Konstellation, dass ein Grundstückseigentümer rechtliche Abwehrmaßnahmen gegen eine durch einen Nachbarn hervorgerufene Beeinträchtigung ergreift, obwohl er diesem Nachbarn spiegelbildlich dieselbe Beeinträchtigung zumutet. Aussagen zu der vorliegenden Konstellation hat das Oberverwaltungsgericht nicht getroffen.

2.

Die Baugenehmigung vom 17.09.2021 verstößt ebenfalls nicht gegen drittschützende Vorgaben des Bebauungsplans (§ 30 Abs. 1 BauGB) bzw. – soweit der Bebauungsplan „Ortsmitte …“ unwirksam ist – des § 34 Abs. 1 BauGB, jeweils in Verbindung mit § 52 Abs. 2 Nr. 1 LBO. Insbesondere verstößt sie nicht gegen das Gebot der Rücksichtnahme (hierzu § 15 BauNVO und VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 15.05.2023 – 3 S 266/23 – juris Rn. 18 m.w.N.), wie vom Kläger-Vertreter in der mündlichen Verhandlung eingeräumt. Das Vorhaben des Beigeladenen beeinträchtigt die Nutzung des klägerischen Grundstücks nicht unzumutbar. Das gilt weder im Hinblick auf die Belange der Belichtung, Belüftung und Besonnung noch im Hinblick auf gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse. Auch eine unzumutbare Verschattung des Grundstücks der Kläger durch die genehmigte, nordöstlich des Grundstücks der Kläger gelegene bauliche Anlage des Beigeladenen ist nicht festzustellen. Allenfalls in den Morgenstunden und allgemein bei diffusem Licht ist die Besonnung und Belichtung des Grundstücks der Kläger durch die bauliche Anlage des Beigeladenen etwas eingeschränkt. Hinzukommt, dass die Besonnung und Belichtung bereits durch das vormals auf dem Grundstück des Beigeladenen befindliche Gebäude eingeschränkt gewesen waren. Eine unzumutbare weitere Einschränkung lässt sich nicht feststellen. Dem Bauvorhaben kommt auch keine unzumutbare „erdrückende“ Wirkung zu. Die Baukörper stehen nicht frontal zueinander. Außerdem befindet sich das Gebäude des Beigeladenen nicht in der gesamten Gebäudetiefe auf der Grundstücksgrenze, sondern verfügt über einen 2,40 m tiefen Rücksprung, der dazu führt, dass Belastungen des Grundstücks der Kläger reduziert werden.

Soweit die Kläger geltend machen, das genehmigte Bauvorhaben führe zu einer Wertminderung ihres Wohngrundstücks, ist darauf hinzuweisen, dass Wertminderungen als Folge der Ausnutzung der einem Dritten erteilten Baugenehmigung für sich genommen keinen Maßstab dafür bilden, ob Beeinträchtigungen im Sinne des Rücksichtnahmegebots zumutbar sind oder nicht. Einen allgemeinen Rechtssatz des Inhalts, dass der einzelne einen Anspruch darauf hat, vor jeglicher Wertminderung bewahrt zu werden, gibt es nicht (vgl. BVerwG, Beschl. v. 13.11.1997 – 4 B 195.97 – juris Rn. 6; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 01.04.2019 – 5 S 2102/18 – juris Rn. 15).

3.

Soweit die Kläger vorbringen, das Bauvorhaben verstoße gegen den nach § 7 LBOAVO gebotenen Brandschutz, weil an der Schmalseite im Bereich des Stellplatzes eine Fensteröffnung (des Kinderzimmers) vorgesehen sei, dringen sie hiermit deshalb nicht durch, da sich ein eventueller Verstoß gegen § 7 LBOAVO nach dem in § 52 Abs. 2 LBO vorgesehenen reduzierten Prüfprogramm nicht – auch nicht vermittels des Abstandsflächenrechts – auf die Rechtmäßigkeit einer – wie hier – im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren erteilten Baugenehmigung auswirkt, jedenfalls soweit – was hier der Falls ist – keine in gefahrenrechtlicher Hinsicht völlig untragbaren Zustände entstehen (s.o.). Das gleiche gilt, soweit die Kläger geltend machen, es fehle eine Zuwegung zu den Müllboxen bzw. an einem für alle Bewohner zugänglichen Kinderspielplatz. Ebenfalls nicht vom Prüfprogramm des § 52 Abs. 2 LBO gedeckt sind Fragen der Stellplätze auf dem Vorhabengrundstück, der Verfügbarkeit öffentlicher Parkplätze oder der Belästigung durch Straßenverkehr.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 159 Satz 2 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen waren den Klägern nicht nach § 162 Abs. 3 VwGO aus Billigkeit aufzuerlegen, da der Beigeladene weder einen Antrag gestellt noch das Verfahren wesentlich gefördert hat (vgl. BVerwG, Beschl. v. 13.01.1987 – 6 C 55.83 – juris Rn. 4; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 20.01.2011 – 8 S 2567/10 – juris Rn. 6).

B E S C H L U S S

Der Streitwert wird gemäß § 52 Abs. 1 GKG auf 10.000,– € festgesetzt (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 19.11.2020 – 5 S 3121/20 – juris Rn. 36).


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