Übersicht
- Das Wichtigste in Kürze
- Der Fall vor Gericht
- Die Schlüsselerkenntnisse
- Benötigen Sie Hilfe?
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Wann darf ein Auftraggeber einen Bauvertrag wegen Leistungsverweigerung kündigen?
- Was bedeutet „Leistungsverweigerung“ im Zusammenhang mit einem Bauvertrag konkret?
- Welche Rechte hat ein Auftragnehmer, wenn der Auftraggeber unberechtigt eine Kündigung wegen Leistungsverweigerung ausspricht?
- Wie wirkt sich die VOB/B auf das Recht zur Kündigung wegen Leistungsverweigerung aus?
- Welche Kosten entstehen bei einer Kündigung des Bauvertrags und wer trägt diese?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Wichtige Rechtsgrundlagen
- Das vorliegende Urteil
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: LG Potsdam
- Datum: 19.04.2023
- Aktenzeichen: 6 O 276/20
- Verfahrensart: Vergütungsstreit im Bauvertragsrecht
- Rechtsbereiche: Vertragsrecht, Bauvertragsrecht
- Beteiligte Parteien:
- Klägerin: Leistet Gerüstbauarbeiten am Neubau eines Institutsgebäudes und fordert die vereinbarte Vergütung aufgrund des geschlossenen Vertrages.
- Beklagte: Auftraggeberin des Neubaus, die durch Übersendung einer eigenen Gerüstplanung zusätzliche bauliche Erfordernisse aufzeigte und im Rahmen der Widerklage eine Zahlung forderte.
- Um was ging es?
- Sachverhalt: Die Klägerin erbrachte Gerüstbauarbeiten an einem Neubau eines Institutsgebäudes. Am 13.09.2019 schlossen die Parteien einen Vertrag über die Errichtung eines Fassadengerüsts auf Basis eines Angebots vom 31.07.2019 unter Einbeziehung der VOB/B und VOB/C ab. Im Verlauf der Arbeiten wurde festgestellt, dass erheblich mehr Gerüstmaterial und zusätzliche, vertraglich nicht vorgesehene Bauteile benötigt wurden, wie aus der Gerüstplanung der Beklagten vom 09.12.2019 ersichtlich.
- Kern des Rechtsstreits: Es wurde streitig, ob die Vergütungsansprüche der Klägerin für die erbrachten Gerüstbauarbeiten bestehen oder ob die Einrede und Gegenforderung der Beklagten (im Rahmen der Widerklage) die Zahlungspflicht der Klägerin begründen.
- Was wurde entschieden?
- Entscheidung: Die ursprüngliche Klage der Klägerin wurde abgewiesen. Im Rahmen der Widerklage wurde die Klägerin verurteilt, an die Beklagte 15.631,08 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 05.05.2021 zu zahlen. Der übrige Teil der Widerklage blieb unberücksichtigt. Zudem trägt die Klägerin die Kosten des Rechtsstreits und das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
- Folgen: Die Klägerin hat den festgesetzten Betrag samt Zinsen zu leisten und die Prozesskosten zu tragen. Das Urteil wird vorläufig vollstreckbar, sobald die erforderliche Sicherheitsleistung erbracht wird.
Der Fall vor Gericht
Gerichtsurteil zum Baustopp: Kündigung von Gerüstbauvertrag rechtens

Das Landgericht Potsdam fällte am 19. April 2023 ein Urteil in einem Rechtsstreit (Az.: 6 O 276/20) zwischen einem Gerüstbauunternehmen (im Folgenden Klägerin genannt) und einem Auftraggeber (im Folgenden Beklagte genannt). Im Kern des Falles stand die Frage, ob eine Kündigung eines Bauvertrages durch den Auftraggeber aufgrund einer Leistungseinstellung des Auftragnehmers rechtmäßig war. Der Streit entzündete sich an unterschiedlichen Auffassungen über die zu vergütenden Gerüstbaumengen und daraus resultierenden Mehrkostenforderungen der Klägerin.
Die Beklagte, Bauherrin eines Institutsgebäudes in N., hatte die Klägerin mit Gerüstbauarbeiten beauftragt. Grundlage hierfür war ein Vertrag vom 13. September 2019, der auf einem Angebot der Klägerin basierte. Es wurde die Geltung der VOB/B und VOB/C vereinbart, die im deutschen Bauwesen übliche Vertragsbedingungen darstellen. Vertragsgegenstand war die Errichtung eines Fassadengerüstes mit einem geschätzten Umfang von 2.765 m², inklusive Gerüsttürmen und Fanggerüsten.
Unerwartete Mehrarbeit: Geänderte Planung offenbart größere Gerüstmengen
Nach Vertragsabschluss und vor Beginn der eigentlichen Arbeiten übersandte die Beklagte der Klägerin eine eigene Gerüstplanung. Diese neue Planung offenbarte aus Sicht der Klägerin erhebliche Abweichungen zu den ursprünglichen Vertragsgrundlagen. Die Klägerin erkannte, dass die tatsächlichen Gerüstbaumengen deutlich umfangreicher sein würden als zunächst angenommen. Zudem seien Gerüstbauteile erforderlich, die in den ursprünglichen Unterlagen nicht berücksichtigt waren.
Die Klägerin begründete die Mehrmengen unter anderem damit, dass die Außenkanten des Gerüstes gemäß der Abrechnungsregelung DIN 18451 hinzuzurechnen seien, da es sich um sogenannte „Schutzgerüste“ handele. Auf Basis dieser neuen Mengenermittlung erstellte die Klägerin ein Nachtragsangebot und übermittelte es der Beklagten am 13. Dezember 2019. Die Beklagte bestätigte dieses Nachtragsangebot per E-Mail vom 17. Dezember 2019, jedoch unter dem Vorbehalt einer Aufmaßprüfung.
Eskalation am Bau: Stillstand wegen ungeklärter Abrechnungsgrundlagen
Die Klägerin begann daraufhin mit der Errichtung des Gerüstes am Hauptbau zwischen dem 16. und 20. Dezember 2019. In einer Baubesprechung am 16. Januar 2020 forderte die Beklagte die Klägerin auf, auch den Nebenbau einzurüsten und zusätzliche Absetzplattformen zu errichten. Die Klägerin reagierte mit einem Schreiben vom 22. Januar 2020, in dem sie auf ungeklärte Abrechnungsgrundlagen, fehlendes Gerüstmaterial und fehlende technische Festlegungen hinwies.
Parallel dazu forderte der Planer der Beklagten die Klägerin mit Schreiben vom 21. Januar 2020 auf, die Gerüstbauarbeiten bis zum 31. Januar 2020 fortzusetzen. Die Klägerin jedoch erklärte mit Schreiben vom 24. und 27. Januar 2020, dass sie sich aufgrund der fehlenden Bestätigung der Mehrvergütungsforderung an der Weiterarbeit gehindert sehe. Die Beklagte forderte die Klägerin daraufhin mehrfach zur Wiederaufnahme der Arbeiten auf, zuletzt mit Schreiben vom 31. Januar 2020, was die Klägerin jedoch ablehnte.
Verweigerung und Kündigung: Bauherr beendet Vertrag wegen Leistungsstopps
Aufgrund der anhaltenden Leistungsverweigerung durch die Klägerin sah sich die Beklagte gezwungen zu handeln. Sie kündigte den Vertrag vom 13. September 2019 mit Schreiben vom 3. Februar 2020 außerordentlich. Gleichzeitig forderte die Beklagte die Klägerin auf, die bereits gestellten Gerüste abzubauen und das Baufeld bis zum 14. Februar 2020 zu räumen. Die Klägerin kam dieser Aufforderung nach, und die Parteien erstellten am 12. Februar 2020 ein gemeinsames Aufmaß. Am 19. Februar 2020 beauftragte die Beklagte ein anderes Gerüstbauunternehmen mit der Fertigstellung der Arbeiten.
Gerichtliche Auseinandersetzung: Gerüstbaufirma fordert Vergütung, Bauherr Schadensersatz
Nach der Kündigung stellte die Klägerin unter dem 11. Mai 2020 eine Schlussrechnung auf Basis eines frei gekündigten Vertrages. Die Beklagte rügte die Rechnung als nicht prüfbar. Nachdem die Beklagte die Rechnung nicht beglich, beauftragte die Klägerin einen Rechtsanwalt und forderte die Beklagte erneut zur Zahlung auf, inklusive vorgerichtlicher Anwaltskosten. Die Beklagte wies die Forderung zurück und rechnete mit Schadensersatzansprüchen gegen die Vergütungsforderung der Klägerin auf. Die Beklagte erstellte schließlich selbst eine Abrechnung und forderte im Wege der Widerklage die Differenzsumme von der Klägerin zurück.
Das Urteil des LG Potsdam: Klage abgewiesen, Widerklage teilweise erfolgreich
Das Landgericht Potsdam wies die Klage der Gerüstbaufirma vollständig ab. Gleichzeitig gab das Gericht der Widerklage der Beklagten teilweise statt. Die Klägerin wurde verurteilt, an die Beklagte 15.631,08 Euro nebst Zinsen zu zahlen. Im Übrigen wurde die Widerklage abgewiesen. Die Kosten des Rechtsstreits wurden der Klägerin auferlegt. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Entscheidungsgründe im Fokus: Berechtigte Kündigung wegen Leistungsverweigerung
Aus dem Urteil geht hervor, dass das Gericht die Außerordentliche Kündigung des Bauvertrages durch die Beklagte als rechtmäßig ansah. Die Leistungsverweigerung der Klägerin, die Arbeiten ohne eine vorherige Einigung über die Mehrvergütung fortzusetzen, wurde als wichtiger Grund für eine Kündigung gemäß § 8 VOB/B gewertet. Die Klägerin hatte zwar ein Nachtragsangebot unterbreitet, jedoch erfolgte keine Einigung über die Höhe der Mehrvergütung, bevor sie die Arbeiten einstellte.
Das Gericht folgte offenbar der Argumentation der Beklagten, dass die Klägerin vertragswidrig die Arbeit eingestellt hatte, anstatt die Meinungsverschiedenheiten über die Vergütung während der Bauausführung zu klären. Die VOB/B sieht in solchen Fällen Mechanismen zur Klärung von Nachträgen vor, die die Klägerin jedoch nicht ausreichend genutzt zu haben scheint. Die teilweise Stattgabe der Widerklage deutet darauf hin, dass die Beklagte durch die Kündigung und die Beauftragung eines Ersatzunternehmens ein Schaden entstanden ist, der in Höhe von 15.631,08 Euro von der Klägerin zu ersetzen ist.
Bedeutung für Gerüstbauer und Bauherren: Klare Kommunikation und Vertragsgrundlagen entscheidend
Dieses Urteil unterstreicht die Bedeutung klarer Kommunikation und eindeutiger Vertragsgrundlagen in Bauverträgen, insbesondere bei Gerüstbauarbeiten. Für Gerüstbauer bedeutet dies, dass Nachtragsforderungen frühzeitig und detailliert geltend gemacht werden müssen, die Arbeiten aber grundsätzlich nicht ohne triftigen Grund eingestellt werden dürfen. Eine unberechtigte Leistungsverweigerung kann zur Kündigung des Vertrages und zu Schadensersatzforderungen führen.
Bauherren sollten ihrerseits transparent und zeitnah auf Nachtragsforderungen reagieren und eine einvernehmliche Lösung suchen. Die VOB/B bietet einen Rahmen zur Klärung von Streitigkeiten, der von beiden Seiten genutzt werden sollte, um Eskalationen und Bauverzögerungen zu vermeiden. Das Urteil zeigt, dass Gerichte Leistungsverweigerungen im Bauwesen kritisch sehen und die Verpflichtung zur Vertragstreue betonen. Eine frühzeitige rechtliche Beratung kann in solchen Konfliktsituationen für beide Parteien hilfreich sein, um kostspielige Gerichtsverfahren zu vermeiden.
Die Schlüsselerkenntnisse
Bei Streitigkeiten um Mehrvergütungsansprüche bei Bauverträgen müssen diese vor Ausführung der Arbeiten geklärt sein, andernfalls riskiert der Auftragnehmer eine berechtigte Kündigung. Das Urteil unterstreicht, dass die Verweigerung von Leistungen aufgrund ungeklärter Vergütungsfragen als Pflichtverletzung gewertet wird, die zur außerordentlichen Kündigung berechtigt. Zudem verdeutlicht die Entscheidung, dass bei einer berechtigten Kündigung der Auftragnehmer für die daraus entstehenden Mehrkosten (wie die Beauftragung eines Ersatzunternehmens) haftet und nur Anspruch auf Vergütung der tatsächlich erbrachten Leistungen hat.
Benötigen Sie Hilfe?
Unsicherheiten bei der Vertragskündigung im Bauwesen?
Die Beendigung eines Bauvertrages aufgrund von Leistungsverweigerung kann eine Vielzahl von rechtlichen Fragestellungen aufwerfen. Insbesondere Fragen zur Berechtigung der Kündigung, zu Ansprüchen und den Konsequenzen bereits getroffener Maßnahmen lassen oft Raum für Unsicherheit und erfordern eine präzise juristische Analyse.
Wir unterstützen Sie dabei, den Kern der Problematik systematisch zu erfassen und auf Basis der geltenden vertraglichen sowie rechtlichen Rahmenbedingungen Klarheit zu gewinnen. Unsere Beratung richtet sich an all jene, die in vergleichbaren Situationen nach sachkundiger und präziser Hilfe suchen.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Wann darf ein Auftraggeber einen Bauvertrag wegen Leistungsverweigerung kündigen?
Ein Auftraggeber darf einen Bauvertrag wegen Leistungsverweigerung des Auftragnehmers kündigen, wenn ein wichtiger Grund vorliegt, der die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses unzumutbar macht. Die Leistungsverweigerung muss dabei unberechtigt sein und das Vertrauen in eine kooperative Zusammenarbeit grundlegend erschüttern.
Rechtliche Grundlagen der Kündigung
Bei Bauverträgen stehen dem Auftraggeber verschiedene Kündigungsmöglichkeiten zur Verfügung:
- Kündigung aus wichtigem Grund nach § 648a BGB: Beide Vertragsparteien können den Vertrag ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kündigen, wenn dem kündigenden Teil die Fortsetzung des Vertrags bis zur Fertigstellung des Werks nicht zugemutet werden kann. Der Kündigungsgrund muss dabei im Verantwortungsbereich des Kündigungsempfängers liegen.
- Außerordentliche Kündigung nach VOB/B: Bei VOB-Verträgen kann der Auftraggeber nach § 8 Abs. 3 VOB/B kündigen, wenn der Auftragnehmer mit seiner Leistungspflicht in Verzug ist und eine gesetzte Frist fruchtlos verstrichen ist.
Voraussetzungen für eine wirksame Kündigung
Damit eine Kündigung wegen Leistungsverweigerung rechtmäßig ist, müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein:
- Unberechtigkeit der Leistungsverweigerung: Die Einstellung der Leistungen durch den Auftragnehmer muss unberechtigt sein. Wenn der Auftragnehmer kein Leistungsverweigerungsrecht hat, begründet dies beim Bauherrn ein Recht zur außerordentlichen Kündigung.
- Fristsetzung oder Abmahnung: Vor einer Kündigung ist grundsätzlich eine Fristsetzung oder Abmahnung erforderlich. Der Auftraggeber muss dem Auftragnehmer eine angemessene Frist zur Fortsetzung der Leistungen setzen. Die Frist muss dabei angemessen sein – eine zu kurze Frist (wie z.B. nur 19 Stunden) kann die Wirksamkeit der Kündigung gefährden.
- Erheblichkeit der Pflichtverletzung: Die Leistungsverweigerung muss eine erhebliche Vertragspflichtverletzung darstellen. Wenn Sie als Auftraggeber beispielsweise feststellen, dass der Auftragnehmer über einen längeren Zeitraum (z.B. drei Monate) Aufforderungen zur Leistungserbringung nicht nachkommt, kann dies eine Kündigung rechtfertigen.
Praktisches Beispiel
Ein anschauliches Beispiel aus der Rechtsprechung: Ein Ingenieur wurde mit Brandschutzleistungen für einen Krankenhausneubau beauftragt. Als der Brandschutzgutachter dringende Informationen anforderte und mit dem Widerruf einer Teilfreigabe drohte, stellte der Ingenieur seine Leistungen ein und machte diese von der Bezahlung alter Rechnungen abhängig. Das Gericht entschied, dass die Bauherrin in diesem Fall berechtigt war, aus wichtigem Grund zu kündigen, da das Verhalten des Ingenieurs das Vertrauen in eine kooperative Zusammenarbeit grundlegend erschüttert hatte.
Besonderheiten bei Bauverzögerungen
Wenn die rechtzeitige Erfüllung eines Bauvertrags durch Hindernisse ernsthaft in Frage gestellt wird, die im Verantwortungsbereich des Auftragnehmers liegen, und Ihnen als Auftraggeber ein weiteres Zuwarten nicht mehr zuzumuten ist, kann eine außerordentliche Kündigung gerechtfertigt sein. In diesem Fall genügt es, wenn Sie dem Auftragnehmer eine angemessene Frist setzen, die fristgerechte Erfüllbarkeit des Bauvertrages nachzuweisen, und gleichzeitig erklären, dass Sie ihm nach fruchtlosem Ablauf der Frist den Auftrag entziehen werden.
Formelle Anforderungen
Die Kündigung sollte stets schriftlich erfolgen und den Kündigungsgrund klar benennen. Bei VOB-Verträgen ist die Schriftform zwingend vorgeschrieben. Nach der Kündigung sind beide Vertragsparteien verpflichtet, den Leistungsstand gemeinsam festzuhalten, um späteren Streit über den Umfang der erbrachten Leistungen zu vermeiden.
Beachten Sie, dass eine unberechtigte Kündigung Ihrerseits selbst eine Vertragsverletzung darstellen kann, die den Auftragnehmer zu Schadensersatzansprüchen berechtigt.
Was bedeutet „Leistungsverweigerung“ im Zusammenhang mit einem Bauvertrag konkret?
Leistungsverweigerung im Baurecht bezeichnet das Recht eines Vertragspartners (Auftragnehmer oder Auftraggeber), seine vertraglich geschuldete Leistung unter bestimmten Umständen zurückzuhalten. Es handelt sich um ein sogenanntes Gegenrecht, bei dem der Schuldner berechtigt ist, seine Leistung gegenüber dem Gläubiger zu verweigern, ohne in Verzug zu geraten.
Leistungsverweigerungsrecht des Auftragnehmers
Als Auftragnehmer (Bauunternehmer) können Sie in folgenden Situationen berechtigt sein, Ihre Leistung zu verweigern:
- Bei Zahlungsverzug des Auftraggebers: Wenn der Auftraggeber fällige Zahlungen trotz Ablauf einer gesetzten Nachfrist nicht leistet, dürfen Sie die Arbeiten einstellen. Bei VOB/B-Verträgen ist dies in § 16 Nr. 5 Abs. 3 VOB/B ausdrücklich geregelt.
- Bei fehlender Bauhandwerkersicherung: Wenn der Auftraggeber eine nach § 650f BGB geforderte Sicherheit nicht innerhalb der gesetzten Frist (üblicherweise zehn Werktage) beibringt, können Sie die Leistung verweigern. Dieses Recht kann vertraglich nicht ausgeschlossen werden (§ 650f Abs. 7 BGB).
- Bei Unzumutbarkeit: In Einzelfällen kann die Fortführung der Arbeiten nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) unzumutbar sein, etwa wenn der Auftraggeber durch außergewöhnliche Pflichtverletzungen für Sie enorme Risiken verursacht.
Wichtig: Stellen Sie Ihre Arbeiten ein, sollten Sie dem Auftraggeber nach Ablauf der regulären Zahlungsfrist eine kurze Nachfrist (etwa vier Werktage) zur Zahlung setzen und die Einstellung der Arbeiten bei Nichtzahlung ankündigen.
Leistungsverweigerungsrecht des Auftraggebers
Als Auftraggeber können Sie unter folgenden Umständen Ihre Leistung (insbesondere Zahlungen) verweigern:
- Bei Mängeln der bisherigen Leistung: Sie können gestützt auf § 320 Abs. 1 BGB (Einrede des nichterfüllten Vertrages) die Erfüllung von Abschlagsforderungen verweigern, wenn Ihnen ein fälliger Anspruch auf Mangelbeseitigung zusteht.
- Bei nicht prüffähigen Abschlagsrechnungen: Wenn Abschlagsrechnungen nicht prüffähig aufgestellt sind, werden sie nicht fällig, und Sie geraten nicht in Zahlungsverzug.
- Bei sonstigen Ansprüchen: Wegen nicht im Gegenseitigkeitsverhältnis stehender Ansprüche aus dem Bauvertrag können Sie Ihre Leistung nach § 273 Abs. 1 BGB verweigern.
Folgen der Leistungsverweigerung
Die Folgen einer Leistungsverweigerung können erheblich sein:
- Bei berechtigter Leistungsverweigerung gerät der Verweigernde nicht in Verzug und muss keine Verzugsfolgen befürchten.
- Bei unberechtigter Leistungsverweigerung kann der andere Vertragspartner unter Umständen:
- den Vertrag aus wichtigem Grund kündigen
- Schadensersatz verlangen
- Ersatzvornahme durchführen lassen
Wenn Sie als Auftragnehmer beispielsweise unberechtigt die Leistung verweigern, kann dies als ernstliche Leistungsverweigerung gewertet werden und dem Auftraggeber das Recht zur außerordentlichen Kündigung geben. In einem vom OLG Frankfurt entschiedenen Fall hatte ein Architekt den Vertrag gekündigt, weil Abschlagsrechnungen nicht bezahlt wurden. Da diese jedoch nicht prüffähig waren, war die Kündigung unberechtigt, und der Auftraggeber konnte seinerseits wirksam aus wichtigem Grund kündigen.
Abgrenzung zur Bauverzögerung
Eine Leistungsverweigerung unterscheidet sich von einer bloßen Verzögerung dadurch, dass der Schuldner bewusst und willentlich die Leistung zurückhält, um eine bestimmte Handlung des Gläubigers zu erwirken. Bei einer Verzögerung hingegen liegt keine absichtliche Verweigerung vor, sondern lediglich eine zeitliche Verschiebung der Leistungserbringung.
Wenn Sie sich in einer Situation befinden, in der Sie erwägen, Ihre Leistung zu verweigern, sollten Sie sorgfältig prüfen, ob die rechtlichen Voraussetzungen dafür tatsächlich vorliegen. Eine unberechtigte Leistungsverweigerung kann zu erheblichen Nachteilen führen.
Welche Rechte hat ein Auftragnehmer, wenn der Auftraggeber unberechtigt eine Kündigung wegen Leistungsverweigerung ausspricht?
Wenn ein Auftraggeber unberechtigt eine Kündigung wegen Leistungsverweigerung ausspricht, stehen dem Auftragnehmer verschiedene Rechte und Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung.
Rechtliche Bewertung der unberechtigten Kündigung
Eine unberechtigte Kündigung durch den Auftraggeber ist nicht automatisch unwirksam. Vielmehr wird sie bei BGB-Bauverträgen in eine freie Kündigung nach § 648 BGB umgedeutet. Dies bedeutet, dass der Vertrag tatsächlich beendet wird, aber der Auftragnehmer bestimmte Ansprüche behält.
Bei VOB-Verträgen gilt Ähnliches: Eine unberechtigte Kündigung aus wichtigem Grund wird in eine freie Kündigung umgedeutet, wodurch der Vertrag ebenfalls beendet wird.
Wichtig zu wissen: Anders verhält es sich, wenn der Auftragnehmer unberechtigt kündigt. Eine solche Kündigung ist „null und nichtig“ und geht ins Leere – der Vertrag besteht in diesem Fall weiter.
Vergütungsansprüche des Auftragnehmers
Bei einer unberechtigten Kündigung, die in eine freie Kündigung umgedeutet wird, hat der Auftragnehmer folgende Ansprüche:
- Anspruch auf die vereinbarte Vergütung für die gesamte Leistung, abzüglich ersparter Aufwendungen. Der Auftragnehmer erhält also grundsätzlich die volle vereinbarte Vergütung, muss sich jedoch die Kosten anrechnen lassen, die er durch die Nichtausführung der restlichen Leistungen einspart.
- Anspruch auf die kalkulierte Gewinnmarge, wenn der Auftraggeber ohne wichtigen Grund kündigt.
- Bei Schwierigkeiten mit dem Nachweis des genauen Schadens gilt eine gesetzliche Vermutung, dass der Schaden 5% der Gesamtvergütung für die nicht erbrachten Leistungen beträgt. Diese Vermutung kann jedoch von beiden Seiten widerlegt werden.
Handlungsmöglichkeiten des Auftragnehmers
Wenn Sie als Auftragnehmer mit einer unberechtigten Kündigung konfrontiert werden, haben Sie grundsätzlich drei Handlungsoptionen:
- Einigung mit dem Vertragspartner anstreben: Sie können versuchen, Missverständnisse auszuräumen und eine einvernehmliche Lösung zu finden.
- Negative Feststellungsklage erheben: Hierbei wird gerichtlich festgestellt, ob das Vertragsverhältnis weiterhin besteht. Das OLG Düsseldorf hat beispielsweise in einem Fall die Unwirksamkeit einer Teilkündigung bestätigt. Bei dieser Option sollten Sie Ihre eigenen Leistungen nicht einstellen, da Sie sonst den Anspruch auf die Gegenleistung verlieren könnten.
- Eigene fristlose Kündigung aus wichtigem Grund: Die unberechtigte Kündigung des Auftraggebers kann für Sie einen wichtigen Grund darstellen, nun Ihrerseits den Vertrag aus wichtigem Grund zu kündigen.
Abnahme und Abrechnung nach Kündigung
Nach einer Kündigung ist es für Sie als Auftragnehmer wichtig:
- Auf einer Abnahme der bis zum Kündigungszeitpunkt erbrachten Leistungen zu bestehen. Denn auch bei einer Kündigung und der damit verbundenen nur teilweisen Leistungserbringung wird die Werklohnforderung erst mit der Abnahme fällig.
- Eine Schlussrechnung zu erstellen, da der Auftraggeber erst auf eine Schlussrechnung (nicht auf eine Abschlagsrechnung) zahlen muss.
Beachten Sie: Bei einer Kündigung aus wichtigem Grund sind beide Parteien auf Verlangen des anderen zu einer gemeinsamen Feststellung des Leistungsstandes verpflichtet. Kommt eine Partei dieser Verpflichtung nicht nach, muss sie im Falle eines späteren Rechtsstreits den Leistungsstand beweisen.
Schadensersatzansprüche
Unabhängig von der Kündigung können Schadensersatzansprüche bestehen, wenn die andere Partei den Anlass zur Kündigung schuldhaft verursacht hat. Bei einer berechtigten außerordentlichen Kündigung durch den Auftragnehmer können diese Ansprüche auch den entgangenen Gewinn umfassen.
Wenn Sie als Auftragnehmer mit einer Bedenkenanzeige konfrontiert sind, die vom Auftraggeber zurückgewiesen wurde, sind Sie nicht zur Verweigerung Ihrer Leistung berechtigt. Verweigern Sie dennoch die Leistung, kann dies den Auftraggeber zur Kündigung berechtigen. Allerdings werden Sie in dem Bereich, auf den sich Ihre Bedenken bezogen, von der Haftung befreit.
Wie wirkt sich die VOB/B auf das Recht zur Kündigung wegen Leistungsverweigerung aus?
Die VOB/B (Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen, Teil B) enthält spezifische Regelungen zum Kündigungsrecht bei Leistungsverweigerung, die über die allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen hinausgehen.
Kündigungsrecht des Auftraggebers nach VOB/B
Nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 VOB/B kann der Auftraggeber den Vertrag kündigen, wenn der Auftragnehmer seine Leistung verweigert oder nicht vertragsgemäß ausführt. Dieses Kündigungsrecht setzt jedoch voraus, dass der Auftraggeber dem Auftragnehmer zuvor eine angemessene Frist zur Vertragserfüllung gesetzt und gleichzeitig angedroht hat, dass er nach fruchtlosem Ablauf der Frist den Vertrag kündigen wird.
Wichtig: Die Kündigung kann gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 1 Satz 2 VOB/B auf einen in sich abgeschlossenen Teil der vertraglichen Leistung beschränkt werden (Teilkündigung). Der Begriff des „in sich abgeschlossenen Teils“ ist dabei eng auszulegen. Es muss sich um einen funktional eigenständigen Leistungsteil handeln, nicht lediglich um abgrenzbare Leistungen innerhalb eines Gewerks.
Wenn Sie als Auftraggeber eine Teilkündigung aussprechen möchten, müssen Sie sicherstellen, dass sich diese tatsächlich auf einen in sich abgeschlossenen Teil der Leistung bezieht. Andernfalls ist die Kündigung unwirksam, was erhebliche finanzielle Nachteile für Sie bedeuten kann.
Leistungsverweigerungsrecht des Auftragnehmers
Auf der anderen Seite kann dem Auftragnehmer unter bestimmten Umständen ein Leistungsverweigerungsrecht zustehen:
- Bei Zahlungsverzug des Auftraggebers: Nach § 16 Nr. 5 Abs. 3 VOB/B darf der Auftragnehmer die Arbeiten einstellen, wenn der Auftraggeber fällige Zahlungen trotz Nachfristsetzung nicht leistet.
- Bei berechtigten Bedenken: Wenn der Auftragnehmer fachlich begründete Bedenken gegen die vorgesehene Art der Ausführung hat, diese dem Auftraggeber mitgeteilt hat und der Auftraggeber darauf nicht angemessen reagiert, kann dem Auftragnehmer nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) ein Leistungsverweigerungsrecht zustehen. Dies gilt insbesondere, wenn die Ausführung nach den Vorgaben des Auftraggebers mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erheblichen Mängeln oder Schäden führen würde.
- Bei streitigen Nachträgen: In Ausnahmefällen kann dem Auftragnehmer auch bei begründeten Nachtragsforderungen ein Leistungsverweigerungsrecht zustehen, wenn ihm die Vorleistung unzumutbar ist.
Achtung: Verweigert der Auftragnehmer die Leistung zu Unrecht, riskiert er eine Kündigung aus wichtigem Grund nach § 8 Nr. 3 VOB/B durch den Auftraggeber.
Aktuelle Rechtsprechung zur Wirksamkeit der Kündigungsregelungen
Die Rechtsprechung des BGH hat die Anwendbarkeit einiger Kündigungsregelungen der VOB/B eingeschränkt:
Mit Urteil vom 19.01.2023 hat der BGH entschieden, dass das Kündigungsrecht des Auftraggebers nach § 4 Abs. 7 i.V.m. § 8 Abs. 3 VOB/B bei Mängeln vor Abnahme der AGB-Kontrolle nicht standhält, wenn die VOB/B nicht „als Ganzes“ vereinbart wurde.
Die VOB/B gilt nur dann „als Ganzes vereinbart“, wenn:
- sie ohne jegliche inhaltliche Abweichung in den Vertrag einbezogen wurde
- keine eigenen AGB des Verwenders die VOB/B-Regelungen modifizieren
Schon kleinste Abweichungen vom Text der VOB/B (z.B. Vereinbarung eines 10%-Einbehalts bei Abschlagszahlungen) führen dazu, dass die VOB/B nicht mehr „als Ganzes“ vereinbart ist und einzelne Klauseln der Inhaltskontrolle nach § 307 BGB unterliegen können.
Wenn Sie als Auftraggeber die VOB/B in Ihren Bauvertrag einbeziehen möchten, sollten Sie darauf achten, dass keine Ihrer Vertragsklauseln die Bestimmungen der VOB/B modifizieren, um die „Privilegierung“ der VOB/B zu erhalten.
Folgen einer unberechtigten Kündigung
Wenn Sie als Auftraggeber eine Kündigung wegen vermeintlicher Leistungsverweigerung aussprechen, diese aber unberechtigt ist, wird sie in der Regel als freie Kündigung nach § 8 Nr. 1 VOB/B behandelt. Dies hat zur Folge, dass der Auftragnehmer Anspruch auf die volle Vergütung abzüglich ersparter Aufwendungen hat.
Stellt sich nach einer Kündigung heraus, dass der Auftragnehmer ein berechtigtes Leistungsverweigerungsrecht hatte (z.B. wegen berechtigter Nachtragsforderungen), kann die Kündigung nicht als Kündigung aus wichtigem Grund, sondern nur als freie Kündigung gewertet werden.
Welche Kosten entstehen bei einer Kündigung des Bauvertrags und wer trägt diese?
Bei der Kündigung eines Bauvertrags können erhebliche Kosten entstehen, deren Verteilung maßgeblich von der Art der Kündigung abhängt.
Kosten bei freier Kündigung durch den Auftraggeber
Wenn Sie als Bauherr von Ihrem freien Kündigungsrecht nach § 648 BGB Gebrauch machen, müssen Sie dem Bauunternehmer grundsätzlich folgende Vergütungen zahlen:
- Die volle vereinbarte Vergütung für bereits erbrachte Leistungen
- Eine Entschädigung für nicht mehr ausgeführte Leistungen, wobei der Bauunternehmer sich ersparte Aufwendungen und anderweitige Einnahmen anrechnen lassen muss
Das Gesetz vermutet, dass dem Bauunternehmer 5% der Vergütung für den noch nicht erbrachten Teil der Werkleistung zustehen. Diese gesetzliche Vermutung kann jedoch von beiden Seiten widerlegt werden:
- Der Bauunternehmer kann nachweisen, dass sein entgangener Gewinn höher ist
- Sie als Auftraggeber können nachweisen, dass die ersparten Aufwendungen höher sind und dem Unternehmer daher weniger zusteht
In der Praxis können diese Kosten beträchtlich sein. Bei einer Bausumme von 200.000 Euro können bis zu 20.000 Euro als Vergütung an den Bauunternehmer fällig werden, wenn im Vertrag ein Prozentsatz von 10% vereinbart wurde, was von deutschen Gerichten in der Vergangenheit als zulässig angesehen wurde.
Kosten bei außerordentlicher Kündigung aus wichtigem Grund
Bei einer außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund nach § 648a BGB fallen in der Regel geringere Kosten an:
- Der Bauunternehmer hat nur Anspruch auf Vergütung der bis zur Kündigung erbrachten Leistungen
- Es besteht kein Anspruch auf entgangenen Gewinn für nicht erbrachte Leistungen
Voraussetzung ist jedoch, dass tatsächlich ein wichtiger Grund vorliegt, der eine Fortsetzung des Vertragsverhältnisses unzumutbar macht. Dies kann beispielsweise bei erheblichen Vertragsverstößen, Täuschungen oder Drohungen der Fall sein.
Kosten bei Kündigung wegen Überschreitung des Kostenvoranschlags
Wenn Sie als Bauherr den Vertrag kündigen, weil der Kostenvoranschlag wesentlich überschritten wird (ab etwa 15-20% Überschreitung), steht dem Bauunternehmer:
- Der Werklohn für bereits geleistete Arbeiten
- Ersatz der in der Vergütung nicht inbegriffenen Auslagen
Weitere Kostenaspekte
Neben den direkten Vergütungsansprüchen können weitere Kosten entstehen:
- Anwalts- und Gerichtskosten bei rechtlichen Auseinandersetzungen
- Mehrkosten für die Beauftragung eines neuen Bauunternehmers, die je nach Kündigungsgrund vom ursprünglichen Auftragnehmer oder vom Auftraggeber zu tragen sind
- Kosten für die Dokumentation des Bauzustands zum Zeitpunkt der Kündigung, um spätere Streitigkeiten zu vermeiden
Die Kostenfrage bei Baukündigungen ist komplex und hängt stark vom Einzelfall ab. Die genaue Höhe der Kosten kann erheblich variieren, weshalb eine sorgfältige Abwägung vor einer Kündigung ratsam ist.
Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung ersetzen kann. Haben Sie konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren – wir beraten Sie gerne.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
Bauvertrag
Ein Bauvertrag ist eine rechtliche Vereinbarung zwischen einem Bauherrn (Auftraggeber) und einem Unternehmer (Auftragnehmer) über die Erbringung von Bauleistungen. Er regelt die gegenseitigen Rechte und Pflichten sowie Art, Umfang und Vergütung der zu erbringenden Leistungen. Im deutschen Recht ist der Bauvertrag seit 2018 in den §§ 650a ff. BGB als besondere Form des Werkvertrags geregelt. Ein Bauvertrag kann die VOB/B (Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen, Teil B) einbeziehen, die spezielle Regelungen für Bauverträge enthält.
Beispiel: Bei einem Gerüstbauvertrag vereinbart der Auftragnehmer (Gerüstbauer) mit dem Auftraggeber die Errichtung eines Fassadengerüsts zu einem festgelegten Preis unter bestimmten technischen und zeitlichen Vorgaben.
VOB/B
Die VOB/B (Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen, Teil B) ist ein standardisiertes Regelwerk für Bauverträge, das die Rechtsbeziehungen zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer regelt. Sie enthält besondere Bestimmungen für Bauverträge, die über die allgemeinen Regelungen des BGB hinausgehen und speziell auf die Besonderheiten des Bauens zugeschnitten sind. Die VOB/B wird durch Vereinbarung der Vertragsparteien Vertragsbestandteil und regelt unter anderem Leistungsänderungen, Abnahme, Vergütung, Fristen und Kündigungsrechte.
Beispiel: Wenn bei einem Gerüstbau nach Vertragsschluss zusätzliche Arbeiten erforderlich werden, regelt die VOB/B in § 1 Abs. 3 und 4 in Verbindung mit § 2 Abs. 5 und 6, wie mit Leistungsänderungen und zusätzlichen Vergütungsansprüchen umzugehen ist.
Leistungseinstellung
Leistungseinstellung bezeichnet die vorübergehende oder dauerhafte Unterbrechung der vertraglich geschuldeten Arbeiten durch den Auftragnehmer. Im Baurecht stellt dies grundsätzlich eine Vertragsverletzung dar, außer es liegen berechtigende Gründe vor (z.B. Zahlungsverzug des Auftraggebers nach § 16 Abs. 5 VOB/B). Eine unberechtigte Leistungseinstellung kann als erhebliche Pflichtverletzung eine außerordentliche Kündigung nach § 8 Abs. 3 VOB/B oder § 648a BGB rechtfertigen und Schadensersatzansprüche auslösen.
Beispiel: Im vorliegenden Fall stellte der Gerüstbauer seine Arbeiten ein, weil keine Einigung über eine Mehrvergütung erzielt wurde, was vom Gericht als ungerechtfertigt angesehen wurde und zur rechtmäßigen Kündigung durch den Bauherrn führte.
Mehrvergütungsanspruch
Ein Mehrvergütungsanspruch bezeichnet den Anspruch des Auftragnehmers auf zusätzliche Vergütung für Leistungen, die über den ursprünglich vereinbarten Vertragsumfang hinausgehen. Bei Bauverträgen entsteht dieser Anspruch insbesondere durch nachträgliche Änderungen des Leistungsumfangs oder durch zusätzlich erforderliche Leistungen. Nach § 2 Abs. 5 und 6 VOB/B oder § 650c BGB muss der Auftragnehmer seinen Anspruch auf Mehrvergütung vor Ausführung der Leistung ankündigen und die Höhe möglichst vor Beginn der Arbeiten vereinbaren.
Beispiel: Der Gerüstbauer stellte fest, dass mehr Material und zusätzliche Bauteile benötigt wurden als ursprünglich geplant, und forderte daher eine höhere Vergütung, ohne jedoch die Voraussetzungen für einen wirksamen Mehrvergütungsanspruch zu erfüllen.
Außerordentliche Kündigung
Eine außerordentliche Kündigung ermöglicht die sofortige Beendigung eines Vertragsverhältnisses aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist. Im Baurecht ist sie in § 8 Abs. 3 VOB/B sowie § 648a BGB geregelt und setzt eine erhebliche Pflichtverletzung einer Vertragspartei voraus. Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn dem Kündigenden die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses nicht mehr zumutbar ist, etwa bei gravierenden Leistungsstörungen wie einer unberechtigten Leistungseinstellung.
Beispiel: Im vorliegenden Fall kündigte der Bauherr den Vertrag außerordentlich, nachdem der Gerüstbauer die Arbeiten wegen Streitigkeiten über Mehrvergütungsansprüche eingestellt hatte, was vomGericht als rechtmäßig anerkannt wurde.
Widerklage
Die Widerklage ist ein prozessuales Instrument, mit dem der Beklagte in einem laufenden Gerichtsverfahren eigene Ansprüche gegen den Kläger geltend machen kann (§ 33 ZPO). Sie ermöglicht es dem Beklagten, nicht nur die Klageabweisung zu erzielen, sondern selbst aktiv Ansprüche gegen den Kläger durchzusetzen. Dadurch können zusammenhängende Streitigkeiten in einem einzigen Verfahren entschieden werden, was die Prozessökonomie fördert und widersprüchliche Entscheidungen verhindert.
Beispiel: Im beschriebenen Fall erhob die Beklagte (Auftraggeberin) eine Widerklage gegen die Klägerin (Gerüstbauerin) und forderte Schadensersatz für die durch die Leistungseinstellung entstandenen Mehrkosten, was vom Gericht stattgegeben wurde.
Vorläufige Vollstreckbarkeit
Die vorläufige Vollstreckbarkeit ermöglicht es dem Gläubiger, ein Urteil trotz möglicher eingelegter Rechtsmittel (wie Berufung) bereits vor Rechtskraft zu vollstrecken. Sie ist in den §§ 708-710 ZPO geregelt und soll verhindern, dass der Schuldner durch eingelegte Rechtsmittel die Vollstreckung hinauszögert. Das Gericht kann die vorläufige Vollstreckbarkeit von einer Sicherheitsleistung abhängig machen, um den Schuldner vor eventuellen Nachteilen zu schützen, falls das Urteil später aufgehoben oder geändert wird.
Beispiel: Im vorliegenden Fall wurde das Urteil gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags für vorläufig vollstreckbar erklärt, wodurch die Beklagte die Zahlung durch die Klägerin bereits vor Rechtskraft des Urteils durchsetzen kann.
Wichtige Rechtsgrundlagen
- VOB/B § 2: Die VOB/B regelt als Teil der Allgemeinen Geschäftsbedingungen für Bauverträge die Vergütung. § 2 VOB/B bestimmt, wie sich die Vergütung bei Änderungen des Bauentwurfs oder der Ausführung und bei zusätzlichen Leistungen des Auftragnehmers berechnet. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Die Klägerin berief sich auf Mehrmengen und reichte ein Nachtragsangebot ein, was direkt unter § 2 VOB/B fällt, da es um eine Anpassung der Vergütung aufgrund geänderter Umstände geht.
- VOB/B § 6: § 6 VOB/B regelt Behinderung und Unterbrechung der Ausführung. Er bestimmt, unter welchen Umständen der Auftragnehmer eine Verlängerung der Ausführungsfristen und gegebenenfalls eine zusätzliche Vergütung verlangen kann, wenn er in der Bauausführung behindert wird. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Die Klägerin argumentierte mit einer Behinderung, da die Beklagte die Mehrvergütung nicht bestätigte und somit die Ausführung der weiteren Gerüstbauarbeiten verzögert wurde.
- VOB/B § 8: § 8 VOB/B regelt die Kündigung des Bauvertrags durch den Auftraggeber. Er legt fest, unter welchen Voraussetzungen der Auftraggeber den Vertrag kündigen kann und welche Folgen eine solche Kündigung für die Vergütungsansprüche und Schadensersatzansprüche hat. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Die Beklagte kündigte den Vertrag außerordentlich. § 8 VOB/B ist entscheidend, um zu beurteilen, ob die Kündigung rechtmäßig war und welche Ansprüche sich daraus für beide Parteien ergeben.
- Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) § 631: § 631 BGB definiert den Werkvertrag, welcher die Grundlage für Bauverträge bildet. Er verpflichtet den Unternehmer zur Herstellung des versprochenen Werks und den Besteller zur Zahlung der vereinbarten Vergütung. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Der zwischen den Parteien geschlossene Vertrag über Gerüstbauarbeiten ist ein Werkvertrag im Sinne des § 631 BGB. Die Pflichten beider Parteien, insbesondere die Leistungspflicht der Klägerin und die Zahlungspflicht der Beklagten, basieren auf dieser Vorschrift.
- Zivilprozessordnung (ZPO) § 91: § 91 ZPO regelt die Kostentragungspflicht im Zivilprozess. Grundsätzlich hat die unterliegende Partei die Kosten des Rechtsstreits, einschließlich der Gerichts- und Anwaltskosten der Gegenseite, zu tragen. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Da die Klage der Klägerin abgewiesen und der Widerklage der Beklagten überwiegend stattgegeben wurde, trägt die Klägerin gemäß § 91 ZPO die Kosten des Rechtsstreits. Dies ist ein wesentlicher finanzieller Aspekt des Urteils.
Das vorliegende Urteil
LG Potsdam – Az.: 6 O 276/20 – Urteil vom 19.04.2023
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