OVG Lüneburg – Az.: 1 ME 48/22 – Beschluss vom 12.09.2022
Soweit die Antragstellerin zu 2. ihre Beschwerde zurückgenommen hat, wird das Verfahren eingestellt.
Die Beschwerde der Antragstellerin zu 1. gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover – 4. Kammer – vom 7. April 2022 wird zurückgewiesen.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens als Gesamtschuldner. Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind erstattungsfähig.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 15.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin zu 1. wendet sich gegen eine dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung zur Errichtung eines Mehrfamilienhauses; sie befürchtet Beschränkungen ihres landwirtschaftlichen Betriebs aufgrund der von diesem ausgehenden Geruchsimmissionen.
Die Antragstellerin zu 1. ist Eigentümerin der Hofstelle H. in der Stadt A-Stadt; der landwirtschaftliche Betrieb umfasst Futtermittelanbau und Schweinehaltung. Auf der Hofstelle befinden sich unter anderem Stallanlagen mit rund 1.080 Tierplätzen sowie eine Lagerhalle für Getreide. Der Betrieb verfügt zudem über einen etwa 400 m nördlich der Hofstelle gelegenen Außenstandort mit weiteren rund 1.650 Tierplätzen. Für alle Betriebsteile liegen bestandskräftige Genehmigungen vor.
Der Beigeladene ist Eigentümer des zwischen der Hofstelle und dem Außenstandort südlich der Ortsdurchfahrt gelegenen Grundstücks F-Straße. Das Grundstück, das ebenso wie die Hofstelle der Antragstellerin zu 1. im Geltungsbereich einer Innenbereichssatzung liegt, ist unter anderem mit einer Gastwirtschaft mit Nebengebäuden bebaut. Der Beigeladene plant die Errichtung eines Mehrfamilienhauses mit 11 Wohneinheiten im Südwesten seines Grundstücks in einem Abstand von etwa 100 m zum nächstgelegenen Gebäude auf der Hofstelle der Antragstellerin. Der Standort des Vorhabens ist ausweislich eines im Baugenehmigungsverfahren vorgelegten Geruchsgutachtens vom 17. Juni 2021 mit Gerüchen aus der Tierhaltung im Umfang von 15 % der Jahresstunden belastet. Auf dieser Grundlage erteilte der Antragsgegner unter dem 1. Oktober 2021 die Baugenehmigung, gegen die die Antragstellerin zu 1. einen bislang unbeschiedenen Widerspruch einlegte.
Den nach Baubeginn gestellten Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz hat das Verwaltungsgericht mit dem angegriffenen Beschluss vom 7. April 2022 abgelehnt. Soweit die Antragstellerin zu 1. einen Verstoß gegen die Vorgaben der Innenbereichssatzung zum zulässigen Maß der baulichen Nutzung bzw. der Anzahl der Wohneinheiten geltend mache, entfalte diese keinen Drittschutz. Seiner Art nach sei das Vorhaben im faktischen Dorfgebiet zulässig; dass es sich um ein Mehrfamilienhaus handele, laufe der Zweckbestimmung eines Dorfgebiets nicht zuwider. Ein „Umschlagen der Quantität in Qualität“ liege nicht vor. Auch das Gebot der Rücksichtnahme sei nicht verletzt. Schädlichen Umwelteinwirkungen in Gestalt von Gerüchen aus der Landwirtschaft setze sich das Vorhaben nicht aus. Der für ein Dorfgebiet maßgebliche Immissionsrichtwert der Geruchsimmissionsrichtlinie von 15 % der Jahresstunden sei ausweislich des eingeholten Geruchsgutachtens eingehalten. Unzumutbaren Staubimmissionen und einer unzumutbaren Lärmbelastung setze sich das Vorhaben des Beigeladenen nicht aus.
Gegen diesen Beschluss richtet sich – nach Rücknahme der Beschwerde im Übrigen – die Beschwerde der Antragstellerin zu 1., der der Antragsgegner und der Beigeladene entgegentreten.
II.
Soweit die Antragstellerin zu 2. ihre Beschwerde zurückgenommen hat, wird das Beschwerdeverfahren eingestellt (§ 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO analog).
Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin zu 1. ist unbegründet. Die dargelegten Gründe rechtfertigen keine Änderung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO).
1.
Zu Unrecht beruft sich die Antragstellerin zu 1. auf eine Verletzung ihres Gebietserhaltungsanspruchs gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO. Das Vorhaben des Beigeladenen ist – wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat – in dem hier vorliegenden faktischen Dorfgebiet gemäß § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 5 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO zulässig. Auch ein Verstoß gegen § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO liegt nicht vor. Die in den §§ 2 bis 14 BauNVO aufgeführten baulichen und sonstigen Anlagen sind danach im Einzelfall unzulässig, wenn sie nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets widersprechen. Die allein für die Art, nicht aber das Maß der baulichen Nutzung geltende Bestimmung geht davon aus, dass – ausnahmsweise – Quantität in Qualität umschlagen, mithin die Größe einer baulichen Anlage die Art der baulichen Nutzung erfassen kann (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.3.1995 – 4 C 3.94 -, juris Rn. 17 = NVwZ 1995, 899 = BRS 57 Nr. 175). Auch diese Vorschrift ist nachbarschützend; sie vermittelt einen Anspruch auf Aufrechterhaltung der typischen Prägung eines Baugebiets (vgl. BVerwG, Beschl. v. 13.5.2002 – 4 B 86.01 -, juris Rn. 4 ff. = NVwZ 2002, 1384 = BRS 65 Nr. 66; Senatsbeschl. v. 28.5.2014 – 1 ME 47/14 -, BRS 82 Nr. 79 = juris Rn. 13).
Eine solche typische Prägung sieht die Antragstellerin zu 1. darin, dass in einem Dorfgebiet auf die Belange land- und forstwirtschaftlicher Betriebe einschließlich ihrer Entwicklungsmöglichkeiten vorrangig Rücksicht zu nehmen ist (§ 5 Abs. 1 Satz 2 BauNVO). Damit vertrage sich eine Zulassung besonders großer Mehrfamilienhäuser in der Nähe land- und forstwirtschaftlicher Betriebe nicht. Konfliktpotenzial resultiere daraus, dass ein Unterschied zwischen dem bestehe, was Menschen tatsächlich als störend empfänden und was rechtlich als unzumutbare und somit abwehrbare Störung gelte. Mittelfristig drohe durch die Zulassung derartiger Vorhaben daher der Charakter des Dorfgebietes verloren zu gehen.
Mit dieser Argumentation berücksichtigt die Antragstellerin zu 1. indes nicht ausreichend, dass das Dorfgebiet gemäß § 5 BauNVO ausdrücklich auch dem Wohnen dient. Eine Beschränkung auf bestimmte Wohnformen, etwa auf Ein- und Zweifamilienhäuser, ist damit nicht verbunden; zulässig ist vielmehr auch stärker verdichtetes Wohnen. Die von der Antragstellerin zu 1. sinngemäß vertretene Auffassung, in einem Dorfgebiet dürfe es jedenfalls in der Nachbarschaft land- und forstwirtschaftlicher Betriebe keine Mehrfamilienhäuser geben, ist dem geltenden Baurecht fremd. Vor diesem Hintergrund vermag das genehmigte Mehrfamilienhaus mit 11 Wohneinheiten und 17 Einstellplätzen die Prägung des Gebiets nicht in einer gemessen an § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO relevanten Weise zu beeinträchtigen. Der Ortsteil A. weist ausweislich der im Internet verfügbaren Luftbilder hinsichtlich der vorhandenen Gebäude eine dorfgebietstypisch heterogene Struktur auf. Das Vorhaben des Beigeladenen sticht insofern nicht besonders hervor. 11 Wohneinheiten stellen auch bei weitem keine Anzahl dar, die die Annahme, hier schlage „Quantität in Qualität“ um, rechtfertigen könnte. Richtig ist zwar die tatsächliche Betrachtung der Antragstellerin zu 1., dass weitere Nachbarn auch weitere potenzielle Beschwerdeführer bedeuten. Für die baurechtliche Betrachtung ist dies mit Blick auf die Wertung des § 5 BauNVO, der ausdrücklich Wohnen und Landwirtschaft innerhalb eines Gebietes gestattet, indes nicht maßgeblich, solange Beschwerden nicht rechtlich begründet sind. Etwaige Befindlichkeiten zukünftiger neuer Nachbarn können kein Anlass sein, einem Grundstückseigentümer die in § 5 BauNVO grundsätzlich zugesicherte Nutzungsmöglichkeit zu versagen.
2.
Ein Gebietserhaltungsanspruch lässt sich auch nicht unter Berufung auf die für den Ortsteil I. geltende Innenbereichssatzung der Stadt A-Stadt begründen. Wie die Antragstellerin zu 1. selbst ausführt, soll das Vorhaben des Beigeladenen gerade nicht in dem in der Satzung schraffierten Bereich entstehen, in dem gemäß § 3 eine Grundflächenzahl von 0,2, eine Mindestgröße von 1.000 qm pro Baugrundstück und eine Höchstzahl von einer Wohnung je Wohngebäude und je 1.000 qm Baugrundstück vorgegeben sind. Widerspricht das Vorhaben des Beigeladenen mithin den Vorgaben der Innenbereichssatzung nicht, liegt die Argumentation der Antragstellerin zu 1., aus der Innenbereichssatzung folge eine ihr günstige Begrenzung der baulichen Entwicklung auch mit Wirkung für den Bereich, in dem das Vorhaben des Beigeladenen realisiert werden soll, fern.
3.
Ein Verstoß gegen das hier vermittelt über § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO wirksame Gebot der Rücksichtnahme liegt ebenfalls nicht vor. Danach sind Vorhaben unzulässig, wenn von ihnen Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind, oder wenn sie solchen Belästigungen oder Störungen ausgesetzt werden. Heranrückende Wohnbebauung verletzt nach diesen Maßgaben einem bestehenden emittierenden Betrieb gegenüber das Gebot der Rücksichtnahme, wenn ihr Hinzutreten die rechtlichen Rahmenbedingungen, unter denen der Betrieb arbeiten muss, gegenüber der vorher gegebenen Lage verschlechtert. Das ist dann der Fall, wenn der Betrieb durch die hinzutretende Bebauung mit nachträglichen Auflagen rechnen muss (vgl. Senatsurt. v. 12.6.2018 – 1 LB 141/16 -, RdL 2018, 318 = juris Rn. 23). Maßgeblich ist mit anderen Worten, ob die neuen Nachbarn mit Erfolg Nachbarrechte für sich reklamieren könnten. Die bloße Besorgnis, die Nachbarn könnten sich ohne rechtlichen Grund gegen die bestehende landwirtschaftliche Nutzung wenden und die Lage des landwirtschaftlichen Betriebs faktisch erschweren, ist rechtlich unbeachtlich. Gemessen daran liegt ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme nicht vor.
a)
Unzumutbaren Störungen und Belästigungen in Gestalt schädlicher Umwelteinwirkungen (§ 3 Abs. 1 BImSchG) durch Geruchsbelästigungen setzt sich das Vorhaben des Beigeladenen bereits unter rechtlichen Gesichtspunkten nicht aus. Zur Beurteilung der Zumutbarkeit von Geruchsbelästigungen orientiert sich der Senat in Fällen, die – wie dieser – noch nicht nach der zum 1. Dezember 2021 in Kraft getretenen Neufassung der TA Luft zu beurteilen sind, zwar grundsätzlich an den Immissionsrichtwerten der GIRL (Geruchsimmissionsrichtlinie v. 29.2.2008/10.9.2008, Gem. RdErl. v. 23.7.2009, Nds. MBl. 2009, 794; vgl. nur Senatsurt. v. 11.2.2020 – 1 LC 63/18 -, BauR 2020, 1764= juris Rn. 34; v. 30.6.2021 – 1 LC 120/17 -, BauR 2022, 56 = juris Rn. 42; v. 10.2.2022 – 1 LB 20/19 -, BauR 2022, 1027 = juris Rn. 29). Bei der Bestimmung der Zumutbarkeit von Belästigungen sind nach der vom Senat geteilten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts indes Vorbelastungen schutzmindernd zu berücksichtigen, die eine schutzbedürftige Nutzung an einem Standort vorfindet, der durch eine schon vorhandene emittierende Nutzung vorgeprägt ist. Im Umfang der Vorbelastung sind Immissionen zumutbar, auch wenn sie nach Maßgabe der Immissionsrichtwerte der GIRL in einem vergleichbaren Gebiet sonst nicht hinnehmbar wären (vgl. dazu bereits BVerwG, Urt. v. 18.5.1995 – 4 C 20.94 -, BVerwGE 98, 235 = BRS 57 Nr. 67 = juris Rn. 23). Soll in einem erheblich vorbelasteten Gebiet ein weiteres emittierendes Vorhaben zugelassen werden, ist das jedenfalls dann möglich, wenn hierdurch die vorhandene Immissionssituation verbessert oder aber zumindest nicht verschlechtert wird, sofern die Vorbelastung die Grenze zur Gesundheitsgefahr noch nicht überschritten hat (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) und das – immissionsschutzrechtlich nicht genehmigungsbedürftige – Vorhaben den Anforderungen des § 22 Abs. 1 BImSchG genügt (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.6.2017 – 4 C 3.16 -, BVerwGE 159, 187 = juris Rn. 13 m.w.N.; Senatsurt. v. 11.2.2020 – 1 LC 63/18 -, BauR 2020, 1764= juris Rn. 35; v. 30.6.2021 – 1 LC 120/17 -, BauR 2022, 56 = juris Rn. 42).
Diese Rechtsprechung, die unmittelbar die Genehmigung von landwirtschaftlichen Vorhaben bei nach Maßgabe der GIRL zu hoher Geruchsbelastung betrifft, hat Auswirkungen auch für den Nachbarschutz. Sie legt die für den Nachbarn geltende Zumutbarkeitsschwelle dann, wenn die vorgenannten Anforderungen erfüllt sind, höher. Ein neu hinzutretendes Vorhaben muss demzufolge die vorgefundene Geruchsbelastung, die sich aus einer im Rahmen der bestehenden Genehmigungen liegenden Wirtschaftsweise ergibt, als schutzmindernd und damit als zumutbar im Sinne von § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO, § 3 Abs. 1 BImSchG hinnehmen. Mit Abwehransprüchen aufgrund von über den Immissionsrichtwerten der GIRL liegenden Jahresgeruchsstunden kann es die genehmigten landwirtschaftlichen Betriebe in seinem Umfeld nicht konfrontieren (vgl. ebenso OVG SH, Urt. v. 6.5.2021 – 1 LB 12/15 -, juris Rn. 57 ff.; offen gelassen noch im Senatsurt. v. 16.8.2018 – 1 LC 180/16 -, BauR 2019, 483 = BRS 86 Nr. 130 = juris Rn. 25).
Bestimmt daher in vorbelasteten Lagen bei Erfüllung der vom Bundesverwaltungsgericht definierten Vorgaben nicht der jeweilige Immissionsrichtwert der GIRL, sondern das Maß der genehmigten Vorbelastung die Schwelle der Zumutbarkeit von Gerüchen, folgt daraus, dass der genehmigte landwirtschaftliche Betrieb der Antragstellerin zu 1. auch bei Zulassung des Vorhabens des Beigeladenen Abwehransprüche nicht fürchten muss. Gesunde Wohnverhältnisse auf dem Grundstück des Beigeladenen sind unabhängig davon gewährleistet, ob die Geruchsbelastung dort 15, 20 oder gar 25 Prozent der Jahresstunden beträgt (vgl. Senatsurt. v. 16.8.2018 – 1 LC 180/16 -, BauR 2019, 483 = BRS 86 Nr. 130 = juris Rn. 26). Im Rahmen der genehmigten Vorbelastung kann die Antragstellerin zu 1. deshalb wirtschaften und ungeachtet der heranrückenden Wohnbebauung auch Veränderungen vornehmen. Lediglich Erweiterungsabsichten, die mit einer Immissionsmehrbelastung verbunden sind, können durch heranrückende Wohnbebauung Grenzen gesetzt werden. Solche Absichten macht die Antragstellerin zu 1. indes auch mit ihrer Beschwerde nicht geltend.
Nachträgliche Auflagen können der Antragstellerin zu 1. allenfalls dann drohen, wenn ihr Betrieb die Vorgaben des § 22 Abs. 1 Satz 1 BImSchG nicht erfüllt. Danach sind (immissionsschutzrechtlich) nicht genehmigungsbedürftige Anlagen so zu errichten und zu betreiben, dass schädliche Umwelteinwirkungen verhindert werden, die nach dem Stand der Technik vermeidbar sind (Nr. 1), und dass nach dem Stand der Technik unvermeidbare schädliche Umwelteinwirkungen auf ein Mindestmaß beschränkt werden (Nr. 2). Diese Grundpflichten gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 BImSchG sind nicht nur im Zeitpunkt der Errichtung der Anlage, sondern in der gesamten Betriebsphase zu erfüllen. Sie wirken unmittelbar. Der Betreiber kann sich nicht darauf berufen, dass die Genehmigungsbescheide – wie hier die bestandskräftigen Baugenehmigungen – keine konkreten Anforderungen an den Schutz der Nachbarschaft stellen (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.5.1995 – 4 C 20.94 -, BVerwGE 98, 235 = BRS 57 Nr. 67 = juris Rn. 26 m.w.N.; Senatsurt. v. 12.5.2021 – 1 KN 90/19 -, juris Rn. 26).
Heranrückende Wohnbebauung erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass die zuständige Behörde die Einhaltung der Grundpflichten des § 22 Abs. 1 Satz 1 BImSchG anmahnt und gegebenenfalls auch rechtlich durchsetzt (§ 24 Satz 1 BImSchG). Dem Vorhaben des Beigeladenen kann die Antragstellerin zu 1. diesen Umstand indes nicht entgegensetzen. Denn die Baugenehmigungsbehörde hat bei der Entscheidung über die Genehmigung eines – wie hier – baurechtlich allgemein zulässigen Wohnbauvorhabens in der Nachbarschaft einer emittierenden Anlage davon auszugehen, dass deren Betreiber die ihm nach § 22 Abs. 1 Satz 1 BImSchG obliegenden Pflichten erfüllt. Zwar ist die Durchsetzung dieser Pflicht nicht ohne weiteres gewährleistet, weil § 24 BImSchG ein Einschreiten gegen den die Grundpflichten nicht erfüllenden Betreiber in das Ermessen der zuständigen Behörde stellt. Jedoch wäre es nicht gerechtfertigt, demjenigen, der sein Grundstück in der baurechtlich allgemein zulässigen Weise bebauen will, dieses Recht nur deshalb vorzuenthalten, weil der Betreiber der emittierenden Anlage die ihm gesetzlich obliegenden Pflichten nicht erfüllt und die Behörde nichts tut, um ihn dazu anzuhalten (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.5.1995 – 4 C 20.94 -, BVerwGE 98, 235 = BRS 57 Nr. 67 = juris Rn. 27; v. 27.6.2017 – 4 C 3.16 -, BVerwGE 159, 187 = juris Rn. 15). Diesen zutreffenden Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts schließt sich der Senat an.
b)
Mit Blick auf die vorstehenden Ausführungen merkt der Senat nur ergänzend an, dass sich das Vorhaben des Beigeladenen nach dem gegenwärtigen Sach- und Streitstand Geruchsbelastungen oberhalb der Immissionsrichtwerte der GIRL bereits tatsächlich nicht aussetzt. Die Antragstellerin zu 1. hat das im Baugenehmigungsverfahren vorgelegte Geruchsgutachten vom 17. Juni 2021, das eine Geruchsbelastung von bis zu 15 % der Jahresstunden prognostiziert und das sich der Antragsgegner mit der Erteilung der Baugenehmigung zu eigen gemacht hat, zwar mit sachverständig untermauerten Einwendungen angegriffen. Behördliche Prognoseentscheidungen sind indes gerichtlich lediglich daraufhin zu überprüfen, ob die Prognose nach einer geeigneten Methode durchgeführt wurde, ob der zugrunde gelegte Sachverhalt zutreffend ermittelt wurde und ob das Ergebnis einleuchtend begründet ist (BVerwG, Urt. v. 13.10.2011 – 4 A 4001.10 -, BVerwGE 141, 1 = juris Rn. 59 m.w.N.). Ihre Verwertbarkeit wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass es möglich ist, mit einer anderen, ebenfalls geeigneten Methodik zu abweichenden Ergebnissen zu gelangen. Gemessen daran begegnet die auf der Grundlage des Gutachtens vom 17. Juni 2021 erteilte Baugenehmigung auch im Tatsächlichen keinen rechtlichen Bedenken.
Ein Fehler des Gutachtens vom 17. Juni 2021 resultiert nicht daraus, dass die Abluftkamine der Stallanlagen der Antragstellerin zu 1. als vertikale Linienquellen von halber Schornsteinhöhe bis Schornsteinhöhe und nicht vom Boden bis Schornsteinhöhe modelliert worden sind. Die Gutachterin hat ihre zugrundeliegenden Annahmen in ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 20. Juni 2022 offengelegt und nachvollziehbar begründet. Dass diese fehlerhaft sein könnten, legt der Gutachter der Antragstellerin zu 1. in seiner Entgegnung vom 24. August 2022 nicht substantiiert dar. Wenn die Abluftkamine die rund 8 m hohen Gebäude um 1,5 m überragen, entspricht deren Höhe in etwa der 1,2fachen Gebäudehöhe; davon ist die Gutachterin des Beigeladenen ausgegangen. Dass zusätzlich der Bewuchs in der Umgebung einbezogen werden müsse, ist eine nicht weiter begründete Behauptung der Antragstellerin zu 1., die gegebenenfalls auf einen ebenfalls vertretbaren methodischen Ansatz, aber nicht auf einen Fehler des Geruchsgutachtens hinweist.
Hinsichtlich der Geländerauigkeit stimmen beide Gutachter darin überein, dass aufgrund der unterschiedlichen Rauigkeiten eine arithmetische Mittelung mit Wichtung der entsprechenden Flächenanteile vorzunehmen ist. Unterschiede ergeben sich daraus, dass die Gutachterin des Beigeladenen die im J. und K. beider Stallstandorte der Antragstellerin zu 1. liegenden Flächen gleichermaßen berücksichtigt, während sich der Gutachter der Antragstellerin zu 1. auf die Hofstelle konzentriert. Beide Ansätze erscheinen mit Blick darauf, dass beide Stallstandorte die Immissionssituation am Vorhabenstandort prägen, methodisch vertretbar. Der daran anschließende Einwand, das Gutachten vom 17. Juni 2021 mit Ergänzung vom 20. Juli 2022 gelange rechnerisch zu einer Geländerauigkeit von 0,31 m, die nach Maßgabe von Nr. 5 der Anlage 3 zur TA Luft 2002 auf den nächstgelegenen Tabellenwert von 0,5 m – und nicht auf 0,2 m – zu runden sei, geht implizit davon aus, dass nach der vorgenannten Bestimmung immer aufgerundet werden müsse. Warum das der Fall sein soll, legt die Beschwerde indes nicht dar. „Runden“ auf den nächstgelegenen Tabellenwert bedeutet im Allgemeinen, dass auf- und abgerundet werden kann; insofern liegt der in das Geruchsgutachten vom 17. Juni 2021 eingeflossene Tabellenwert von 0,2 m tatsächlich näher. Warum in diesem Fall anderes gelten soll, ist weder dargetan noch ersichtlich.
Nicht zu beanstanden ist schließlich, dass die Gutachterin des Beigeladenen die Wetterdaten der Wetterstation Bremen zugrunde gelegt hat; die dafür gegebene ausführliche Begründung in der ergänzenden Stellungnahme vom 20. Juni 2022 ist plausibel. Dass es gute Gründe geben mag, die Daten einer anderen Wetterstation zu wählen, belegt nicht, dass ihr Ansatz methodisch angreifbar oder gar fehlerbehaftet wäre.
c)
Soweit die Antragstellerin zu 1. erneut auf die mit Ernte- und Verladearbeiten auf ihrer Hofstelle verbundenen Staubbelastungen abstellt, ist ihr Vorbringen – wie bereits die Vorinstanz zutreffend ausgeführt hat – unsubstantiiert. Auf die entsprechenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts auf Seite 14 des Beschlussabdrucks nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO) und merkt nur ergänzend an, dass nicht ansatzweise dargetan ist, dass die Staubbelastung über das in einem Dorfgebiet mit seinem Nebeneinander von landwirtschaftlichen Betrieben und Wohngebäuden typische und demzufolge hinzunehmende Maß hinausgehen könnte.
d)
Die Frage, ob sich das Vorhaben des Beigeladenen unzumutbaren Lärmbelästigungen aussetzt, thematisiert die Beschwerde erst nach Ablauf der Monatsfrist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO; die entsprechenden Ausführungen, die im Übrigen auch in der Sache nicht überzeugen, müssen daher unberücksichtigt bleiben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 155 Abs. 2, §§ 159, 162 Abs. 3 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG; der Senat schließt sich den Erwägungen des Verwaltungsgerichts an.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1, § 92 Abs. 3 Satz 2 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).