KG Berlin – Az.: 21 U 109/17 – Urteil vom 05.12.2017
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 17. Juli 2017 wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Dieses Urteil und das Urteil des Landgerichts sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Wesentlicher Inhalt der Gründe:
I.
Mit notariellem Vertrag vom 16. Dezember 2014 (Anlage AS 3) verpflichtete sich die Verfügungsbeklagte (im Folgenden: Beklagte) gegenüber den Verfügungsklägern (im Folgenden: Klägern), ihnen einen Miteigentumsanteil von 183,38/10.000 an dem näher bezeichneten Grundstück … … …, … Berlin, verbunden mit Sondereigentum an der Wohnung Nr. 43 des Aufteilungsplans (im Folgenden: Wohnung Nr. 43) zu verschaffen und die aus dem Aufteilungsplan ersichtlichen Gebäude, insbesondere die Wohnung Nr. 43 zu errichten (im Folgenden: Bauträgervertrag). Die Parteien vereinbarten einen Kaufpreis von 369.900,00 €, der nach § 3 Abs. 4 des Bauträgervertrages wie folgt fällig werden sollte:
83,2 % in mehreren einzelnen Raten gemäß dem Baufortschritt = Raten a) bis i),
2,8 % für die Fliesenarbeiten im Sanitärbereich = Rate j),
8,4 % nach Bezugsfertigkeit und Zug um Zug gegen Besitzübergabe = Rate k) bzw. Bezugsfertigkeitsrate,
2,1 % für die Fassadenarbeiten = Rate l),
3,5 % nach vollständiger Fertigstellung = Rate m) bzw. Fertigstellungsrate.
Nach § 5 Abs. 4 des Bauträgervertrages war die Wohnung spätestens bis zum 30. Juni 2016 bezugsfertig herzustellen, die “vollständige Fertigstellung” war bis zum 30. September 2016 geschuldet.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Vertrag (Anlage AS 3) verwiesen.
In der Folgezeit errichtete die Beklagte nach und nach die Gebäude, die Kläger zahlten die angeforderten Kaufpreisraten a) bis i). Allerdings stellte die Beklagte die Wohnung 43 nicht im Jahr 2016 fertig, sondern zeigte die Fertigstellung erst am 9. Mai 2017 an. Am 16. Mai besichtigten die Kläger und ein Vertreter der Beklagten gemeinsam die Wohnung, dabei erklärten die Kläger in einem schriftlichen Protokoll unter Vorbehalt einiger Mängel die Abnahme (Anlage AS 9). Nach dem Abnahmeprotokoll sollten diese Mängel bis zum 30. Mai bzw. 30. Juni 2017 beseitigt werden.
Mit Schreiben vom 24. Mai 2017 forderte die Beklagte von den Klägern die Zahlung des gesamten noch ausstehenden Kaufpreises von 369.900,- €, erhöht um rund 2.000,- € wegen diverser Sonderwünsche und abzüglich von 4.500,- € wegen des Verzugs und von weiteren 1.000,- € als Mängeleinbehalt. Anfang Juni 2017 führten die Prozessbevollmächtigten der Kläger mit dem Geschäftsführer der Beklagten ein Gespräch, in dem sie mit Bezug auf eine Entscheidung des Kammergerichts in einem Parallelverfahren vom 23. Mai 2017 die Übergabe der Wohnung an die Kläger Zug um Zug gegen Zahlung der Bezugsfertigkeitsrate forderten (vgl. AS 11). Die Beklagte war in einem nachfolgenden Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 16. Juni 2017 an die Prozessbevollmächtigten der Kläger zur Übergabe der Wohnung hingegen nur gegen Zahlung von 99,9 % des Kaufpreises bereit, also sämtlicher Raten einschließlich der Fertigstellungsrate abzüglich 0,1 %.
Darauf hin haben die Kläger mit Schriftsatz vom 22. Juni 2017 beim Landgericht Berlin beantragt, die Beklagte im Wege einer einstweiligen Verfügung zu verpflichten, ihnen Zug um Zug gegen Zahlung der Bezugsfertigkeitsrate k) von 31.071,60 € die Wohnung Nr. 43 zu übergeben. Mit Beschluss vom 27. Juni 2017 verpflichtete das Landgericht die Beklagte zur Übergabe Zug um Zug gegen Zahlung von Rate j) und Rate k) in Höhe von insgesamt 41.428,80 €.
Nachdem die einstweilige Verfügung der Beklagten zugestellt worden war, legten ihre Prozessbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 6. Juli 2017 Widerspruch dagegen ein und beantragten ihre Aufhebung. Dies begründeten sie damit, dass es sich bei der Verfügung um eine “rechtswidrige Leistungsverfügung” handele. Dieser Schriftsatz ging am 7. Juli 2017 bei Gericht ein und wurde den Prozessbevollmächtigten der Kläger von Anwalt zu Anwalt zugestellt.
Am 10. Juli 2017 übergab die Beklagte zur Abwendung einer Zwangsvollstreckung die Wohnung den Klägern.
Im Termin vor dem Landgericht am 17. Juli 2017 hat der Prozessbevollmächtigte der Beklagten erklärt, die Beklagte wolle die Wohnung nicht wieder zurückerhalten, sodass insoweit “Erfüllungswirkung eingetreten” sei (Terminsprotokoll vom 17. Juli 2017).
Die Kläger haben daraufhin den Rechtsstreit für erledigt erklärt. Die Beklagte hat sich dem nicht angeschlossen und die Zurückweisung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung beantragt.
Mit Urteil vom 17. Juli 2017 hat das Landgericht festgestellt, dass sich das einstweilige Verfügungsverfahren erledigt habe, da der Verfügungsantrag der Kläger ursprünglich zulässig und begründet gewesen sei.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Beklagte mit der Berufung. Nach ihrer Ansicht sei der ursprüngliche Leistungsantrag der Kläger unbegründet gewesen, da er auf den Erlass einer einstweiligen Verfügung abziele, die in unrechtmäßiger Weise die Hauptsache vorwegnimmt.
Die Beklagte beantragt, unter Abänderung des Urteils des Landgerichts vom 17. Juli 2017 den Antrag der Kläger auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.
Die Kläger beantragen, die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
II.
Die zulässige Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg.
1.
Das Landgericht hat zurecht festgestellt, dass sich das einstweilige Verfügungsverfahren erledigt hat. Denn der Antrag der Kläger auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist spätestens am 7. Juli 2017, also nach Eintritt seiner Rechtshängigkeit, zulässig und begründet gewesen und ist erst danach, nämlich am 17. Juli 2017, unbegründet geworden, indem der Beklagtenvertreter durch seine Erklärungen im Termin die Erfüllung des Verfügungsanspruchs herbeiführte. Diese nachträglich eingetretene Unbegründetheit führt zur Erledigung des Verfügungsantrags.
2.
Der ursprüngliche Verfügungsantrag war zulässig und begründet.
Nach der Rechtsprechung des Senats besteht ein Grund zum Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen einen Bauträger, die bezugsfertig hergestellte Wohneinheit dem Erwerber zu übergeben, wenn auch unter den eingeschränkten Erkenntnismöglichkeiten des einstweiligen Rechtsschutzes zuverlässig erkennbar ist, dass nach dem materiellen Recht ein dahingehender Anspruch des Erwerbers einredefrei besteht und der Bauträger die Erfüllung unberechtigt verweigert hat (Kammergericht, Urteil vom 4.Oktober 2017, 21 U 79/17).
Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.
a)
Die Kläger hatten einen Verfügungsanspruch gegen die Beklagte auf Übergabe der Wohnung aus § 7 Abs. 1 des Bauträgervertrages. Die Wohnung war seit Mai 2017 bezugsfertig, denn die Beklagte bot sie den Klägern zur Abnahme an und die Kläger erklärten am 16. Mai 2017 die Abnahme. Der Vorbehalt einzelner Mängel bei der Abnahme ändert an der Bezugsfertigkeit nichts, wenn diese Mängel beseitigt werden können, ohne dass der Bezug der Wohnung durch die Erwerber wesentlich erschwert wird. So verhält es sich hier. Auch die am Abnahmetermin noch fehlende Einpflege des Parketts hätte in der Zeit bis zum Einzug unschwer nachgeholt werden können.
b) aa)
Es bestand auch ein Grund, die Beklagte zur Übergabe der Wohnung durch einstweilige Verfügung zu verpflichten. Für den Erwerber einer Wohnung aufgrund eines Bauträgervertrages stellt es eine erhebliche Beeinträchtigung dar, wenn ihm die bezugsfertig hergestellte Wohnung nicht übergeben wird, denn seine Lebensplanung ist im Zweifel auf den Einzug zum vereinbarten Zeitpunkt ausgerichtet. Natürlich könnte er vorübergehend auch in eine andere Wohnung, eine Pension oder ein Hotel ziehen. Dadurch entstehen aber zusätzliche Kosten, die mit zunehmendem Zeitablauf beträchtlich werden können, die finanziert werden müssen und für die der Erwerber am Ende der Streitigkeit mit dem Bauträger je nach dessen finanzieller Leistungsfähigkeit möglicherweise keinen Ersatz erhält. Auch die bei unberechtigter Verweigerung des Bauträgers vielleicht bestehende Möglichkeit, den Vertrag mit ihm zu kündigen oder von ihm zurückzutreten, ist aufgrund der finanziellen Auswirkungen eines solchen Schritts und des Aufwands, der durch die Beschaffung einer anderen (Eigentums-)Wohnung verursacht wird, kein adäquater Ausgleich für den Erwerber (vgl. Kammergericht, Urteil vom 4. Oktober 2017, 21 U 79/17).
bb)
Aus dieser Rechtsprechung folgt entgegen der Ansicht des Beklagtenvertreters mitnichten, dass gegen jeden Erbringer einer vertraglichen Leistung, der sich in Verzug befindet, eine auf Leistung gerichtete einstweilige Verfügung erlassen werden könnte. Vielmehr kommt es entscheidend darauf an, um was für einen Vertrag es sich handelt. Wenn eine Leistung für die Lebensführung des Gläubigers keine große Bedeutung oder er sich unschwer und ohne großes finanzielles Risiko im Verzugsfall Ersatz verschaffen kann, kann ihm in der Tat zugemutet werden, seine Ansprüche gegen den Schuldner in einem Hauptsacheverfahren geltend zu machen.
Geht es aber um die verspätete Übergabe eines Wirtschaftsguts, das wie eine Wohnung von großer Bedeutung für die Lebensführung ist, verhält es sich anders. Zwar ist auch hier eine Ersatzbeschaffung in Form der Anmietung alternativen Wohnraums bis zum Abschluss eines Hauptsacheverfahrens möglich. Wegen der Dauer eines solchen Rechtsstreits selbst bei zügiger Verfahrensführung kann für den Erwerber auf diesem Weg aber leicht eine zusätzliche Belastung in fünfstelliger Höhe entstehen, die zusätzlich finanziert werden muss und deren Einbringlichkeit als Schadensersatz um so problematischer wird, je mehr Erwerber den Bauträger am Ende auf Zahlung in Anspruch nehmen. Dies zeigt, dass sich der Verfügungsgrund in der vorliegenden Fallkonstellation aus der besonderen finanziellen Belastung ergibt, die speziell ein Bauträgervertrag für den Erwerber bedeutet, und die nicht bei jeder beliebigen Verzugssituation besteht.
cc)
Auch das “Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache” stand dem Erlass der ursprünglich beantragten einstweiligen Verfügung nicht entgegen. Die vorrangige Aufgabe der Gerichte ist es nicht, Entscheidungen zurückzustellen, sondern genau umgekehrt, effektiven, also schnellen Rechtsschutz zu gewährleisten. Die einzige Rechtfertigung des Verbots der Vorwegnahme der Hauptsache liegt in der Verhinderung irreversibler Fakten durch die Vollziehung einer unrichtigen Eilentscheidung. Denn noch wichtiger als die Schnelligkeit einer gerichtlichen Entscheidung ist ihre Richtigkeit. Deshalb wird die Hauptsache aber dann nicht in unzulässiger Weise vorweggenommen, sobald auch unter den eingeschränkten Erkenntnismöglichkeiten des einstweiligen Rechtsschutzes zuverlässig feststellbar ist, dass nach dem materiellen Recht der geltend gemachte Anspruch einredefrei besteht und die Erfüllung unberechtigt verweigert wird (Kammergericht, Urteil vom 4.Oktober 2017, 21 U 79/17). Selbst wenn die Vollziehung der einstweiligen Verfügung “irreversible Fakten” schaffen sollte, entsprechen diese jedenfalls der Rechtslage. Folglich muss unter dieser Bedingung das verfassungsmäßige Gebot effektiven Rechtsschutzes den Vorrang gegenüber dem Interesse eines säumigen Schuldners haben, gerichtliche Prozesse zu entschleunigen, zumal dieses Interesse entgegen der Ansicht des Beklagtenvertreters keineswegs Verfassungsrang genießt.
dd)
Diese Voraussetzungen für einen Verfügungsgrund sind hier erfüllt. Insbesondere hat die Beklagte den Klägern die Übergabe der Wohnung unberechtigt verweigert. Dies ist der Fall, wenn der Bauträger zur Übergabe der Wohnung Zug um Zug gegen Zahlung des bei Bezugsfertigkeit geschuldeten Kaufpreisanteils abzüglich berechtigter Einbehalte nicht bereit war (Kammergericht, Urteil vom 4. Oktober 2017, 21 U 79/17).
Diese Situation bestand jedenfalls am 7. Juli 2017. Zuvor hatten die Kläger – zuletzt mit ihrem Antrag auf einstweilige Verfügung – der Beklagten Zug um Zug gegen Übergabe der Wohnung nur die Zahlung der Bezugsfertigkeitsrate k) in Höhe von 8,4 % = 31.071,60 €, nicht aber der bei Bezugsfertigkeit ebenfalls fälligen vorhergehenden Rate j) von 2, 8 % = 10.357,20 € angeboten.
Ob diese Minderung der Kaufpreiszahlung nur geringfügig gemäß § 320 Abs. 2 BGB ist, wobei zu beachten ist, dass den Klägern durch die Anmietung einer Ersatzwohnung ein Verzugsschaden entstanden ist, kann offenbleiben. Denn das Landgericht hat die Problematik zutreffend erkannt und hat die Beklagte zur Herausgabe nur Zug um Zug gegen Zahlung der Rate k) und der vorherigen Rate j) verpflichtet. Nach Erhalt dieses Beschluss hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 6. Juli 2017 so unmissverständlich wie rechtsirrig ihre Ansicht zum Ausdruck gebracht, auch gegen Zahlungen in dieser Höhe nicht zur Herausgabe verpflichtet zu sein, und hat die Herausgabe somit verweigert. Erst nachdem das Landgericht am 10. Juli 2017 die Zwangsvollstreckung nicht eingestellt hatte, kam es offenbar zum Gesinnungswandel bei der Beklagten und der Herausgabe der Wohnung.
Damit ist der Verfügungsantrag aber jedenfalls aufgrund der Verweigerung der Beklagten im Schriftsatz vom 6. Juli 2017 begründet gewesen, sodass er sich durch die Bewirkung der Erfüllung im Termin am 17. Juli 2017 erledigen konnte.
3.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.