BGH, Az.: VII ZR 139/75, Urteil vom 12.10.1978
Tatbestand
Die Klägerin führte in den Jahren 1971/1972 für die Beklagte die Maurerarbeiten für ein größeres Bauvorhaben aus. Grundlage des Auftrags vom 26. August 1971 war ein Angebot der Klägerin, für das diese ein von der ehemaligen W. GmbH entworfenes Formular zu verwenden hatte. In den im Angebot als Vertragsbestandteil erwähnten „Zusätzlichen Vertragsbedingungen“ ist unter Nr 5 eine Vertragsstrafe für den Fall einer Überschreitung vereinbarter Fristen vorgesehen, die noch „bis zur Schlußzahlung“ sollte geltend gemacht werden können. Nach Nr 9 dieser Bedingungen hatte die Abnahme in einem förmlichen Verfahren zu erfolgen. Soweit nichts anderes bestimmt war, sollte die VOB (1952) gelten. Die Arbeiten waren bis zum 15. November 1971 zu beenden; diesen Termin hat die Klägerin nicht eingehalten.
Mit der Klage hat die Klägerin 64.892,70 DM nebst Zinsen als restlichen Werklohn verlangt. Die Beklagte hat die Schlußrechnung der Klägerin um 11.380,82 DM gekürzt, sich im übrigen auf eine zur Aufrechnung gestellte Vertragsstrafe berufen und demgemäß die Abweisung der Klage beantragt.
Das Landgericht hat die Beklagte durch Teilurteil verurteilt, an die Klägerin 6.423,88 DM nebst Zinsen zu zahlen, sich die Entscheidung wegen der 11.380,82 DM vorbehalten und die Klage im übrigen abgewiesen. Auf die Berufungen beider Parteien hat das Oberlandesgericht die Beklagte zur Zahlung von (64.892,70 DM – 11.380,82 DM =) 53.511,88 DM nebst Zinsen für einen kürzeren Zeitraum sowie zur Zahlung von Mehrwertsteuer auf die Zinsen verurteilt und den weitergehenden Zinsanspruch abgewiesen. Das Urteil ist in BB 1975, 852 und Betrieb 1975, 1601 veröffentlicht.
Mit der Revision, um deren Zurückweisung die Klägerin bittet, verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf vollständige Abweisung der Klage weiter.
Entscheidungsgründe
I.
1. Das Berufungsgericht geht davon aus, daß die Zusätzlichen Vertragsbedingungen der W. GmbH auch dann Vertragsbestandteil geworden sind, falls sie der Klägerin nicht ausgehändigt worden seien. In dem insoweit von der Rechtsnachfolgerin der W. GmbH, der … , in Vollmacht der Beklagten vorformulierten Angebot der Klägerin vom 9. Mai 1971 sei auf diese Bedingungen ausdrücklich Bezug genommen worden. Habe die Klägerin sie nicht gekannt, so sei sie bewußt ein Risiko eingegangen. Sie müsse sich deshalb so behandeln lassen, als ob sie von den Bedingungen schon bei Vertragsschluß Kenntnis gehabt habe.
Die Parteien hätten damit auch die in Nr 5 Satz 1 der Bedingungen vorgesehene Vertragsstrafe vereinbart. Angesichts der Bestimmung eines Fertigstellungstermins und der Hinweise der Beklagten auf die Notwendigkeit seiner Einhaltung sei die Klausel nicht überraschend. Im Baugewerbe seien Vertragsstrafeversprechen keinesfalls unüblich. Vor allem dann, wenn feste Termine gesetzt worden seien, werde im Wirtschaftsleben damit gerechnet, daß Allgemeine Geschäftsbedingungen auch derartige Regelungen enthielten.
Diese Ausführungen sind nicht zu beanstanden. Jene Vertragsbestimmung hält der Inhaltskontrolle stand: Eine Vertragsstrafe kann auch durch Allgemeine Geschäftsbedingungen, die Bestandteil eines Bauvertrages sind und durch die VOB/B ergänzt werden, wirksam ausbedungen und der Höhe nach durch einen Teilbetrag der Auftragssumme (hier: 0,2%, mindestens aber 20 DM pro Werktag) festgesetzt werden. Das hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 1. April 1976 (VII ZR 122/74 = BauR 1976, 279 – mit Nachw) ausgesprochen. Daran hält es fest.
2. Das Berufungsgericht läßt offen, ob die Klägerin eine Vertragsstrafe verwirkt hatte. Es versagt der Beklagten einen dahingehenden Anspruch jedenfalls deshalb, weil sie sich das Recht dazu bei der Abnahme der Leistung nicht vorbehalten habe (§ 341 Abs 3 BGB).
Tatsächlich sei die vertraglich vorgesehene förmliche Abnahme allerdings weder vorgenommen noch verlangt worden. Mit ihrem die Klägerin unter Fristsetzung zur Erteilung der Schlußrechnung auffordernden Schreiben vom 27. Juni 1972 habe die Beklagte indessen zu verstehen gegeben, daß sie von der in Nr 9 ihrer Bedingungen vorgesehenen förmlichen Abnahme absehen wolle. Die darauf erteilte Schlußrechnung der Klägerin sei am 6. Juli 1972 bei der … eingegangen und zugleich als schriftliche Mitteilung über die Fertigstellung der Leistung im Sinne des § 12 Nr 5 Abs 1 VOB/B zu behandeln. Die Leistung gelte daher mit Ablauf von 12 Werktagen seit Zugang der Rechnung, also mit Ablauf des 20. Juli 1972 als abgenommen. Die Beklagte habe die Vertragsstrafe jedoch erst mit der Rücksendung der geprüften Schlußrechnung am 18. Oktober 1972 geltend gemacht.
Das sei verspätet. In Nr 5 Satz 2 der Zusätzlichen Vertragsbestimmungen sei zwar bestimmt, daß eine verwirkte Vertragsstrafe noch bis zur Schlußzahlung geltend gemacht werden könne; diese Klausel sei aber wegen Verstoßes gegen Treu und Glauben unwirksam.
Das rügt die Revision letztlich mit Erfolg.
a) Nicht zu beanstanden ist allerdings die Auffassung des Berufungsgerichts, daß das Werk der Klägerin seit dem 20. Juli 1972 als abgenommen zu gelten habe. Entgegen der Ansicht der Revision war die Klägerin nicht verpflichtet, von der Beklagten eine förmliche Abnahme zu verlangen. Die Parteien konnten hierauf auch durch schlüssiges Verhalten verzichten, und zwar selbst dann, falls eine Änderung des Vertrages grundsätzlich der Schriftform bedurfte. Entscheidend ist allein, daß sie diesen Verzicht wollten (vgl Senatsurteile vom 29. November 1973 – VII ZR 205/71 = BauR 1974, 206, 207 – mit Nachw und NJW 1975, 1744, 1745). War das der Fall, wie das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei feststellt, so kam die Regelung des § 12 Nr 5 Abs 1 der hilfsweise geltenden VOB/B zum Zuge. Die Übersendung der Schlußrechnung durfte das Berufungsgericht als schriftliche Mitteilung über die Fertigstellung der Leistung werten (Senatsurteile vom 8. Juli 1963 – VII ZR 132/62 – und BGHZ 55, 354, 356).
b) Entscheidend ist demgemäß, ob auch Nr 5 Satz 2 der Zusätzlichen Vertragsbedingungen Vertragsbestandteil geworden ist und – sofern das zutrifft – ob diese Regelung mit Treu und Glauben zu vereinbaren ist, also der Inhaltskontrolle standhält.
Beides ist zu bejahen.
aa) Die vertragliche Einbeziehung Allgemeiner Geschäftsbedingungen erfaßt zwar grundsätzlich diejenigen Klauseln nicht, die – mögen sie auch sachlich nicht unangemessen sein – überraschend sind, mit denen also eine Vertragspartei bei Billigung der vom Gegner aufgestellten Bedingungen redlicherweise nicht zu rechnen braucht (BGH NJW 1977, 195, 196 mit Nachw; Löwe/Graf von Westphalen/Trinkner, AGBG, § 3 Rdn 10; Ulmer/Brandner/Hensen AGBG, 3. Aufl, § 3 Rdn 8; Dietlein/Rebmann, AGB aktuell, § 3 Rdn 1; Kötz in MünchKomm, BGB Bd 1, § 3 AGBG Rdn 4). Von einer derartig „überraschenden Klausel“ kann hier aber keine Rede sein.
„Überraschend“ ist eine Klausel in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, wenn sie nach den Umständen, insbesondere nach dem äußeren Erscheinungsbild des Vertrages so ungewöhnlich ist, daß der Vertragspartner des Verwenders mit ihr nicht zu rechnen braucht. Diese in § 3 AGBG aufgenommene Begriffsbestimmung geht auf die ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zurück; ihr tritt der Senat auch für den vorliegenden Fall bei.
Die Bestimmung, daß die Vertragsstrafe nicht nur bei der Abnahme, sondern auch noch bis zur Schlußrechnung geltend gemacht werden könne, begründet keine neuen Pflichten für die Klägerin und verlangt von ihr auch kein Tätigwerden zur Vermeidung von Nachteilen. Darüber hinaus ist diese Klausel bei Bauverträgen nicht selten. Daß das in § 341 Abs 3 BGB vorgeschriebene Erfordernis des Vorbehalts bei der Abnahme in Individualverträgen abbedungen wird, kommt immer wieder vor (vgl zB das Senatsurteil NJW 1971, 883, 884 mit Nachw). Auch in Allgemeinen Geschäftsbedingungen muß mit ihr gerechnet werden. Den in dem Urteil NJW 1971, 883, 884 erwähnten Senatsentscheidungen vom 29. September 1960 – VII ZR 156/59 – und 20. September 1962 – VII ZR 30/61 – lagen vergleichbare Regelungen zugrunde.
bb) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts hält die Klausel auch der Inhaltskontrolle stand.
Das Berufungsgericht meint, hier sei eine die widerstreitenden Interessen der Parteien ausgleichende Regelung des dispositiven Rechts verdrängt worden, ohne daß die Klägerin auf andere Weise einen angemessenen Schutz erhalten habe. § 341 Abs 3 BGB solle nicht nur als reine Zweckmäßigkeitserwägung allen Zweifeln vorbeugen, ob die Erfüllungsannahme im Einzelfall als vertraglicher Verzicht des Gläubigers auf die bereits verwirkte Vertragsstrafe anzusehen sei. Diese Vorschrift habe auch einen aus der Natur des Vertragsstrafeversprechens sich ergebenden Ausgleichscharakter.
Dieser Auffassung hat sich das OLG Köln angeschlossen (BauR 1977, 425), ein Teil des Schrifttums hat ihr zugestimmt (Ballhaus in BGB-RGRK, 12. Aufl, § 341 Rdn 6; Palandt/Heinrichs, BGB, 37. Aufl, § 341 Anm 2; Ingenstau/Korbion, VOB, 8. Aufl, Teil B, § 11 Anm 7). Sie kann jedoch nicht gebilligt werden.
Zutreffend geht das Berufungsgericht allerdings davon aus, Teil B, § 11 Anm 7). Sie kann jedoch nicht gebilligt einseitig aufgestellten Allgemeinen Geschäftsbedingungen die Anerkennung zu versagen ist, wenn sie den im dispositiven Recht enthaltenen, ausgewogenen Ausgleich widerstreitender Interessen verdrängen, ohne den Vertragspartner des Verwenders Teil B, § 11 Anm 7). Sie kann jedoch nicht gebilligt zu sichern (BGHZ 60, 377, 380). Verdanken Vorschriften des dispositiven Rechts ihre Entstehung nicht nur Zweckmäßigkeitserwägungen, sondern einem aus der Natur der Sache sich ergebenden Gerechtigkeitsgebot, so bedarf es zur Wirksamkeit einer von ihnen abweichenden Regelung durch Allgemeine Geschäftsbedingungen gewichtiger Gründe, wenn die betreffende Klausel das Gerechtigkeitsgebot, wie es aus der Leitbildfunktion des dispositiven Rechts ersichtlich ist, in Frage stellt und gleichwohl mit Recht und Billigkeit vereinbar sein soll (BGHZ 54, 106, 109/110; 63, 256, 259; NJW 1973, 1192, 1193). Je stärker der Gerechtigkeitsgehalt der Dispositivnorm ist, um so strenger ist zu prüfen, ob die Abweichung noch mit Treu und Glauben zu vereinbaren ist (BGHZ 41, 151, 154; 54, 106, 110).
Nicht hinreichend berücksichtigt das Berufungsgericht dagegen, daß § 341 Abs 3 vor allem das Ergebnis einer Zweckmäßigkeitserwägung des Gesetzgebers ist. Vor Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches bestand jedenfalls im Geltungsbereich des Gemeinen Rechts kein Rechtssatz des Inhalts, daß der Anspruch auf Vertragsstrafe mit der vorbehaltlosen Annahme der Hauptleistung erlösche. Es war vielmehr nach den Umständen des Einzelfalles zu entscheiden, ob die vorbehaltlose Annahme als Verzicht des Gläubigers auf die Vertragsstrafe zu verstehen sei (RGZ 9, 199, 200). Die damit verbundenen Zweifel wollte der Gesetzgeber ausschalten. Das Reichsgericht hat denn auch seine Auffassung, daß § 341 Abs 3 BGB dispositives Recht sei, mit der Erwägung begründet, daß den Streitigkeiten, ob in der vorbehaltlosen Annahme ein Verzicht auf die Vertragsstrafe zu sehen sei, von vornherein der Boden entzogen werde, wenn vertragsmäßig feststehe, daß dem Mangel des Vorbehalts die Bedeutung eines Verzichts nicht zukommen könne (WarnRspr 1914, 467, 468).
Neben dieser Zweckmäßigkeitserwägung ist freilich für die Regelung des § 341 Abs 3 BGB auch bestimmend gewesen, daß mit ihr unbillige Härten gegen den Schuldner verhindert werden sollten (Motive II S 277): Der Gläubiger, der die Hauptleistung vorbehaltlos angenommen habe, dürfe nicht bis zum Ablauf der Verjährung berechtigt bleiben, die Strafe einzutreiben (Protokolle Bd I S 778).
In solchem Maße weicht die hier in Rede stehende Klausel jedoch vom Leitbild des dispositiven Rechts nicht ab: Der Vorbehalt ist nicht vollständig entfallen; die Obliegenheit der Beklagten, ihn zu erklären, ist lediglich vom Zeitpunkt der Abnahme bis zu dem der Schlußzahlung hinausgeschoben worden. Dem kann die rechtliche Wirksamkeit nicht versagt werden. Der Gerechtigkeitsgehalt des § 341 Abs 3 BGB ist wegen der vorstehend erörterten Zweckmäßigkeitserwägungen nicht als so stark zu veranschlagen, daß es eines besonders strengen Maßstabes bei der Prüfung bedürfte, ob Nr 5 Satz 2 der Zusätzlichen Vertragsbestimmungen mit Treu und Glauben zu vereinbaren ist. Der Senat hat zwar wiederholt ausgesprochen, der Schuldner solle auch dann, wenn die Vertragsstrafe bereits mit der Nichterfüllung bei Fälligkeit in voller Höhe verwirkt sei, die Aussicht behalten, daß der Gläubiger unter dem Eindruck einer – wenn auch verspäteten – so doch nachgeholten Erfüllung von seinem Recht, die Vertragsstrafe zu verlangen, keinen Gebrauch machen werde (BGHZ 33, 236, 238; NJW 1971, 883, 884). Das hindert jedoch nicht, den Zeitpunkt, in dem die Vertragsstrafe geltend gemacht werden muß, in dem hier erörterten Umfange zu verschieben. Die Vertragsstrafe soll nicht nur den Schuldner zur Erbringung der geschuldeten Leistung anhalten, sie soll auch dem Gläubiger die Möglichkeit einer erleichterten Schadloshaltung eröffnen (BGHZ 63, 256, 259 mit Nachw). Gerade im Bauwesen wird sich häufig nicht schon bei der Abnahme eines einzelnen Gewerks, sondern erst bei der Gesamtabrechnung herausstellen, ob die Verzögerung der Erfüllung letztlich einen Schaden verursacht hat. Das darf der Verwender von Allgemeinen Geschäftsbedingungen berücksichtigen. Wäre er genötigt, sich die Vertragsstrafe in jedem Falle vorsorglich vorzubehalten, wäre seinem Vertragspartner damit wenig gedient: Ist das Recht einmal geltend gemacht, liegt es nahe, daß es auch durchgesetzt wird, und zwar unabhängig davon, ob ein Schaden tatsächlich entstanden ist. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts können also beachtliche Gründe für die von ihm mißbilligte Klausel sprechen. Die Dispositionsfreiheit des zunächst in Verzug geratenen Schuldners wird dadurch, daß er bis zur Schlußzahlung mit der Geltendmachung der Vertragsstrafe rechnen muß, auch dann nicht unangemessen beeinträchtigt, wenn ein Sicherheitseinbehalt vereinbart worden ist. Wird jegliche Schlußzahlung verweigert, so wäre der Zeitpunkt der Verweigerung für die Erklärung des Vorbehalts der Vertragsstrafe ebenso maßgeblich wie bei der grundlosen Verweigerung der Abnahme (vgl Senatsurteil NJW 1970, 421, 422 mit Nachw).
II.
Das angefochtene Urteil kann nach alledem keinen Bestand haben. Es ist aufzuheben, die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Dieses wird nunmehr zu prüfen haben, ob und – sofern das zu bejahen ist – in welchem Umfange die Klägerin eine (jedenfalls wirksam vereinbarte) Vertragsstrafe schuldet.