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Fiktive Abnahme Werkvertrag – Annahmeverzug mit Nachbesserung

Oberlandesgericht Schleswig-Holstein – Az.: 1 U 64/20 – Urteil vom 10.12.2021

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 18.06.2020 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 2. Zivilkammer des Landgerichts Itzehoe unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung teilweise geändert.

Das Versäumnisurteil vom 16.01.2020 wird aufgehoben, soweit die Beklagte zur Zahlung von 804,70 € zzgl. Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 25.09.2018 sowie 78,90 € vorgerichtlicher Kosten verurteilt worden ist.

Hinsichtlich des Betrages von 804,70 € wird die Beklagte unter Zurückweisung des uneingeschränkten Zahlungsantrags und der Zinsforderung insoweit zur Zahlung an die Klägerin Zug um Zug gegen die Beseitigung folgender Mängel in den Büroräumen verurteilt:

An der von der Tür aus rechten Wand des Büros sind Pickel unter dem Gewebe oberhalb der ersten Leuchte und links unterhalb der zweiten Leuchte sichtbar. Weiter ist dort oberhalb der Wandlampe eine Delle im Untergrund sichtbar. An der Türwand ist zwischen Tür und Schrank im Bereich des Nagels eine Gewebefalte vorhanden.

An der Fußleiste in der rechten Leibungsseite der Balkontür ist an der Außenecke eine Holzfehlstelle und in der Fläche, an der großflächig der Lack abgeplatzt war, ist die neu aufgetragene Lackschicht im Randbereich hochgekommen. An der Fußleiste an der Türwand zwischen Tür und Schrank befindet sich eine Holzfehlstelle und die Oberseite ist unsauber gearbeitet.

Bei dem Anschluss an die Wand ist die Unterseite der NMC-Leiste mit Wandfarbe statt weiß gestrichen worden. Im Bereich der linken Bürowand von der Tür aus gesehen wurde mit der Wandfarbe in die Decke/den Sturz hineingemalt. Am rechten Fensterflügel des linken Fensters befindet sich ein Farbfleck.

Am rechten Heizkörper sind an den unteren Vorderkanten Bereiche nachzulackieren.

An dem aus dem Büroraum kommend rechten Fenster im Treppenhaus ist die obere Abschlussleiste zur Decke hin nicht deckend gestrichen. An der rechten Fensterseite befinden sich Übermalungen mit der Lackfarbe in den Wandbereich hinein oder die Abklebung ist zu entfernen und der Bereich nachzuarbeiten. An dem aus dem Büroraum kommend linken Fenster scheint der Untergrund durch.

Hinsichtlich der vorgerichtlichen Kosten wird die Klage in Höhe des Teilbetrages von 78,90 € abgewiesen.

Die Aufrechterhaltung des Versäumnisurteils vom 16.01.2020 im angefochtenen Urteil erstreckt sich danach nur auf die Verurteilung zur Zahlung von 3.256,47 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 25.09.2018 sowie 413,64 € vorgerichtlicher Kosten.

Von den Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen tragen die Klägerin 20 % und die Beklagte 80 %. Ausgenommen davon sind die Kosten der Säumnis in der ersten Instanz, die die Beklagte trägt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Den Parteien bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils für die andere Partei vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die vollstreckende Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zur Klärung der Frage zugelassen, ob eine fiktive Abnahme nach § 640 Abs. 2 BGB ausscheidet, wenn der Besteller bereits vor dem Abnahmeverlangen die Abnahme unter Angabe mindestens eines Mangels verweigert hat.

Gründe

I.

Die Klägerin verlangt die Zahlung von Werklohn.

Aufgrund eines Angebots der Klägerin vom 05.02.2018 (Anlage K 1, AB) vereinbarten die Parteien die Durchführung von Malerarbeiten in der Beklagten gehörenden Büroräumen. Nach Durchführung der Arbeiten kam es zu einem Termin am 15.05.2018, bei dem jedenfalls die Tapezierarbeiten an zwei Wänden beanstandet wurden. Die Klägerin sagte Nacharbeiten zu. Unter dem 22.08.2018 stellte die Klägerin ihre Rechnung über 4.061,17 € (Anlage K 2, AB).

Mit Schreiben vom 18.03.2019 (Anlage B 1, AB) forderte die Klägerin die Beklagte auf, ihr bis zum 29.03.2019 die Durchführung von Nachbesserungsarbeiten zu ermöglichen und dazu bis zum 22.03.2019 einen Termin aufzugeben. Außerdem forderte sie die Beklagte zur Abnahme bis zum 29.03.2019 auf.

Mit Schriftsatz vom 19.09.2019 (Bl. 125 d. A.) erklärte der Prozessbevollmächtigte der Beklagten in ihrem Namen den Rücktritt vom Vertrag. Die Klägerin beanstandete das Fehlen einer Vollmacht.

Die Klägerin hat behauptet, sie habe die Überarbeitung der Tapezierarbeiten nur aus Kulanz zugesagt. Der Aufwand dafür liege unterhalb von 200,00 €. Die Beklagte habe für die Arbeiten einen Termin aufgeben wollen. Daran sei sie in der Folgezeit erinnert worden. Die Versuche einer telefonischen Kontaktaufnahme oder des Erlangens von Zutritt vor Ort seien gescheitert.

Die Klägerin hat die Zahlung von 4.061,17 € nebst Zinsen und Kosten verlangt. Die Beklagte hat Klagabweisung beantragt.

Die Beklagte hat behauptet, sie habe schon während der laufenden Arbeiten und bei deren Beendigung Mängel gerügt. Die Klägerin habe sich wegen Nacharbeiten bei ihr melden wollen. Es seien umfangreiche Mängel wie Unebenheiten der Wände, Beschädigungen der Fußleisten und Übermalungen vorhanden. Sie habe die Klägerin mit Schreiben vom 20.04.2019 zur Angabe eines Termins für Nachbesserungsarbeiten aufgefordert. Eine Nachbesserung sei ihr unzumutbar, weil die Arbeiten vollständig nicht fachgerecht ausgeführt worden seien.

Das Landgericht, auf dessen Urteil wegen der näheren Einzelheiten gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen wird, hat ein die Beklagte in voller Höhe verurteilendes Versäumnisurteil aufrechterhalten. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Werklohnanspruch der Klägerin sei fällig. Ihr Werk gelte nach § 640 Abs. 2 BGB als abgenommen, weil die Beklagte auf das Schreiben vom 18.03.2019 nicht reagiert habe.

Der Beklagten stünden keine Gegenansprüche zu. Da sie innerhalb der gesetzten Frist keine Mangelbeseitigung ermöglicht habe, stünden ihr keine Mängelrechte mehr zu. Auch das Zurückbehaltungsrecht nach § 641 Abs. 3 BGB sei entfallen. Zudem habe sie keine Frist zur Mangelbeseitigung gesetzt. Die Fristsetzung sei nicht entbehrlich gewesen, weil die Mangelbeseitigung nicht unzumutbar gewesen sei. Die behaupteten Mängel erschütterten das Vertrauen auf eine ordnungsgemäße Nacherfüllung nicht, auch nicht ihrem Umfang nach. Auch die behaupteten Schäden seien geringfügig.

Gegen dieses Urteil richtet sich die frist- und formgerecht eingelegte und begründete Berufung der Beklagten. Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus, die Nacherfüllung sei für sie unzumutbar. Nahezu alle Arbeiten seien grob fehlerhaft. Teilweise sei der Zustand unstreitig. Damit habe sich das Landgericht auseinandersetzen müssen. Eine Beweisaufnahme sei notwendig gewesen. Ihr Vertrauen in eine ordnungsgemäße Nachbesserung sei erschüttert. Die Klägerin habe die Mängel nachdrücklich bestritten. Schon die unstreitigen Mängel zeigten eine fachlich verfehlte Arbeitsweise. Das Landgericht habe die behaupteten Schäden nicht gewürdigt. Auch deswegen sei eine Beweisaufnahme notwendig.

Eine Abnahme sei nicht erfolgt. Es seien unstreitig Mängel diskutiert worden. Die Voraussetzungen des § 640 Abs. 2 BGB lägen nicht vor. Ihr sei keine angemessene Frist zur Abnahme gesetzt worden. Das Werk sei nicht abnahmereif gewesen, weil es nicht vollständig gewesen sei.

Die Beklagte beantragt, unter vollständiger Aufhebung des am 18.06.2020 verkündeten Urteils des Landgerichts Itzehoe, Geschäftsnummer 2 O 108/19, das Versäumnisurteil vom 16.01.2020 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags.

Der Senat hat Beweis erhoben aufgrund der Beschlüsse vom 04.12.2020 (Bl. 343 d. A.) und 20.04.2021 (Bl. 411 – 412 d. A.) sowie der Verfügung vom 30.09.2021 (Bl. 487 d. A.) durch Einholung eines Sachverständigengutachtens. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Gutachten vom 09.02.2021 und 27.06.2021 sowie das Protokoll des Termins vom 19.11.2021 (Bl. 506 – 508 d. A.) Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache nur teilweise Erfolg. Sie muss der Klägerin Werklohn zahlen. Ihr steht wegen der festgestellten Mängel nur ein Zurückbehaltungsrecht, allerdings ohne Druckzuschlag, zu.

1. Der in der Höhe unstreitige Werklohnanspruch der Klägerin aus § 631 Abs. 1 BGB ist überwiegend fällig. Die nach § 641 Abs. 1 S. 1 BGB zur Fälligkeit führende Abnahme ist erfolgt. Der Anspruch ist nicht erloschen.

a) Von einer ausdrücklichen Abnahme ist nicht auszugehen. Die Klägerin hat zwar eine Abnahme nach Fertigstellung der Arbeiten am 27.04.2018 behauptet. Sie hat allerdings auf das Bestreiten der Beklagten keinen Beweis dafür angeboten.

b) Die Voraussetzungen einer fiktiven Abnahme nach § 640 Abs. 2 BGB sind gegeben. Nach dieser Vorschrift gilt ein Werk als abgenommen, wenn der Unternehmer dem Besteller nach Fertigstellung des Werks eine angemessene Frist zur Abnahme gesetzt hat und der Besteller die Abnahme nicht innerhalb dieser Frist unter Angabe mindestens eines Mangels verweigert hat. Die Klägerin hat die Beklagte mit Schreiben vom 18.03.2019 (Anlage B 1, AB) zur Abnahme aufgefordert.

aa) Dass unstreitig Mängel vorhanden sind, steht der Fertigstellung des Werks im Sinne des § 640 Abs. 2 BGB nicht entgegen. Denn die Fertigstellung kann auch gegeben sein, wenn Mängel vorhanden sind. Eine Abnahmefähigkeit ist nicht erforderlich (MK-BGB/Busche, 8. Aufl., § 640, Rn. 27; Palandt/Retzlaff, BGB, 80. Aufl., § 640, Rn. 14; Werner/Pastor, Der Bauprozess, 17. Aufl., Rn. 1784).

bb) Die von der Klägerin im Schreiben vom 18.03.2019 gesetzte Frist von effektiv zehn Tagen – das Schreiben wurde am 19.03.2019 durch einen Boten bei der Beklagten eingeworfen – war angemessen. Denn der Beklagten waren die im April 2018 abgeschlossenen Arbeiten im März 2019 gut bekannt. Sie konnte kurzfristig entscheiden, ob sie die Abnahme erklären wollte oder nicht.

cc) Auf die Verbrauchereigenschaft der Klägerin kommt es nicht an. Nach § 640 Abs. 2 S. 2 BGB muss eine Belehrung über die Folgen des Schweigens auf die Abnahmeaufforderung oder des Unterlassens, einen Mangel zu nennen, erfolgen, wenn der Besteller ein Verbraucher ist. Diese Belehrung ist in dem Schreiben vom 18.03.2019 enthalten.

dd) Die fiktive Abnahme nach § 640 Abs. 2 BGB wird nicht dadurch gehindert, dass die Beklagte bereits vor der Abnahmeaufforderung Mängel gerügt hat. Es ist nicht rechtsmissbräuchlich, wenn sich die Klägerin auf die fiktive Abnahme beruft.

(1) Ob die fiktive Abnahme ausscheidet, wenn der Besteller bereits vor der Fristsetzung Mängel gerügt hat, wird unterschiedlich beurteilt. Zum Teil wird angenommen, die Fiktion nach § 640 Abs. 2 BGB trete nicht ein, wenn der Besteller bereits früher die Abnahme ernsthaft und endgültig abgelehnt und dabei mindestens einen Mangel gerügt hat (Palandt/Retzlaff, BGB, 80. Aufl., § 640, Rn. 15; Messerschmidt/Voit/Messerschmidt, BGB, 3. Aufl., § 640, Rn. 198). Nach anderer Ansicht greift die Fiktion des § 640 Abs. 2 BGB auch, wenn der Besteller vor der Fristsetzung Mängel gerügt hat (MK-BGB/Busche, 8. Auf., § 640, Rn. 30; Scheuch, NJW 2018, 2513, 2516).

Die zweite Ansicht ist vorzugswürdig. Die Neuregelung des § 640 Abs. 2 BGB ist erfolgt, um die Schwächen der alten Fassung des § 640 Abs. 1 S. 3 BGB zu beseitigen. Danach trat die fiktive Abnahme ein, wenn der Besteller die Abnahme innerhalb der Frist nicht verweigerte, falls er zur Abnahme verpflichtet war. Damit blieb der Streit, ob das Werk zum Zeitpunkt der Fristsetzung abnahmereif war, bestehen und musste im Prozess geklärt werden (dazu etwa MK-BGB/Busche, 8. Aufl., § 640, Rn. 26). Das Ziel, unter Vermeidung dieser Streitfragen schnellstmöglich Klarheit darüber zu schaffen, ob die Abnahmewirkungen eingetreten sind oder nicht, kann am ehesten erreicht werden, wenn der Besteller in jedem Fall auf die Fristsetzung reagieren muss, auch wenn er bereits vorher Mängel gerügt hat.

Es ist für den Besteller nicht unzumutbar, bereits erhobene Mängelrügen auf die Fristsetzung zu wiederholen. Ferner ist es aus Sicht des Auftragnehmers nicht widersprüchlich, trotz bereits erfolgter Mängelrügen eine Frist nach § 640 Abs. 2 BGB zu setzen. Denn es kann Streit über die Frage geben, ob die gerügten Mängel vorliegen und ob sie wesentlich sind, so dass sie eine Abnahme hindern. Ferner kann eine Mängelrüge durch Zeitablauf obsolet werden, sei es, weil der Auftraggeber Nacharbeiten durchführt, sei es, weil er dem Besteller darlegt, aus welchem Grund kein Mangel gegeben ist.

Dass der Unternehmer die Möglichkeit des § 640 Abs. 2 BGB ausnutzt, obwohl ihm erhebliche Mängel seines Werks bekannt sind, kann dadurch vermieden werden, dass in diesem Fall das Abnahmeverlangen unter Fristsetzung als rechtsmissbräuchlich und damit gegenstandslos angesehen wird. Ist dem Unternehmer bekannt, dass der Auftraggeber nicht zur Abnahme verpflichtet ist, gibt es keinen Anlass, durch die Fiktion der Abnahme die Abnahmewirkungen eintreten zu lassen (Kniffka/Retzlaff, BauR 2017, 1747, 1769; MK-BGB/Busche, 8. Aufl., § 640, Rn. 32; Palandt/Retzlaff, BGB, 80. Aufl., § 640, Rn. 14).

(2) Die Klägerin verhält sich nicht rechtsmissbräuchlich, wenn sie sich auf eine fiktive Abnahme beruft, selbst wenn die Beklagte die Mängel bereits vor dem Abnahmeverlangen gerügt haben sollte. Denn der Klägerin waren keine erheblichen Mängel bekannt. Es liegen nämlich nur in geringem Umfang Mängel vor.

Der Sachverständige hat in seinem Gutachten vom 09.02.2021 und dem Ergänzungsgutachten vom 27.06.2021 ausgeführt, dass an zwei Wänden des Büroraums z. T. Pickel unterhalb des Gewebes, Dellen, Unebenheiten und eine Falte im Gewebe vorhanden seien. Eine weitere Wand und die Decke seien mangelfrei (GA S. 10). Die Unebenheiten seien auch ohne Streiflicht erkennbar (EGA S. 8). An den Fußleisten seien nach den technischen Regeln nur Löcher und kleine Schäden in der Altbeschichtung, die durch Stoß entstanden seien, auszubessern. Der Altanstrich sei nicht gänzlich zu entfernen. Es seien nur an drei Stellen Holzfehlstellen, eine Lackabplatzung und eine unsaubere Bearbeitung festzustellen. Schäden durch eine Ziehklinge seien nicht erkennbar. An den Fegeleisten seien keine Beschädigungen zu erkennen (GA. S. 10 f.). Die Unterkante der Stuckleiste habe statt in Wandfarbe weiß gestrichen werden müssen. Im Übrigen liege nur in einem Sturzbereich eine Übermalung vor. Auf einem Fensterflügel befinde sich ein Farbfleck (GA S. 11 f.). Dass der Streifen zwischen den Steckdosenleisten nicht tapeziert sei, stelle keinen Mangel dar, weil das bei einer üblichen Betrachtung nicht zu erkennen sei (GA S. 12). An dem linken Heizkörper lägen keine Mängel vor, an dem rechten Heizkörper gebe es an der unteren Vorderkante geringe Fehlstellen. Im Übrigen sei bei der üblichen Betrachtung kein Mangel zu erkennen (GA S. 13, EGA S. 8 f.). Bei einem Dreieckfenster im Treppenhaus sei eine Leiste nicht deckend gestrichen und es sei mit der Lackfarbe in den Wandbereich hinein gemalt oder der Klebestreifen nicht entfernt worden (GA S. 13 f.). Bei dem anderen Dreieckfenster scheine der Untergrund durch (Prot. v. 19.11.2021, S. 2, Bl. 507 d. BA.).

Der Senat ist von der Richtigkeit der Ausführungen des Sachverständigen überzeugt. Der Sachverständige ist methodisch richtig vorgegangen, indem er die Arbeiten der Klägerin besichtigt und die technischen Fachregeln herangezogen hat. Er ist auf die Einwendungen der Parteien eingegangen und hat diese plausibel entkräftet. Seine Ausführungen sind ohne weiteres nachvollziehbar. An seiner Sachkunde bestehen keine Zweifel.

Die danach festgestellten Mängel haben nur ein geringes Gewicht. Sie betreffen nur einzelne Bereiche der Leistung der Klägerin. Wie sich aus den von dem Sachverständigen vorgelegten Lichtbildern (Anhang GA) ergibt, beeinträchtigen sie den Gesamteindruck der Räume nicht oder kaum. Der vom Sachverständigen auch insoweit überzeugend ermittelte Aufwand der Mangelbeseitigung ist mit etwa 10 Arbeitsstunden und 676,20 € netto (EGA S. 7, Prot. v. 19.11.2021, S. 2, Bl. 507 d. A.) überschaubar.

c) Der Beklagten steht jedoch ein Zurückbehaltungsrecht zu, sodass die Klägerin einen Teil des Werklohns nur Zug um Zug gegen die Beseitigung der dargelegten Mängel verlangen kann.

aa) Nach §§ 641 Abs. 3, 320 Abs. 1 BGB kann der Besteller die Bezahlung eines angemessenen Teils des Werklohns verweigern, wenn er die Beseitigung von Mängeln verlangen kann. Angemessen ist in der Regel das doppelte der voraussichtlichen Mangelbeseitigungskosten. Die Beweislast für eine unbillige Höhe des Einbehalts trägt dabei der Unternehmer (BGH NJW-RR 2008, 401, 402, Tz. 18).

bb) Das Mangelbeseitigungsrecht der Beklagten ist nicht durch eine rügelose Abnahme nach § 640 Abs. 3 BGB erloschen.

Im Falle einer fiktiven Abnahme greift die Vorschrift des § 640 Abs. 3 nicht ein (OLG Celle, Urteil vom 18.09.2003, 11 U 11/03, Rn. 43 bei juris; MK-BGB/Busche, 8. Aufl., § 640, Rn. 34; Messerschmidt/Voit/Messerschmidt, Privates Baurecht, 3. Aufl., § 640 BGB, Rn. 295; BeckOK BGB/Voit, 60. Ed. 01.05.20, § 640, Rn. 39; Palandt/Retzlaff, BGB, 80. Aufl., § 640, Rn. 20; Hedermann, NJW 2015, 2381, 2382). Zum einen verweist § 640 Abs. 3 BGB nur auf die Abnahme nach § 640 Abs. 1 S. 1 BGB, zum anderen greift bei der fiktiven Abnahme der Gesichtspunkt des widersprüchlichen Verhaltens – einerseits Anerkennung als vertragsgerecht, andererseits Geltendmachung von Mängeln – nicht ein (MK-BGB/Busche, a. a. O.; Messerschmidt/Voit/Messerschmidt, a. a. O.). Der Gesetzgeber hat bei der Neufassung des § 640 BGB mit Wirkung ab dem 01.01.2018 an dem Verweis nur auf § 640 Abs. 1 S. 1 BGB festgehalten, obwohl ihm der Streit über die Wirkung der fiktiven Abnahme bekannt sein konnte.

Dagegen kann nicht eingewandt werden, dass die fiktive Abnahme der rechtsgeschäftlichen Abnahme gleichsteht (so Kupczyk, NJW 2012, 3353, 3355; Kiesel, NJW 2000, 1673, 1677). Denn das gilt für die allgemeinen Wirkungen wie die Fälligkeit des Werklohns und den Übergang der Gefahr, muss aber nicht gelten, soweit ausdrücklich nur auf § 640 Abs. 1 BGB verwiesen wird.

cc) Das Zurückbehaltungsrecht der Beklagten ist nicht dadurch weggefallen, dass sie wegen der Mangelbeseitigung in Annahmeverzug geraten ist.

(1) Die Beklagte ist mit der Annahme der Nachbesserung in Annahmeverzug geraten. Nach § 295 BGB reichte ein wörtliches Angebot, da ihre Mitwirkung notwendig war. Sie musste den Mitarbeitern der Klägerin den Zugang zu den Räumen ermöglichen, damit diese dort Nachbesserungsarbeiten durchführen konnten.

Es ist unerheblich, ob bereits im Jahr 2018 Versuche gemacht worden sind, Zugang zu den Räumen zu erhalten. Jedenfalls mit Schreiben vom 18.03.2019 (Anlage B 1, AB) hat die Klägerin die Beklagte aufgefordert, einen Termin für die Nachbesserungsarbeiten aufzugeben. Darauf hat die Beklagte nicht reagiert.

(2) Der Verzug zur Annahme der Mangelbeseitigung führt nur dazu, dass der Besteller nur noch den Betrag der voraussichtlichen Mangelbeseitigungskosten ohne Druckzuschlag zurückhalten darf (BGH, Beschluss vom 04.04.2002, VII ZR 252/01 bei juris; OLG Karlsruhe, Urteil vom 21.12.2018, 8 U 55/17, Rn. 74 bei juris; OLG Celle, Urteil vom 13.01.2005, 14 U 129/03, Rn. 16 bei juris; OLG Düsseldorf, Urteil vom 25.07.2003, 23 U 87/02, Rn. 27 bei juris, OLG Schleswig, Urteil vom 23.06.2000, 1 U 165/99, Rn. 8 bei juris).

Ältere, anderslautende Entscheidungen (OLG Hamm, Urteil vom 05.11.1993, 12 U 183/92 bei juris) sind überholt. Sie wurden darauf gestützt, dass es widersprüchlich im Sinne von § 242 BGB wäre, einerseits die Nachbesserung nicht zu ermöglichen, andererseits aber den Werklohn nicht zahlen zu wollen. Die Abwägung der wechselseitigen Interessen ergibt aber, dass die Beschränkung des Zurückbehaltungsrechts auf die Höhe der voraussichtlichen Mangelbeseitigungskosten ausreichend ist, um das Verhalten des Bestellers zu sanktionieren. Ein vollständiger Verlust des Zurückbehaltungsrechts wäre eine zu harte Reaktion, weil der Besteller auch schuldlos in Annahmeverzug geraten kann. Die Interessen des Unternehmers werden dadurch gewahrt, dass er im Falle des Annahmeverzuges auch ohne Erbringung der Leistungen vollstrecken kann. Er kann im Prozess die Feststellung des Annahmeverzuges beantragen.

Die Kosten der Mangelbeseitigung hat der Sachverständige zunächst auch insoweit überzeugend mit 405,78 € netto angegeben (EGA S. 7). Dazu kommen Kosten für die Mangelbeseitigung an dem weiteren Dreieckfenster i. H. v. 4 x 67,63 € (Prot. v. 19.11.2021, S. 2, Bl. 507 d. A.), also 270,52 € netto. Zusammen ergibt das 676,20 € netto oder 804,70 € brutto.

dd) Das Zurückbehaltungsrecht ist nicht dadurch weggefallen, dass die Beklagte die Nachbesserung ernsthaft und endgültig verweigert hat. Eine solche Weigerung führt nach § 242 BGB dazu, dass der Besteller die Mangelhaftigkeit des Werkes dem Werklohnanspruch nicht mehr entgegensetzen kann (OLG Düsseldorf, Urteil vom 29.11.2012, 5 U 129/07, Rn. 14 bei juris).

Die Beklagte hat die Nachbesserung in diesem Sinne nicht endgültig und ernsthaft verweigert. An die Feststellung einer ernsthaften und endgültigen Weigerung sind strenge Anforderungen zu stellen. Sie ist nur anzunehmen, wenn der Besteller durch sein Verhalten zu erkennen gibt, dass er eine Nachbesserung unter keinen Umständen mehr zulassen wird. Nimmt der Besteller lediglich prozessuale Rechte wahr, wie ein Bestreiten, ist eher nicht davon auszugehen, dass er die Nachbesserung endgültig verweigern will (für Leistungsverweigerung BGH NJW 2016, 3225, 3228, Rn. 37).

Die Beklagte hat vorgerichtlich eine Nachbesserung nicht verweigert. Die Parteien haben vielmehr eine Nachbesserung beabsichtigt. Die Behauptung der Klägerin geht nur dahin, dass die Beklagte Aufforderungen, einen Termin zur Nachbesserung zu nennen, nicht nachgekommen ist.

Auch nach Erhebung der Klage hat die Beklagte keine endgültige Verweigerung erklärt. Sie hat zwar die Auffassung vertreten, eine Nachbesserung durch die Klägerin sei unzumutbar, jedoch zunächst eine Nachbesserung durch eine dritte Person nicht ausgeschlossen (Schriftsatz vom 20.03.2019, Bl. 72 d. A.). Sodann hat sie die Unzumutbarkeit behauptet, um ihren Rücktritt vom Werkvertrag ohne Setzung einer Frist zu rechtfertigen (Schriftsatz vom 19.09.2019, Bl. 125 d. A.). Diesem Zweck diente auch der Schriftsatz vom 14.05.2020 (Bl. 194 d. A.). In erster Linie ging es der Beklagten damit darum, sich gegen den Klageanspruch zur Wehr zu setzen. Sie versucht dazu, Gegenrechte aufgrund der von ihr behaupteten Mängel anzuführen. Daraus ergibt sich nicht, dass sie endgültig nicht mehr bereit ist, eine Mangelbeseitigung hinzunehmen.

d) Der Werklohnanspruch ist nicht durch den von der Beklagten erklärten Rücktritt erloschen.

aa) Der Rücktritt ist bereits nach § 174 BGB unwirksam. Danach ist ein von einem Bevollmächtigten vorgenommenes einseitiges Rechtsgeschäft, das gegenüber einem anderen vorgenommen wird, unwirksam, wenn keine Vollmachtsurkunde vorgelegt wird und der andere das Rechtsgeschäft aus diesem Grunde unverzüglich zurückweist.

Der Rücktritt ist von dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten im Schriftsatz vom 19.09.2019 (Bl. 125 d. A.) erklärt worden. Eine Vollmachtsurkunde hat er dabei nicht vorgelegt. Die Klägerin hat den Rücktritt unverzüglich mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 26.09.2019 (Bl. 128 d. A.) zurückgewiesen, indem sie die Vollmacht bestritten hat.

Die Zurückweisung war nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Beklagte die Klägerin von der Vollmacht in Kenntnis gesetzt hat. Zwar ist ihr Prozessbevollmächtigter bis dahin in ihrem Namen im Prozess aufgetreten, ohne dass die Klägerin die Vollmacht bezweifelt hat. Die Prozessvollmacht umfasst aber zum einen nach § 81 ZPO nicht ohne weiteres auch die Abgabe rechtsgeschäftlicher Erklärungen, zum anderen kann die Gegenpartei den Mangel der Vollmacht nach § 88 Abs. 1 ZPO in jeder Lage des Verfahrens rügen.

bb) Zudem lagen die Voraussetzungen des Rücktritts nicht vor. Dazu hätte die Beklagten nach §§ 634 Nr. 3, 323 Abs. 1 BGB eine Frist zur Mangelbeseitigung setzen müssen. Daran fehlt es. Ihre Behauptung, sie habe mit Schreiben vom 20.04.2019 eine Frist gesetzt, hat die Beklagte nicht unter Beweis gestellt.

Eine Fristsetzung war nicht wegen einer endgültigen Leistungsverweigerung durch die Klägerin nach § 323 Abs.2 Nr. 1 BGB entbehrlich. Die Klägerin hat noch im Prozess die Beseitigung der unstreitigen Mängel angeboten und sich im Übrigen darauf beschränkt, Mängel zu bestreiten. Nach den oben dargelegten strengen Anforderungen an eine endgültige Leistungsverweigerung reicht das bloße Bestreiten eines Mangels nicht, um darauf schließen zu können, der Schuldner wolle endgültig nicht mehr leisten.

Die Nachbesserung war auch im Sinne des § 636 BGB nicht unzumutbar. Eine Nachbesserung ist unzumutbar, wenn aufgrund objektiver Umstände das Vertrauen auf eine ordnungsgemäße Durchführung der Nachbesserung nachhaltig erschüttert ist (OLG Düsseldorf, Urteil vom 10.05.2016, 21 U 180/15, Rn. 59 bei juris). Das kann der Fall sein, wenn das Werk eine Vielzahl nicht nur geringfügiger Mängel aufweist oder Art und Umfang der Mängel darauf schließen lässt, dass die Werkleistung von Grund auf fehlerhaft ist (OLG Saarbrücken, Urteil vom 15.11.2017, 1 U 127/16, Rn. 41 bei juris). Daran fehlt es nach dem oben Dargelegten.

e) Aufgrund des Zurückbehaltungsrechts der Beklagten war der Werklohn in Höhe von 804,70 € nicht fällig, sodass die Klägerin auf diesen Teilbetrag keine Verzugszinsen fordern kann. Aus demselben Grund kann sie vorgerichtliche Anwaltskosten nur insoweit ersetzt verlangen, als der fällige Betrag von 3.256,47 € gefordert wurde. Nach einem Wert von bis zu 4.000,00 € sind Rechtsanwaltskosten von 413,64 € erstattungsfähig.

2. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 1, 344 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 709, 711 ZPO.

Die Zulassung der Revision ist erfolgt, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 ZPO). Es gibt, wie dargelegt, widerstreitende Auffassungen dazu, ob die fiktive Abnahme ausgeschlossen ist, wenn bereits zuvor Mängel gerügt worden sind. Die Frage ist, soweit ersichtlich, gerichtlich noch nicht geklärt.

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