LG Frankfurt – Az.: 3/10 O 92/11 – Urteil vom 09.05.2014
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 3.700,32 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von acht Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 11.02.2010 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits – einschließlich der Kosten der Nebenintervenientin – hat die Klägerin zu tragen.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Klägerin macht mit ihrer Klage Mehrkosten gemäß § 642 BGB geltend, die ihr als Unternehmerin wegen Baustillständen und Bauzeitverlängerungen bei der Modernisierung der … im Bereich des … entstanden seien. Im Kern streiten die Parteien darum, ob eine als Nebenangebot Nr. 3 bezeichnete Abrede der Parteien der Geltendmachung der streitgegenständlichen Forderung entgegensteht.
Die Parteien schlossen am … einen Bauvertrag über die Modernisierung der … im Bereich des … Die Klägerin erbrachte zur Erneuerung der Bahnsteige 1 und 2 Leistungen auf Bahnsteigkanten, Kabeltiefbau, Beleuchtung und Pflasterung. Als vertragliche Vergütung vereinbarten die Parteien einen Betrag in Höhe von 615.027,22 € (netto). Der Vertrag wurde in Form eines Einheitspreisvertrages geschlossen. Die VOB/B ist Vertragsgrundlage (§ 3 Ziff. 3.2.8 des Bauvertrages). Als Vertragsbestandteile werden in § 3.2.1. auch das Protokoll über die Aufklärung des Angebotsinhalts sowie vertragsrelevanter Schriftverkehr definiert, wobei im Klammerzusatz auf die Unterschriftenseite des Vertrags verwiesen wird. Dort findet sich folgender Zusatz hinsichtlich der einzubeziehenden Anlagen zum Vertrag:
„Mit den vereinbarten Klarstellungen gemäß der Protokolle über die Aufklärung des Angebotsinhalts, und /oder dem vertragsrelevanten Schriftverkehr
vom 27.5.2008, Anlage 2.0.
…
wird das Angebot einschl. der Nebenangebote/Änderungsvorschläge Nr. 1, 2 und 3 angenommen ….“
Wegen weiterer Einzelheiten des Bauvertrags vom 16.06.2008 wird auf die zur Akte gereichte Ablichtung Bezug genommen (Anlage K1).
Die Klägerin hatte das Nebenangebot Nr. 3 – wie auch den Bauvertrag selbst – bereits am 08.05.2008 unterzeichnet. Im Nebenangebot Nr. 3 heißt es u.a.:
„Nebenangebot/Änderungsvorschlag Nr.: 3
Kurzbeschreibung: Verzicht auf Behinderungs- und Stillstandskosten Änderung der Angebotssumme (netto) um: offen (Ermittlung durch AG) EUR
…
Inhalt diese Nebenangebotes ist der Verzicht auf Behinderungs- und Stillstandskosten, welche im Zusammenhang der hier ausgeschriebenen Vertragstermine zur Erbringung der Bauleistung und der bereits laufenden städtischen Baumaßnahme (Fußgängerunterführung) entstehen werden.
…
3) Wir stehen – ohne Rücksicht auf eigenes Verschulden – dafür ein, dass aus Gründen, die im Nebenangebot / Änderungsvorschlag liegen,
a) die Mengenansätze der aus dem Hauptangebot in jeder Hinsicht unverändert übernommenen, d.h. in Nr. 1 nicht aufgeführten Positionen, durch das Nebenangebot / Änderungsvorschlages nicht erhöht werden,
b) der Gesamtbetrag aller sonstigen Positionen des Nebenangebots / Änderungsvorschlags nicht überschritten wird.
Wir stehen in gleicher Weise dafür ein, dass unser Nebenangebot / Änderungsvorschlag vollständig ist und den in den Verdingungsunterlagen enthaltenen Anforderungen uneingeschränkt … entspricht“
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf das in Kopie zur Akte gereichte Nebenangebot Nr. 3 vom 8.5.2008 Bezug genommen (B1, Bl. 32 d.A.).
In dem ebenfalls im Bauvertrag erwähnten Besprechungsprotokoll zum technischen Aufklärungsgespräch gemäß § 24 VOB/A vom 27.05.2008, wegen dessen Einzelheiten auf die Anlage B2 (Bl. 33 ff. d.A.) verwiesen wird, heißt es unter Ziff. 3.2 „Erläuterung der Nebenangebote“ auszugsweise:
„Es wurden 3 Nebenangebote eingereicht.
…
NA 3: Keine Behinderungen durch gleichzeitige städt. Baumaßnahme
Sämtliche Umplanungen für die Ausführungsplanung der Bahnsteige 1+2 sind in den Nebenangebotspreisen der NA 1+2 abgegolten.“
Während der Durchführung des Baus kam es ab Juli 2008 zu Verzögerungen. Die Klägerin übersandte der Beklagten mit Schreiben vom 19.12.2008 ein als „Nachtrag 1“ bezeichnetes Schreiben, welches ein Angebot für Mehrkosten in Höhe der Klageforderung enthielt. Wegen des Inhalts dieses Schreiben im Einzelnen wird auf Anlage K4 Bezug genommen. Die Abnahme des Gewerks erfolgte am 23.04.2009. Die Schlussrechnung wurde am 12.10.2009 erteilt. Der hier im Streit stehende Nachtrag 1 wurde gesondert unter dem 17.12.2009 abgerechnet (vgl. Anlage K5a).
Die Klägerin verlangt mit ihrer Klage Ersatz der mit Rechnung vom 17.12.2009 abgerechneten Mehrkosten. Sie ist der Auffassung, dass das „Nebenangebot Nr. 3“ der Geltendmachung ihrer Forderung nicht entgegen stehe. Es handele sich insoweit nicht um einen umfassenden Verzicht ohne Rücksicht auf eigenes Verschulden. Bereits die Bezugnahme auf Behinderungs- und Stillstandskosten, welche „im Zusammenhang der hier ausgeschriebenen Vertragstermine zur Erbringung der Bauleistung“ entstehen würden, bedeute eine Einschränkung. Darüber hinaus komme in der Formulierung im Protokoll des Aufklärungsgespräches „Keine Behinderung durch gleichzeitige städtische Baumaßnahme“ zum Ausdruck, dass nur Behinderungen durch gleichzeitiges Arbeiten in beiden Baufeldern vom Nebenangebot erfasst sein sollten, nicht dagegen bauzeitliche Auswirkungen der einen auf die andere Baumaßnahme. Die Klägerin behauptet, anlässlich des Bieteraufklärungsgesprächs habe Einigkeit zwischen den Parteien geherrscht, dass das „Nebenangebot Nr. 3“ nur solche Einflüsse abdecken soll, die bei ungestörter Vertragsabwicklung beider Vertragsverhältnisse aus einer klägerseits beeinflussbaren Bauentwicklung resultierten. Der Geschäftsführer der Klägerin habe das Nebenangebot Nr. 3 selbst entworfen. Der hierin formulierte Ausschluss habe nur für solche Verzögerungen gelten sollen, welche die Klägerin auch selbst verursacht habe. Er habe im Bieteraufklärungsgespräch klar definiert, dass das Nebenangebot sich darauf beziehe, dass sich die verschiedenen Kolonnen der Klägerin, die auf dem Bauvorhaben tätig sind, nicht klägereigenverschuldet bei ungestörtem Bauablauf beider Verträge, also des Vertrags zur Beklagten und des Vertrags zur Nebenintervenientin, behindern würden. Man habe das Nebenangebote selbst nicht „gewertet“; es habe nicht weiter beachtet werden sollen; dementsprechend sei es – wie sich aus dem Besprechungsprotokoll zum technischen Bietergespräch ergebe – mit „Null“ bewertet worden.
Die Forderung der Klägerin setzt sich aus folgenden Positionen zusammen. Wegen der Einzelheiten wird insbesondere auf die Ausführungen in der Klageschrift (Bl. 7 ff. d.A.) Bezug genommen:
Position 2.1:
Fehlende Überbaubarkeit der Personenunterführung im Zuge
der Herstellung des Bahnsteiges 2 (04.07.2008 – 25.08.2008) 49.960,82 €
Stillstand der Bauarbeiten im Gleisbereich wegen fehlendem
technischen Berechtigten nach Punkt 4.2 der BETRA
(02.09.2008 – 03.09.2008) 4.685,64 €
Position 2.3:
Durch den AG angeordneter Baustopp aufgrund von
Setzungen (15.09.2008-07.10.2008) 20.265,76 €
Position 2.4:
Erneuter Baustopp am Bahnsteig 2 (16.10.2008 – 14.11.2008) 27.865,42 €
Position 2.5:
Fehlende Baufreiheit für Beginn der Arbeiten an Bahnsteig 1
(01.12.2008- 12.12.2008) 15.193,10 €
Position 2.6:
Verlängerte Vorhaltung der Baustelle 62.194,20 €
Position 2.7:
Zuschlag für Allgemeine Geschäftskosten 29.258,79 €
Die Klägerin hat zunächst beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 209.423,74 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von acht Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.02.2010 zu zahlen. Die Beklagte hat die Klageforderung hinsichtlich der Klageposition zu Ziffer 2.2. in Höhe von 3.700,32 € anerkannt. Die Klägerin hat hinsichtlich der Klageposition Ziffer 2.1. die Klage in Höhe von 15.868,22 € und hinsichtlich der Pos. 2.1. in Höhe von 985,32 € zurückgenommen.
Die Klägerin beantragt zuletzt, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 192.570,20 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.02.2010 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hält die in Position 2.2. geltend gemachten Verzögerungskosten teilweise für berechtigt und hat diese insoweit anerkannt. Im Übrigen ist sie der Auffassung, dass die streitgegenständlichen Ansprüche durch das Nebenangebot Nr. 3 ausgeschlossen seien. Hierzu behauptet sie, bei der Besprechung des Nebenangebots Nr. 3 im Bietergespräch vom 27.05.2008 seien durch die Vertreter der Klägerin keinerlei Einschränkungen angesprochen worden. Sie hätten auch keine Einschränkung des erklärten Verzichts auf Mehrkosten und Stillstandskosten dahin verlangt, dass dieser nicht für ein Verschulden der … oder Dritter gelten solle. Wäre eine solche Beschränkung verlangt worden, hätte … dies in ihrem Besprechungsprotokoll vom … vermerkt. … habe insoweit handschriftliche Aufzeichnungen zum Gespräch gefertigt, die anschließend in allen Details in das Protokoll des Vergabegesprächs übernommen worden seien.
Für die Beklagte habe das Nebenangebot mit seinem umfassenden Ausschluss von Stillstands- und Behinderungskosten aus der vorgeschalteten Baumaßnahme „Fußgängerunterführung“ auch Sinn ergeben, weil ansonsten keine Veranlassung bestanden hätte, die Klägerin bei unklarer Terminlage bereits jetzt mit der Durchführung der Bahnsteigarbeiten zu beauftragen. Die Beklagte wäre nicht das Risiko fester Vertragstermine eingegangen, wenn sie Behinderungs- oder Stillstandskosten – gleich aus welcher Ursache – bedingt durch die vorauslaufende städtische Baumaßnahme hätte befürchten müssen.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung der Zeugen … und …. Wegen des Beweisthemas wird auf den Beweisbeschluss der Kammer vom 29.11.2013 und wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 29.11.2013 (Bl. 260-279) Bezug genommen.
Wegen weiterer Einzelheiten hinsichtlich des Sach- und Streitstandes wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst deren Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist in der Hauptsache nur im Umfang des Anerkenntnisses begründet. Der erkannte Zinsschaden ergibt sich unter dem Gesichtspunkt des Verzugs (§§ 286, 288 Abs. 1 BGB).
Im Übrigen ist die Klage unbegründet.
Den geltend gemachten Ansprüchen auf Ersatz von Verzögerungsschäden steht jedenfalls die individualvertragliche Abrede durch das Nebenangebot Nr. 3 entgegen. Mit Vereinbarung dieses Nebenangebots wurde der Ersatz der genannten Schäden wirksam abbedungen.
Diese Feststellung beruht auf der Überzeugung des Gerichts, welche es unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses der Beweisaufnahme unter Berücksichtigung der Auslegungsgrundsätze nach §§ 133, 157 BGB gewonnen hat (§ 286 ZPO).
Dabei ist im Grundsatz davon auszugehen, dass an die Annahme eines vertraglichen Verzichts auf bestimmte Ansprüche im Sinne eines Erlassvertrags strenge Anforderungen zu stellen sind. Voraussetzung ist der unmissverständliche rechtsgeschäftliche Wille, auf die Forderung zu verzichten. Insoweit gilt der Erfahrungssatz, dass ein Erlass nicht zu vermuten und im Zweifel eng auszulegen ist. Sogar bei scheinbar eindeutigen Erklärungen darf ein Erlass nur angenommen werden, wenn sämtliche relevanten Begleitumstände berücksichtigt worden sind (vgl. BGH, NJW 2006, 1511, 1512; NJW 2008, 2842; vgl. auch Grüneberg, in: Palandt, 73. Auf. 2014, § 97 Rdn. 6 m.w.N.). Dieser für die Frage, ob ein Verzicht überhaupt gewollt ist, entwickelte Grundsatz, gilt ebenso für die Frage nach dem Umfang eines vereinbarten Verzichts.
Auch die Anlegung dieses strengen Maßstabs führt indes zur Annahme eines umfassenden Verzichts auf Behinderungs- und Stillstandskosten.
Das Nebenangebot Nr. 3 ist durch die Bezugnahme im Bauvertrag Vertragsinhalt geworden. Sowohl nach seinem Wortlaut als auch nach den im – von der Klägerin unterzeichneten – Besprechungsprotokoll vom 27.05.2008 gewählten Formulierungen enthält es aus Sicht des insoweit maßgeblichen objektiven Empfängerhorizonts keine Ausnahmen. Vielmehr wird sowohl in der Kurzbeschreibung als auch in der nachfolgenden Erläuterung ohne Einschränkung seitens der Klägerin auf die hier im Streit stehenden Ansprüche wegen Verzögerungsschaden im Sinne von Behinderungs- und Stillstandskosten, welche im Zusammenhang mit der städtischen Baumaßnahme entstehen, verzichtet. Weder sind in der erläuternden Passage zum Inhalt des Nebenangebots Nr. 3 Einschränkungen formuliert noch lassen sich entsprechende Beschränkungen Ziff. 3.2 des Besprechungsprotokolls vom 27.05.2008 entnehmen. So verdeutlicht die Wortwahl Behinderungs- und Stillstandskosten „welche im Zusammenhang der hier ausgeschriebenen Vertragstermine zur Erbringung der Bauleistung und der bereits laufenden städtischen Baumaßnahme“ entstehen, nicht, dass nur eine Behinderung durch eigene Kolonnen der Klägerin gemeint war, vielmehr ist die Formulierung „im Zusammenhang“ weit und unspezifisch und lässt aus Sicht des objektiven Empfängers keine Beschränkung erkennen. Soweit die Klägerin außerdem in der Formulierung des Besprechungsprotokolls „gleichzeitige städt. Baumaßnahme“ einen Hinweis darauf sieht, dass die Klägerin nur die Verantwortlichkeit für die Gesamtkoordination habe übernehmen wollen, d.h. für die Behinderungen, die im üblichen Bauablauf aus der gleichzeitigen Abwicklung zweier Baumaßnahmen in einem eingeschränkt großen Baufeld entstehen würden, nicht aber für weitergehende, gewissermaßen von außen kommende Störungen, ist dieser Schluss zwar abstrakt möglich. Der Begriff „gleichzeitig“ ist für sich genommen allerdings nicht aussagekräftig, weil er mit mindestens gleicher Aussagestärke auch die bloße zeitliche Relation beschreiben kann. Er trifft insbesondere keine Aussage dazu, dass nur Behinderungen in den Blick genommen werden sollen, die im Verantwortungsbereich der Klägerin liegen.
Das Verständnis eines uneingeschränkten Verzichts wird durch den in Ziffer 3 des Nebenangebots Nr. 3 enthaltenen Zusatz indiziell bestärkt. An dieser Stelle wird ausdrücklich erklärt, dass die Klägerin ohne Rücksicht auf eigenes Verschulden dafür einstehe, dass aus Gründen, die im Nebenangebot liegen, die schriftlich vereinbarten Mengen und Gesamtbeträge aus Hauptangebot und allen Nebenangeboten nicht erhöht bzw. überschritten würden. Dabei verkennt das Gericht nicht, dass dem Nebenangebot Nr. 3 eine für eine Vielzahl von Fällen vorformuliertes Muster zugrunde liegt, das auf den Inhalt des Nebenangebots Nr. 3 nicht uneingeschränkt passt. Dennoch hätte es bei einem nur beschränkt gewollten Verzicht nahe gelegen, dieses Verständnis hindernde, vorformulierte Passagen zu streichen, zumal ausweislich der Anlage B1 (Bl. 32 d.A.) im vorgefertigten Formular durchaus Streichungen und Eintragungen vorgenommen wurden und auch Ziff. 3 durch Ankreuzen des Wortes „uneingeschränkt“ eine Eintragung aufweist.
Die schriftliche Vereinbarung trägt die Vermutung der Richtigkeit und Vollständigkeit in sich (vgl. zu dieser Frage BGHZ 67, 378, 381; BGH NJW 1980, 1680; BGH NJW-RR 1989, 1323; BGH NJW 1991, 1750, 1753). Diese tatsächliche Vermutung ist zwar widerlegbar (vgl. BGH NJW 1980, 1680, 1681; 2002, 3164, 3165), da es sich weder um eine gesetzliche Vermutung noch um einen Anscheinsbeweis handelt. Allerdings muss derjenige, der sich auf zusätzliche bzw. abweichende Vereinbarungen beruft, diese beweisen (vgl. BGH NJW 2002, 3164, 3165; Schreiber, in: Münchener Kommentar, ZPO, 4. Aufl. 2012, § 416 Rdn. 10).
Der Klägerin ist es nicht gelungen, die gegen sie streitende Vermutung zu widerlegen. Das Gericht ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht davon überzeugt, dass die Parteien mündlich eine Beschränkung des Nebenangebots Nr. 3 besprochen und insoweit das von der Klägerin behauptete gemeinsame Verständnis erlangt haben.
Nach Anhörung des Geschäftsführers der Klägerin und der Vernehmung der Zeugen wurde das Beweisthema vielmehr teilweise bestätigt, teilweise nicht bestätigt. Die Angaben aller vernommenen Auskunftspersonen waren im Grundsatz glaubhaft, die Zeugen glaubwürdig. Das Gericht hat deswegen – auch unter Berücksichtigung aller weiteren Umstände des Einzelfalls und der Interessenlage – keinen Anlass, einer der Darstellungen den Vorzug zu geben.
So hat der Geschäftsführer der Klägerin in seiner Anhörung gemäß § 141 ZPO die Beweisbehauptung der Klägerin im Wesentlichen bestätigt. Er gab an, sie hätten „ein Verständnis herausgearbeitet, wie wir das meinen, nämlich, dass wir nur Verzögerungen meinen, die wir selbst verursacht haben“ (vgl. Sitzungsniederschrift vom 29.11.2013, Seite 2 f., Bl. 263 f. d.A.) und hat auf Nachfrage erläutert, man habe den Bauablauf durchgesprochen und besprochen, dass sich Baumaßnahmen überschneiden könnten, weil beide Firmen in einem Baufeld arbeiteten (vgl. Sitzungsniederschrift vom 29.11.2013, Seite 4, Bl. 265 d.A.).
Schon die Aussage des von der Klägerin benannten Zeugen … enthielt allerdings gewisse Unsicherheiten. Insbesondere wurde nicht hinreichend deutlich, welchen genauen Inhalt das Bietergespräch bezüglich des Nebenangebots Nr. 3 tatsächlich hatte und inwiefern die schriftliche Fassung einschränkend erläutert wurde. Er bekundete, sie – die Klägerseite – hätten ihre Sicht des Nebenangebots Nr. 3 dargelegt und gesagt, dass „alle Kosten damit abgegolten sind“. Man habe der Beklagtenseite erläutert, dass es zu keinen Behinderungen komme, wenn eine Firma beide Aufträge bekommen würde, weil man beide Maßnahmen koordinieren könne (vgl. Sitzungsniederschrift vom 29.11.2013, Seite 6., Bl. 267 d.A.). Aus dieser Bekundung des Zeugen folgt indes nicht klar, welche konkreten Behinderungen abgegolten werden sollten, zumal der Zeuge keine Beispiele nennen konnte (vgl. Sitzungsniederschrift vom 29.11.2013, Seite 8, Bl. 269 d.A.) und die Wortwahl „dass alle Kosten damit abgegolten sind“ für den Erklärungsempfänger eher ein weites Verständnis nahe legt. Soweit der Zeuge ferner angab, das Nebenangebot Nr. 3 habe nicht gewertet werden sollen, dies sei so zu verstehen, dass die Beklagte das Nebenangebot Nr. 3 nicht annehme, vermochte der Zeuge indes nicht zu erklären warum das Nebenangebot dann im Bieterprotokoll genannt ist (vgl. Sitzungsniederschrift vom 29.11.2013, Seite 8, Bl. 269 d.A.). Er konnte ferner keine Angaben dazu machen, warum eventuelle Einschränkungen des Verzichts dort nicht aufgenommen wurden.
Die Bekundungen der von der Klägerin benannten Zeugin … waren hinsichtlich des Beweisthemas im Ergebnis unergiebig. Eine ausreichend präzise Rekonstruktion der Verhandlungssituation und des Vorverständnisses zum Nebenangebot Nr. 3 ist auf der Basis ihrer Angaben nicht möglich. Sie bekundete zwar zunächst, der Geschäftsführer der Klägerin habe im Frühjahr 2008 das Nebenangebot Nr. 3 so erläutert, dass bei der Abwicklung des streitgegenständlichen Bauvorhabens Behinderungen aus dem anderen (städtischen) Bauvorhaben nicht zur Last fallen sollten. In diesem Kontext habe der Geschäftsführer der Klägerin auch gesagt, wenn die Klägerin es verschulde, werde sie dafür gerade stehen (vgl. Sitzungsniederschrift vom 29.11.2013, Seite 14, Bl. 275 d.A.). Auf Nachfrage relativierte sie jedoch diese Angaben erheblich. Sie war sich zunächst nicht mehr sicher, wer die fragliche Äußerung zu einem etwaigen verschuldensabhängigen Anspruchsverzicht geäußert habe. Ferner konnte sie keine Angaben dazu machen, welche Fälle von dem Nebenangebot Nr. 3 umfasst sein sollten bzw. ob überhaupt über derartige Fälle gesprochen wurde. Sie meinte aber im Verlauf der Vernehmung, es sei allen klar gewesen, „dass es zu Behinderungen kommen kann und zum Stillstand und die Konsequenzen von … zu tragen sind“, ohne insoweit auf die Frage des Verschuldens abzustellen (vgl. Sitzungsniederschrift vom 29.11.2013, Seite 16, Bl. 277 d.A.) Die Unsicherheiten der Zeugin gingen so weit, dass sie am Ende ihrer Aussage auf die Frage, ob über Inhalt und Umfang dieses Nebenangebots gesprochen wurde, angab, „Es wurde bestimmt darüber gesprochen. Ich kann mich aber an die Einzelheiten nicht erinnern.“ (vgl. Sitzungsniederschrift vom 29.11.2013, Seite 17, Bl. 278 d.A.).
Die Zeugin … hat die Beweisbehauptung der Klägerin ebenfalls nicht bestätigt.
Nach ihren Angaben wurde über den Inhalt des Nebenangebots Nr. 3 nicht im Einzelnen gesprochen (vgl. Sitzungsniederschrift vom 29.11.2013, Seite 10 f., Bl. 271 f. d.A.). Sie hat mehrfach ausgeführt, dass das Nebenangebot Nr. 3 nicht im Detail erörtert wurde, insbesondere nach ihrer Erinnerung nicht darüber diskutiert wurde, ob das Nebenangebot Nr. 3 für bestimmte Fälle gilt oder nicht. Sie habe aus Sicht der Beklagten das Angebot als „nice to have“ eingestuft, also als eine Regelung, die für die Beklagte nur Vorteile bringe. Sie ging ferner aufgrund der üblichen Abläufe davon aus, dass sie die hier im Streit stehenden Einschränkungen des vereinbarten Verzichts im Nebenangebot Nr. 3 jedenfalls protokolliert hätte, wenn dies im Gespräch Gegenstand gewesen wäre, und hat unter Bezugnahme auf ihre handschriftlichen Unterlagen (Bl. 280 ff. d.A.) ausgesagt, dass sie zum Nebenangebot Nr. 3 gerade keine Aufzeichnungen vornahm (vgl. Sitzungsniederschrift vom 29.11.2013, Seite 10 f., Bl. 271 f. d.A.).
Schließlich beweisen die Äußerungen der Zeugin …, man habe nicht mit Behinderungen rechnen müssen, weil die Koordination der beiden Maßnahmen möglich war (vgl. Sitzungsniederschrift vom 29.11.2013, Seite 10, Bl. 271 d.A.), sowie dass es um „die Koordination von zwei Bauvorhaben“ ging und „dass es keine Behinderung gibt für die eine oder andere Maßnahme, weil alles in einer Hand ist“ (vgl. Sitzungsniederschrift vom 29.11.2013, Seite 12, Bl. 273 d.A.), nicht, dass der Verzicht nur Einflüsse abdecken sollte, die in die Verantwortlichkeit der Klägerin fallen bzw. bei ungestörter Vertragsabwicklung beider Vertragsverhältnisse aus einer klägerseits beeinflussbaren Bauentwicklung resultierten. Die Koordinationsverantwortung kann nämlich durchaus auch die Einflussnahme auf äußere Einflüsse bzw. deren Auffangen durch das eigene Agieren betreffen. In diesem Sinne hat die Klägerin nach der weiteren Bekundung der Zeugin … zum Ausdruck gebracht, „dass sie sich Mühe gibt, dass sie die andere Maßnahme so betreibt, dass unsere Maßnahme nicht die Leitragende ist, wenn etwas nicht läuft, dass unsere Maßnahme also koordiniert durchgezogen wird (vgl. Sitzungsniederschrift vom 29.11.2013, Seite 12, Bl. 273 d.A.). Mit diesem „sich Mühe geben“ hätte die Klägerin gerade nicht verdeutlicht, dass sie nur für von ihr tatsächlich beeinflussbarer Behinderungen einstehen will.
Auch die weiteren Umstände des Einzelfalls, insbesondere der Ablauf der Verhandlungen, die Interessenlage der Parteien und Charakter und Abwicklung des beauftragten Projekts erlauben keine nahe liegenden oder gar zwingenden Schlüsse hinsichtlich der Beweisbehauptung der Klägerin. Deutbar und deswegen unergiebig erscheint in diesem Zusammenhang zunächst der Umstand, dass im Text des Nebenangebots Nr. 3 die Angebotssumme offen gelassen, es mithin nicht gewertet wurde. Hieraus lässt sich nicht ableiten, dass der folgende Text nicht rechtsverbindlich sein sollte. Erkennbar handelte es sich nämlich um ein grundsätzlich von der Beklagtenseite gestelltes Formular, das bei Einreichung von Nebenangeboten zu nutzen war. Die Position „Angebotssumme“ war demnach jedenfalls eine Vorgabe, die nicht von der Klägerin stammte. Da für einen Verzicht aber nicht notwendig ein Entgelt zu vereinbaren ist, lassen sich aus dem Umstand, dass diese Vorgabe nicht ausgefüllt wurde, keine Schlüsse ziehen. Auch die Bekundungen der Zeugen zu diesem Punkt schwankten. Während der Zeuge … in dieser fehlenden „Bewertung“ des Projekts auch einen Ausdruck für eine Einschränkung des formulierten Verzichts oder gar für einen Nichtannahme dieses Nebenangebots (vgl. Sitzungsniederschrift vom 29.11.2013, Seite 8, Bl. 269. d.A.) sehen wollte, bekundeten die Zeuginnen …, hiermit sei nach ihrem Verständnis lediglich die Frage der monetären Bewertung aus Sicht der Klägerin gemeint gewesen. Unklar bleibt bei Zugrundelegung der bekundeten Sichtweise des Zeugen, warum ein Nebenangebot, das mangels Bewertung keine Bedeutung haben sollte, schriftlich fixiert wurde.
Die Situation bei der Abwicklung des Projekts und die Interessen der Parteien lassen gleichfalls keine eindeutigen Schlüsse zu. So ist es zwar nachvollziehbar, dass die Klägerin bei Übernahme beider Projekte hinsichtlich des fraglichen Bahnhofs nicht für Verzögerungen einstehen wollte, die nicht aus dem Verantwortungsbereich der Klägerin stammten. Die Klägerin wollte möglicherweise nicht schlechter stehen ais sie bei nur Durchführung nur eines Auftrags gestanden hätte und keine – schwer kalkulierbaren – Risiken übernehmen. Andererseits war es für die Beklagte vorteilhaft und entsprach ihrem Interesse, etwaige Risiken einer Verzögerung auf die Klägerin abzuwälzen. Im Hinblick auf diese Ausgangssituation ist es auch bei wirtschaftlicher Betrachtung nicht lebensfern, dass sich die Klägerin diesem Risiko ausgesetzt haben könnte. Die Klägerin war an der Erlangung eines Auftrags auch hinsichtlich des Bahnhofs wirtschaftlich interessiert. Es wäre also wirtschaftlich nicht vollständig unvernünftig, aus diesem im Bereich der Akquise liegenden Grund gewisse Zugeständnisse – sprich Anspruchsausschlüsse für Verzögerungsschäden – gegenüber der Beklagten zu machen, zumal es bei den vergangenen gemeinsam abgewickelten Projekten keine Probleme gegeben hatte. Dagegen, dass die vorgetragene Sichtweise der Klägerin für die Beklagte offen zutage trat, spricht auch, dass die Klägerseite nach dem Bietergespräch und der Unterzeichnung des Vertrags und seiner Anlagen die sprachliche Fassung des Nebenangebots Nr. 3 zunächst nicht beanstandete, insbesondere nicht darauf hinwies, diese sei falsch oder zumindest ungenau.
Die festgestellte Vereinbarung, die einen Ausschluss von Ersatzansprüchen wegen Verzögerungsschadens enthält, ist auch rechtlich zulässig. Die Ersatzansprüche gemäß § 642 BGB, § 2 Nr. 5 und 6 VOB/B können wirksam abbedungen werden. Die Vereinbarung umfasst ferner inhaltlich alle noch im Streit stehenden Ansprüche der Klägerin.
Schließlich sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Klägerin der Beklagten einen Verstoß gegen die Grundsätze von Treu und Glauben (§ 242 BGB) entgegen halten könnte, insbesondere hatte die Beklagte angesichts des Wortlauts der Vereinbarung keinen Anlass, die Klägerin über ihr Verständnis und die Folgen aufzuklären. Eine entsprechende Aufklärungspflicht ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass das Nebenangebot Nr. 3 nicht gewertet wurde. Soweit die Klägerin der Auffassung gewesen sein sollte, dass das Nebenangebot Nr. 3 wegen der fehlenden Bewertung rechtlich nicht verbindlich ist, bestehen schon keine Anhaltspunkte dafür, dass dies der Beklagtenseite bewusst war bzw. bewusst sein musste. Abgesehen davon sprechen sowohl die schriftliche Fixierung als auch der zumindest eingeschränkt eingeräumte Verzicht dafür, dass das Nebenangebot Nr. 3 gerade nicht unverbindlich sein sollte.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 2 Ziffer 1, 269 Abs. 3 Satz 2, 101 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 Satz 2 ZPO.