LG Lübeck, Az.: 14 S 70/14, Urteil vom 10.11.2014
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 19.02.2014 verkündete Urteil des Amtsgerichts Lübeck – 31 C 1226/11 – abgeändert und die Beklagte verurteilt, die Urkunde Nummer 100/97/514469512/000044/S vom 2. August 2006 über eine von der R+V Allgemeine Versicherung AG zugunsten der Beklagten eingegangene Bürgschaftsverpflichtung in Höhe von 13.728,43 EUR zur Sicherung von Gewährleistungsansprüchen der Beklagten gegen die Klägerin an die Klägerin herauszugeben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz.
Dieses und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 17.000 EUR abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung hinsichtlich der Kosten Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages und hinsichtlich einer Vollstreckung in der Hauptsache Sicherheit in Höhe von 3.500 EUR leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
(abgekürzt gem. § 540 Abs. 1 S. 2 ZPO):
I.
Die Klägerin hat der Beklagten 2006 eine Gewährleistungsbürgschaft durch die R+V Allgemeine Versicherung AG nach § 17 VOB/B zur Absicherung von Gewährleistungsansprüchen der Beklagten gegen die Klägerin im Rahmen eines VOB/B-Werkvertrags vom 15.09.2004 gestellt. Die Abnahme des Werkes erfolgte am 30.11.2005. Mängel wurden am 30.11.2005 und mit Schreiben vom 26.06.2006, 20.02.2009, 24.03.2009 und 17.11.2009 von der Beklagten gegenüber der Klägerin gerügt. Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin Herausgabe der Bürgschaftsurkunde unter Berufung auf mittlerweile eingetretene Verjährung etwaiger Mängelgewährleistungsansprüche. Das Amtsgericht hat die Klage mit Urteil vom 19.02.2014 abgewiesen, da der Beklagten ein Zurückbehaltungsrecht an der Bürgschaftsurkunde in Folge der Mängelrüge in unverjährter Zeit zustehe. Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihr Herausgabeverlangen unter Berufung auf eine Unwirksamkeit des § 17 Abs. 8 Nr. 2 S. 2 VOB/B weiter. Wegen des zugrundeliegenden Sachverhalts wird im Übrigen auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen. Das Vorbringen der Klägerin in der Berufungsinstanz ergibt sich aus deren Berufungsbegründung vom 20.05.2014. Das Vorbringen der Beklagten im Berufungsrechtszug ergibt sich aus deren Berufungserwiderung vom 03.06.2014.
Die Klägerin beantragt im Berufungsrechtszug, unter Abänderung des am 19.02.2014 verkündeten Urteils des Amtsgericht Lübeck – 31 C 1226/11 – die Beklagte zu verurteilen, die Urkunde Nummer 100/97/5144 69512/000044/S vom 2. August 2006 über eine von der R+V Allgemeine Versicherung AG zugunsten der Beklagten eingegangene Bürgschaftsverpflichtung in Höhe von 13.728,43 EUR zur Sicherung von Gewährleistungsansprüchen der Beklagten gegen die Klägerin an die Klägerin herauszugeben, hilfsweise, unter Abänderung des am 19.02.2014 verkündeten Urteils des Amtsgericht Lübeck – 31 C 1226/11 – die Beklagte zu verurteilen, die Urkunde Nummer 100/97/514469512/000044/S vom 2. August 2006 über eine von der R+V Allgemeine Versicherung AG zugunsten der Beklagten eingegangene Bürgschaftsverpflichtung in Höhe von 13.728,43 EUR zur Sicherung von Gewährleistungsansprüchen der Beklagten gegen die Klägerin an die R+V Allgemeine Versicherung AG, Taunusstraße 1, 65193 Wiesbaden herauszugeben, äußerst hilfsweise, unter Abänderung des am 19.02.2014 verkündeten Urteils des Amtsgericht Lübeck – 31 C 1226/11 – die Beklagte zu verurteilen, die Urkunde Nummer 100/97/514469512/000044/S vom 2. August 2006 über eine von der R+V Allgemeine Versicherung AG zugunsten der Beklagten eingegangene Bürgschaftsverpflichtung in Höhe von 13.728,43 EUR zur Sicherung von Gewährleistungsansprüchen der Beklagten gegen die Klägerin Zug-um-Zug gegen Beseitigung der von der Beklagten im Abnahmeprotokoll vom 30. November 2005 sowie mit Schreiben vom 20. Februar 2009 gegenüber der Klägerin geltend gemachten Mängel an die Klägerin herauszugeben.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
II.
Die zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg.
Der Klägerin steht ein Anspruch auf Herausgabe der Bürgschaftsurkunde aus § 17 Abs. 8 Nr. 2 S. 1 VOB/B zu. Nach dieser Vorschrift hat der Auftraggeber eine nicht verwertete Sicherheit für Mängelansprüche nach Ablauf von 2 Jahren zurückzugeben, sofern kein anderer Rückgabezeitpunkt vereinbart worden ist. Die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses der Parteien geltende Version der VOB/B von 2002 ist hinsichtlich des hier einschlägigen § 17 Abs. 8 Nr. 2 VOB/B wortgleich mit der aktuellen Fassung der VOB/B von 2012.
Der Ablauf der Zweijahresfrist als einziger anspruchsbegründenden Voraussetzungen des § 17 Abs. 8 Nr. 2 S. 1 VOB/B ist nach den Feststellungen des Amtsgerichts gegeben. Eine Vereinbarung über den Rückgabezeitpunkt haben die Parteien nicht getroffen, so dass die Bürgschaft nach Ablauf von 2 Jahren zurückzugeben war. Der Beginn der Zweijahresfrist ist im Gesetz nicht ausdrücklich geregelt. Aus der Gegenüberstellung der seit 2003 geltenden derzeitigen Regelung mit der bis 2003 geltenden Vorgängerregelung der VOB/B 2000 ergibt sich, dass Fristbeginn der Verjährungsbeginn der Mängelansprüche ist, regelmäßig mithin der Zeitpunkt der Abnahme (BeckOK/Rudolph/Koos, VOB-Kommentar 3. Aufl., § 17 Abs. 8 VOB/B Rn. 40; Ingenstau/Korbion/Joussen, VOB 18. Aufl., § 17 Abs. 8 VOB/B Rn. 12; Messerschmidt/Voit, Privates Baurecht, § 17 VOB/B Rn. 22). Mit der Neuregelung durch die VOB/B 2002 sollte in Abweichung von der Vorgängerregelung die Sicherungszeit von der Gewährleistungszeit entkoppelt werden, um den Auftragnehmer durch diese eigenständige Frist vor einer stärkeren Belastung aufgrund der verlängerten Gewährleistungszeit zu bewahren (BeckOK/Rudolph/Koos, VOB-Kommentar 3. Aufl., § 17 Abs. 8 VOB/B Rn. 40). Die Abnahme erfolgte am 30.11.2005. Die Zweijahresfrist des § 17 Abs. 8 Nr. 2 S. 1 VOB/B endete damit mit Ablauf des 30.11.2007. Die Feststellungen des Amtsgerichts lassen insoweit keine Rechtsfehler erkennen und werden weder von der Berufung noch von der Berufungserwiderung angegriffen.
§ 17 Abs. 8 Nr. 2 S. 1 VOB/B gibt auch dem Auftragnehmer ein eigenes Forderungsrecht auf Herausgabe der Bürgschaftsurkunde an ihn selbst (BGH, NJW 2009, 218). Damit kann die Klägerin grundsätzlich Herausgabe an sich selbst verlangen. Auch insoweit begegnet das amtsgerichtliche Urteil keinen Bedenken.
Zu Unrecht hat das Amtsgericht hingegen angenommen, der Beklagten stehe ein Zurückbehaltungsrecht aus § 17 Abs. 8 Nr. 2 S. 2 VOB/B zu. Danach darf der Auftraggeber einen entsprechenden Teil der Sicherheit zurückhalten, soweit zu dem in Satz 1 bestimmten Zeitpunkt seine geltend gemachten Ansprüche noch nicht erfüllt sind. Zur Überzeugung der Kammer setzt das Zurückbehaltungsrecht nach § 17 Abs. 8 Nr. 2 S. 2 VOB/B voraus, dass ein Gewährleistungsanspruch des Auftraggebers in der Sicherungszeit des Satzes 1 geltend gemacht wurde und zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt, also grundsätzlich dem Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung, noch unverjährt besteht. Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben. Soweit in der rechtswissenschaftlichen Literatur zum Teil abweichende Voraussetzungen aufgestellt werden, beruht dies auf einer fehlerhaften Übertragung der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 21.01.1993 (VII ZR 127/91) auf die aktuelle Rechtslage, ohne die zwischenzeitlichen Rechtsänderungen hinreichend zu berücksichtigen. Rechtsprechung zur aktuellen Fassung des § 17 Abs. 8 Nr. 2 S. 2 VOB/B besteht soweit ersichtlich bisher nicht.
Zunächst bedarf es einer Geltendmachung der Ansprüche binnen der in § 17 Abs. 8 Nr. 2 S. 1 VOB/B bestimmten Sicherungszeit (Ingenstau/Korbion/Joussen, VOB 18. Aufl., § 17 Abs. 8 VOB/B Rn. 17; Messerschmidt/Voit, Privates Baurecht, § 17 VOB/B Rn. 22), nicht hinreichend ist die Geltendmachung in unverjährter Zeit. Dies folgt zur Überzeugung der Kammer bereits aus dem ausdrücklichen Wortlaut des § 17 Abs. 8 Nr. 2 S. 2 VOB/B, der mit der Formulierung „zu diesem Zeitpunkt“ auf die Sicherungszeit des Satzes 1 Bezug nimmt. Eine Bezugnahme auf die Gewährleistungszeit des § 13 VOB/B ist mit Wortlaut und Systematik der Vorschrift nicht zu vereinbaren. Dieser Auslegung steht die vorgenannte Entscheidung des Bundesgerichtshofs (21.01.1993, VII ZR 127/91) nicht entgegen. Denn die dieser Entscheidung zugrundeliegende Fassung der VOB/B sah in dem damaligen § 17 Abs. 8 S. 1 VOB/B aF einen Gleichlauf von Sicherungszeit und Gewährleistungszeit unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Gewährleistungszeit vor. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs stützt damit vielmehr die Auslegung der Kammer, dass in § 17 Abs. 8 Nr. 2 S. 2 VOB/B Bezug genommen wird auf die Frist des Satzes 1. In der hier maßgeblichen Fassung der VOB/B ist dies indes die Sicherungszeit; in der Fassung, die der Entscheidung des Bundesgerichtshofs zugrunde lag, war dies die Gewährleistungsfrist.
Danach kann die Beklagte die Bürgschaftsurkunde nur unter Berufung auf Gewährleistungsansprüche, die sie binnen der Sicherungszeit, also bis zum Ablauf des 30.11.2007, geltend gemacht hat, zurückhalten. In dieser Zeit hat die Beklagte Mängelrügen in dem Abnahmeprotokoll vom 30.11.2005 (Anlage K 6, Bl. 103 d.A.) und dem Schreiben vom 26.06.2006 (Anlage B 9, Bl. 381 d.A.) geltend gemacht. Darin rügt sie indes einen fehlerhaften Schallschutz, den Mangel, auf den sie nun die Zurückbehaltung stützt, nicht. Im Abnahmeprotokoll werden lediglich diverse Mängel an Fenstern und Türen gerügt, ohne dass auf einen Schallschutz abgestellt würde. In dem Schreiben vom 26.06.2006 wird die Mechanik eines Obertürschließers, eine Durchfeuchtung und die fehlende Feuerfestigkeit eines feststehenden verglasten Elements gerügt. Dass die damals gerügten Mängel nicht identisch mit dem nunmehr gerügten Schallschutz sind, hat die Beklagte in ihrem Schreiben vom 24.03.2009 (Anlage B 4, Bl. 24 d.A. = Anlage B 11, Bl. 384 d.A.) selbst vorgebracht. Die Rüge eines fehlerhaften Schallschutzes wurde mit Schreiben vom 20.02.2009 (Anlage B 2, Bl. 21 d.A.), 24.03.2009 (Anlage B 4, Bl. 24 d.A. = Anlage B 11, Bl. 384 d.A.) und 17.11.2009 (Anlage B 10, Bl. 383 d.A.) vorgebracht und damit nach Ablauf der maßgeblichen Sicherungszeit.
Die unter Zeugenbeweis gestellte Behauptung, fehlerhafter Schallschutz sei bereits anlässlich einer Begehung im Juni 2006 mündlich gerügt worden, wird erstmals in der Berufungserwiderung erhoben. Es handelt sich damit um ein neues Verteidigungsmittel, dass gemäß § 531 Abs. 2 ZPO nicht zuzulassen ist.
Entgegen der Einwendung der Beklagten ist im erstinstanzlichen Urteil auch nicht mit Tatbestandswirkung festgestellt, dass ein fehlerhafter Schallschutz bereits 2005 gerügt wurde. Es findet sich im erstinstanzlichen Urteil auf S. 6 lediglich die Feststellung, dass „von der Beklagten im Jahr 2005 sowie im Jahr 2009 unstreitig in unverjährter Zeit Ansprüche geltend gemacht worden [sind], die bis zum jetzigen Zeitpunkt nicht erfüllt worden sind“. Dieser Feststellung lässt sich nicht mit hinreichender Sicherheit die Feststellung entnehmen, dass Schallschutzmängel im Jahr 2005 (und nicht etwa nur im Jahr 2009) geltend gemacht wurden. Zudem ist nicht mit hinreichender Sicherheit feststellbar, auf welche Mängel die vorliegende Feststellung sich bezieht, da diese nur durch die Bezeichnung, dass sie bis zum jetzigen Zeitpunkt nicht erfüllt worden sind, konkretisiert werden. Des Weiteren wurde in der mündlichen Verhandlung im Berufungsrechtszug am 06.11.2014 unstreitig gestellt, dass 2005 ein fehlerhafter Schallschutz nicht gerügt wurde. Damit bestehen konkrete Anhaltspunkte, die im Sinne des § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Zweifel an der Richtigkeit einer abweichenden Tatsachenfeststellung des Amtsgerichts begründen würden. Eine Bindung des Berufungsgerichts an eine solche Tatsachenfeststellung würde demnach nicht bestehen. Ohnehin wäre dieser Anspruch zwischenzeitlich verjährt.
Die Gewährleistungsanspruche müssen nämlich zudem unverjährt bestehen (Ingenstau/Korbion/Joussen, VOB 18. Aufl., § 17 Abs. 8 VOB/B Rn. 17). Soweit es auch in neuerer rechtswissenschaftlichen Literatur als hinreichend angesehen wird, dass die Gewährleistungsansprüche in unverjährter Zeit geltend gemacht wurden (BeckOK/Rudolph/Koos, VOB-Kommentar 3. Aufl., § 17 Abs. 8 VOB/B Rn. 52; Leinemann/Brauns, VOB/B, 3. Auflage 2008, § 17 Rn. 156), beruht diese Einschätzung auf einer fehlerhaften Übertragung der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 21.01.1993 (VII ZR 127/91) auf die derzeitige Rechtslage. Denn die Auslegung des Bundesgerichtshofs (a.a.O) beruht auf dem damals in § 17 Abs. 8 S. 1 VOB/B aF geregelten Gleichlauf der Sicherungszeit mit der Gewährleistungszeit. Der Bundesgerichtshof führte aus: „Ist die unter Berücksichtigung etwaiger Unterbrechungen und Hemmungen (…) zu berechnende Gewährleistungsfrist abgelaufen, kann die Sicherheit gem. § 17 Nr. 8 S. 2 VOB/B zurückgehalten werden, soweit zu diesem Zeitpunkt Ansprüche noch nicht erfüllt sind. Der Zurückhaltung steht danach nicht entgegen, dass zu dem Zeitpunkt, zu dem die Sicherheit nach § 17 Nr. 8 S. 1 VOB/B herauszugeben ist, die Gewährleistungsansprüche verjährt und damit nicht mehr durchsetzbar sind. Das ist vielmehr Voraussetzung für die Anwendung des § 17 Nr. 8 S. 2 VOB/B.“ Diese Begründung trägt für die heute geltende Fassung der VOB/B nicht mehr. Da heute die Sicherungszeit von der Gewährleistungszeit entkoppelt ist, hat § 17 Abs. 8 Nr. 2 S. 2 VOB/B einen eigenständigen Regelungsbereich, auch wenn man ihn nicht auf verjährte, aber in unverjährter Zeit geltend gemachte Ansprüche anwendet. Denn nach der Entkoppelung der Sicherungszeit von der Gewährleistungszeit durch die VOB/B 2002 kann ein Herausgabeanspruch nach § 17 Abs. 8 Nr. 2 S. 1 VOB/B bereits vor Ablauf der Gewährleistungszeit entstehen, nämlich immer dann, wenn die dort bestimmte Sicherungszeit von 2 Jahren kürzer ist als die einschlägige Gewährleistungszeit. Dies ist insbesondere bei Bauwerken der Fall, da für diese die Gewährleistungszeit von der VOB/B auf 4 Jahre (§ 13 Abs. 4 Nr. 1 S. 1 VOB/B) bestimmt ist. Berücksichtigt man zudem die Möglichkeit der Verjährungshemmung und der „Quasi-Verlängerung“ der Verjährung gemäß § 13 Abs. 5 Nr. 1 S. 2 VOB/B verbleibt für § 17 Abs. 8 Nr. 2 S. 2 VOB/B ein weiter und bedeutender Anwendungsbereich abseits der verjährten Ansprüche, namentlich für nicht verjährte Mängelgewährleistungsansprüche, die innerhalb der Sicherungszeit des § 17 Abs. 8 Nr. 2 S. 1 VOB/B geltend gemacht wurden.
Eine Beschränkung des Zurückbehaltungsrechts gemäß § 17 Abs. 8 Nr. 2 S. 2 VOB/B auf nicht verjährte Mängelgewährleistungsansprüche, die innerhalb der Sicherungszeit des § 17 Abs. 8 Nr. 2 S. 1 VOB/B geltend gemacht wurden, ist zur Überzeugung der Kammer auch angemessen und interessengerecht. Diese Auslegung entspricht zunächst dem Wortlaut des § 17 Abs. 8 Nr. 2 S. 2 VOB/B. Dieser nimmt durch die Formulierung „zu diesem Zeitpunkt“ Bezug auf den nach § 17 Abs. 8 Nr. 2 S. 1 VOB/B maßgeblichen Zeitpunkt, also auf den Ablauf der zweijährigen Sicherungszeit bzw. die abweichende Parteivereinbarung. Eine Bezugnahme auf die Gewährleistungsfrist ist ihm nicht zu entnehmen.
Die Beschränkung des § 17 Abs. 8 Nr. 2 S. 2 VOB/B auf nicht verjährte Ansprüche, die in der Sicherungszeit geltend gemacht wurden, ist auch interessengerecht. Unter der Annahme, dass auch verjährte Ansprüche zur Zurückhaltung der Bürgschaftsurkunde berechtigen, belastet nämlich das Zurückbehalten der Bürgschaftsurkunde den Auftragnehmer erheblich, ohne dass dem berechtigte Interessen des Auftraggebers gegenüberstehen würden. Der Auftragnehmer ist, solange die Bürgschaft besteht, gegenüber dem Bürgen verpflichtet, die Avalzinsen zu tragen. Regelmäßig wird durch die Inanspruchnahme der Bürgschaft seine Kreditlinie bei dem Bürgen beansprucht sein und schließlich muss er einen Rückgriff im Falle der Bedienung der Bürgschaft fürchten. Diese Nachteile kann er nur abwenden, indem er unter Aufgabe der begründeten Verjährungseinrede die geltend gemachten Ansprüche des Auftraggebers erfüllt. Diese Drucksituation für den Auftragnehmer aufrecht zu erhalten, wird regelmäßig das einzige Interesse des Auftraggebers an der Zurückbehaltung der Bürgschaftsurkunde sein. Denn eine Befriedigung durch den Bürgen wird der Auftraggeber wegen einer Verjährung der Bürgschaftsschuld regelmäßig nicht mehr erreichen können. Die Verpflichtung des Bürgen unterliegt nämlich einer eigenen regelmäßigen Verjährungsfrist. Mit der Schuldrechtsmodernisierung im Jahr 2002 wurde diese von 30 auf 3 Jahre verkürzt. Die Verjährung beginnt zum Ende des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen hatte, § 199 Abs. 1 BGB. Die Bürgschaftsverpflichtung entsteht dabei gleichzeitig mit der auf Geld gerichteten gesicherten Forderung. In den Fällen der Gewährleistungsbürgschaft also grundsätzlich mit dem fruchtlosen Ablauf einer Nachfrist zur Mängelbeseitigung (BGH, NJW 2013, 1228). Sie verjährt mithin nach Ablauf von drei Jahren ab dem Ende des Jahres, in dem die Nachfrist ablief. Angesichts der Kürze dieser Frist wird regelmäßig die Bürgschaftsschuld bereits verjährt sein, wenn der Auftraggeber die Bürgschaftsurkunde trotz Verjährung der Gewährleistungsansprüche gegenüber dem Auftragnehmer zurückhält. Den Auftragnehmer durch die Belastung mit Avalzinsen oder über den Bürgschaftsrückgriff, nachdem der Bürge – auf welche Art auch immer – zum Verzicht auf die Verjährungseinrede veranlasst wurde, zur Erfüllung einredebehafteter Ansprüche zu drängen, ist weder Zweck des § 17 Abs. 8 Nr. 2 S. 2 VOB/B noch ein schutzwürdiges Gläubigerinteresse.
So ist auch im vorliegenden Fall die Bürgschaftsschuld der R+V Allgemeine Versicherung AG bereits verjährt, so dass die Beklagte nicht mehr aus der Bürgschaft gegen die R+V Allgemeine Versicherung AG vorgehen kann. Eine Frist zur Beseitigung der Schallschutzmängel wurde der Klägerin mit Schreiben vom 20.02.2009 (Anlage B 2, Bl. 21 d.A.) bis zum 06.03.2009 gesetzt. Damit entstand, die Begründetheit des Gewährleistungsanspruchs vorausgesetzt, am 07.03.2009 der auf Geld gerichtete Anspruch auf Vorschuss gemäß § 637 Abs. 3 BGB und gleichzeitig der Bürgschaftsanspruch gegen die R+V Allgemeine Versicherung AG. Dieser Bürgschaftsanspruch verjährte damit mit Ablauf des 31.12.2012. Das Vorliegen verjährungshemmender Maßnahmen gegenüber der Bürgin hat die Beklagte trotz der dementsprechenden Rüge der Klägerin im Schriftsatz vom 28.01.2014 (Bl. 366 d.A.) nicht vorgetragen. Solche sind auch nicht ersichtlich.
Das Gläubigerinteresse wird durch diese enge Auslegung des Zurückbehaltungsrechts nach § 17 Abs. 8 Nr. 2 S. 2 VOB/B nicht unangemessen beeinträchtigt. Denn angesichts der Länge der Verjährungsfristen der VOB/B und der Möglichkeit durch eine einfache Mängelrüge nach § 13 Abs. 5 Nr. 1 S. 2 VOB/B oder durch verjährungshemmenden Maßnahmen nach §§ 203ff. BGB eine Verlängerung der Verjährungsfrist herbeizuführen, hat er hinreichend Gelegenheit seine Interessen durch ein rechtzeitiges Tätigwerden zu wahren.
Danach besteht kein Zurückbehaltungsrecht der Beklagten, da die geltend gemachten Gewährleistungsansprüche jedenfalls verjährt sind. Rechtsfehlerfrei hat das Amtsgericht festgestellt, dass die Parteien in Abweichung von der VOB/B und der gesetzlichen Regelung eine Verjährungsfrist von 5 Jahren und 2 Wochen vereinbart haben. Nach § 13 Abs. 4 Nr. 3 VOB/B beginnt die Verjährung mit der Abnahme, vorliegend also am 30.11.2005. Die Frist von 5 Jahren und 2 Wochen endete damit am 14.12.2010. Die Mängelrügen vom 30.11.2005 (Anlage K 6, Bl. 103 d.A.) und vom 26.06.2006 (Anlage B 9, Bl. 381 d.A.) haben keine Verlängerung der Verjährungsfrist zur Folge. Denn nach der „Quasi-Verlängerung“ der Verjährungsfrist aus § 15 Abs. 5 Nr. 1 S. 2 VOB/B verjährt der Anspruch auf Beseitigung der gerügten Mängel in 2 Jahren, gerechnet vom Zugang des schriftlichen Verlangens an, jedoch nicht vor Ablauf der Regelfristen nach § 15 Abs. 4 VOB/B oder der an ihrer Stelle vereinbarten Frist. Die „Quasi-Verlängerung“ führt also in Bezug auf die Rüge vom 30.11.2005 zu einer Verjährung mit Ablauf des 30.11.2007 und in Bezug auf die Rüge vom 26.06.2006 zu einer Verjährung mit Ablauf des 26.06.2008. Da beide Zeitpunkte, auch bei Berücksichtigung einer üblichen Postlaufzeit von einigen Tagen, deutlich vor dem Ende der Regelfrist, die nach der vereinbarten Frist von 5 Jahren und 2 Wochen am 14.12.2010 endete, liegen, sind sie für das Ende der Verjährungsfrist nicht maßgeblich.
Auch der Gewährleistungsanspruch wegen mangelhaften Schallschutzes, der indes nach oben Gesagtem ohnehin nicht binnen der Sicherungszeit geltend gemacht wurde, ist unter Zugrundelegung einer dreitägigen Postlaufzeit mit Ablauf des 23.02.2011 verjährt. Denn die Rüge in unverjährter Zeit vom 20.02.2009 (Anlage B 2, Bl. 21 d.A.) verlängerte die Verjährungsfrist gemäß § 15 Abs. 5 Nr. 1 S. 2 VOB/B um zwei Jahre. Damit endete die verlängerte Verjährungsfrist, wenn man von einem Postlauf von drei Tagen ausgeht, am 23.02.2011.
Dass sie verjährungshemmende Maßnahmen ergriffen hätte, hat die Beklagte nicht behauptet. Das Fehlen solcher hat die Klägerin auch mit Schriftsatz vom 22.06.2011 (Bl. 38 d.A.), 28.01.2014 (Bl. 364 d.A.) und der Berufungsbegründung vom 20.05.2014 (Bl. 434 d.A.) behauptet, so dass die Beklagte hinreichend Gelegenheit hatte zu einer eventuellen Verjährungshemmung vorzutragen. Die genannten einseitigen Mängelrügen der Beklagten führen nach §§ 203ff. BGB nicht zu einer Verjährungshemmung und nach der VOB/B lediglich zu einer „Quasi-Verlängerung“ von zwei Jahren, die, wie bereits dargelegt, indes auch bereits abgelaufen ist. Das Vorliegen von Verhandlungen oder anderen verjährungshemmenden Maßnahmen hat die Beklagte trotz hinreichender Gelegenheit nicht vorgetragen.
Auf die Frage, ob § 17 Abs. 8 Nr. 2 S. 2 VOB/B einer isolierten Inhaltskontrolle standhält (für Unwirksamkeit: OLG Dresden, 13.12.2007, 12 U 1498/07; Kleine-Möller, NZBau 2002, 585; May, BauR 2007, 187; Ripke, IBR 2005, 1323; ähnlich unter Heranziehung des Verbots rechtsmissbräuchlichen Verhaltens: LG Halle, 08.07.2005, 1 S 68/05; für Wirksamkeit hingegen: LG Berlin, 22.04.2009, 23 O 412/07 (aber einschränkende Auslegung); Ingenstau/Korbion/Joussen, VOB 18. Aufl., § 17 Abs. 8 VOB/B Rn. 17), kam es demnach nicht an, da die Voraussetzungen des Zurückbehaltungsrechts gemäß § 17 Abs. 8 Nr. 2 S. 2 VOB/B vorliegend nicht gegeben sind.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708Nr. 10, 711 ZPO. Die Revision zum Bundesgerichtshof war gemäß § 543 Abs. 2 ZPO zuzulassen, da die Rechtssache wegen der weitgehenden Verwendung der VOB/B grundsätzliche Bedeutung hat. Da die Geltung der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 21.01.1993 (VII ZR 127/91) für die aktuelle Fassung der VOB/B in Literatur und Rechtsprechung ungeklärt ist, erfordert auch die Fortbildung des Rechts und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.