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Bauvertrag – Aushändigung Vertragserfüllungsbürgschaft

OLG Koblenz – Az.: 5 U 363/16 – Urteil vom 20.07.2016

Auf die Berufung wird das Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Mainz vom 25. Februar 2016 abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Der Beklagte wird verurteilt, die Bürgschaftsurkunde Nr. 410BGI1400507 vom 2. Juli 2014 zu Gunsten der …[A]GmbH & Co. KG (aus dem Bauvorhaben …[B], Vertrag-Nr.: ER-MM-570-MRAB-28 vom 8. Mai 2014) über einen Betrag von 585.200,00 € an die Bürgin …[C] Bank AG, aus der Masse herauszugeben.

Es wird festgestellt, dass der Klägerin im Insolvenzverfahren über das Vermögen der …[A]GmbH & Co. KG (AG Stendal, HRA 4832) Avalzinsen für die Bürgschaft Nr. 410BGI1400507 der …[C] Bank AG vom 2. Juli 2014 in Höhe von 2% p.a. aus einem Betrag von 585.200,00 € vom 26. Juli 2014 bis 10. März 2016 zustehen.

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin aus der Masse Avalzinsen für die Bürgschaft Nr. 410BGI1400507 der …[C] Bank AG vom 2. Juli 2014 in Höhe von 2% p.a. aus einem Betrag von 585.200,00 € seit dem 4. Mai 2016 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Widerklage wird abgewiesen.

Die weitergehende Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen die Klägerin zu 10% und der Beklagte zu 90%. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung abwenden durch Leistung einer Sicherheit in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages, soweit nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet. Der Beklagte kann die Vollstreckung abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 230.000 €, soweit nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

I.

Die Klägerin begehrt Herausgabe einer Sicherungsbürgschaft nach § 648a BGB, verfolgt Ansprüche auf Ersatz von Avalzinsen und erhebt Ansprüche wegen der Mehrkosten für eine Auftragsneuvergabe nach außerordentlicher Kündigung. Der Beklagte verfolgt widerklagend einen Anspruch auf Kündigungsvergütung nach § 649 BGB.

Mit Bauvertrag vom 17. April 2014 beauftragte die Klägerin die …[A]GmbH & Co. KG (nachfolgend: Insolvenzschuldnerin) mit der Erbringung von Bauleistungen für ein Wärmedämmverbundsystem unter Vereinbarung einer Vergütung in Höhe von 532.000,00 € netto (Anlage K1; Bl. 14 ff. GA). Ziff 8.1 des Bauvertrags sah die Überlassung einer Vertragserfüllungsbürgschaft in Höhe von 10% der Nettoauftragssumme innerhalb von zehn Arbeitstagen nach Auftragserteilung vor und eröffnete der Klägerin als Auftraggeberin im Falle der Nichtvorlage trotz Setzung einer Nachfrist mit Kündigungsandrohung die Kündigung des Vertrages mit den Rechtsfolgen des § 8 Abs. 3 VOB/B.

Mit Schreiben vom 12. Juni 2014 (Anlage K2; Bl. 32 GA), 23. Juni 2014 (Anlage K3; Bl. 34 GA) und 30. Juni 2014 (Anlage K4; Bl. 37 GA) forderte die Klägerin die Insolvenzschuldnerin zur Stellung der Vertragserfüllungsbürgschaft auf. Im Schreiben vom 30. Juni 2014 setzte sie eine Nachfrist zum 11. Juli 2014 und drohte die Kündigung des Vertrages an.

Parallel hierzu forderte die Insolvenzschuldnerin mit Schreiben vom 30. Juni 2014 (Anlage K5; Bl. 39 GA) die Klägerin zur Vorlage einer Bürgschaft nach § 648a BGB in Höhe von 585.200,00 € auf. Mit Schreiben vom 3. Juli 2014 (Anlage K6; Bl. 40 f. GA) legte die Klägerin eine entsprechende Zahlungsbürgschaft der …[C] Bank AG vor. Die Avalprovision beträgt 2% p.a.

Nach erfolglosem Ablauf der Frist zur Vorlage der Vertragserfüllungsbürgschaft durch die Insolvenzschuldnerin kündigte die Klägerin den Bauvertrag mit Schreiben vom 14. Juli 2014 (Anlage K7; Bl. 43 GA). Die Insolvenzschuldnerin erteilte unmittelbar ihre Schlussrechnung vom 14. Juli 2014 (Anlage K8; Bl. 44 ff. GA).

Mit Schreiben vom 16. Juli 2014 forderte die Klägerin die Insolvenzschuldnerin auf, die überlassene Bürgschaft nach § 648a BGB zurückzugeben. Die gesetzte Frist zum 25. Juli 2014 verstrich fruchtlos.

Am 4. August 2014 beauftragte die Klägerin die …[D] GmbH mit der Ausführung der bei der Insolvenzschuldnerin in Auftrag gegebenen Leistungen. Diese rechnete ihre Tätigkeit zu einem Pauschalpreis von 555.000,00 € netto ab.

Die Klägerin hat zur Begründung ihres erstinstanzlichen, noch gegen die Insolvenzschuldnerin gerichteten Begehrens auf Herausgabe der Bürgschaft nach § 648a BGB, der Erstattung von Avalzinsen in Höhe von 2% p.a. seit 26. Juli 2014 und Ersatz kündigungsbedingter Mehrkosten von 23.000,00 € vorgetragen, sie habe den Bauvertrag wirksam aus wichtigem Grund gekündigt. Die Regelung im Bauvertrag, nach der bei Nichtvorlage einer Vertragserfüllungsbürgschaft unter den näher ausgeführten Voraussetzungen eine Kündigung aus wichtigem Grund eröffnet sei, begegne keinen Wirksamkeitsbedenken. Dies gelte unabhängig davon, ob die Bestimmung als Individualvereinbarung oder Allgemeine Geschäftsbedingung anzusehen sei. Es habe auch kein Recht der Insolvenzschuldnerin bestanden, die Vorlage der Vertragserfüllungsbürgschaft zu verweigern oder zurückzustellen. Aufgrund der Kündigung aus wichtigem Grund habe der Insolvenzschuldnerin kein Vergütungsanspruch zugestanden, so dass der Sicherungszweck der von ihr gewährten Bürgschaft nach § 648a BGB entfallen und die Bürgschaftsurkunde herauszugeben sei. Die Mehrkosten durch die Beauftragung der Firma …[D] GmbH seien ersatzfähig, da diese dieselben Leistungen ausgeführt habe, die zuvor bei der Insolvenzschuldnern in Auftrag gegeben worden seien. Die erstinstanzlich beklagte Insolvenzschuldnerin hat dem entgegengehalten, ihr stehe der mit der Widerklage geltend gemachte Anspruch auf Kündigungsvergütung in Höhe von 26.600,00 € nach § 649 BGB zu. Die Klägerin könne sich nicht auf eine außerordentliche Kündigung des Bauvertrages stützen, da die Regelung zur Kündigungsmöglichkeit bei Nichtgewähr der Vertragserfüllungsbürgschaft unwirksam sei. Die Kündigung sei daher in eine ordentliche Kündigung umzudeuten.

Hinsichtlich des weiteren erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes sowie der erstinstanzlich gestellten Anträge wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung vom 25. Februar 2016 (Bl. 218 ff. GA) verwiesen.

Das Landgericht hat die Insolvenzschuldnerin auf das Hilfsbegehren der Klägerin hin verurteilt, die Bürgschaft nach § 648a BGB in Höhe von 585.200,00 € Zug um Zug gegen Gewähr einer gleichlautenden Bürgschaft über 26.600,00 € zur Sicherung des Anspruchs auf die entsprechende Kündigungsvergütung herauszugeben und die Klage im Übrigen abgewiesen. Zudem hat es die Klägerin auf die Widerklage hin zur Leistung einer Kündigungsvergütung in Höhe von 26.600,00 € verurteilt. Die Regelung in Ziff. 8.1 des Bauvertrages zur Gewähr einer Vertragserfüllungsbürgschaft mit Eröffnung einer Kündigungsmöglichkeit sei als Allgemeine Geschäftsbedingung anzusehen und als solche unwirksam. Sie halte einer Inhaltskontrolle nach § 307 BGB nicht Stand, da die gesetzlichen Regelungen zum allgemeinen Rücktritts- und Schadensersatzrecht durch die Vorschriften der VOB/B in § 17 Nr. 7 VOB/B und in § 8 VOB/B bzw. § 4 Nr. 7 VOB/B verdrängt würden und für eine ergänzende Anwendung des allgemeinen Rücktrittsrechts wegen Verletzung der Pflicht zur Stellung einer Sicherheit oder für etwaige Schadensersatzpflicht anstatt der Leistung kein Raum bestehe. Die ausgesprochene außerordentliche Kündigung sei daher als ordentliche Kündigung zu werten. Die von der Klägerin überlassene Bürgschaft der …[C] Bank AG nach § 648a BGB in Höhe von 585.200,00 € sichere daher noch einen Vergütungsanspruch der Insolvenzschuldnerin nach § 649 BGB. Die Herausgabe der Bürgschaft über 585.200,00 € komme daher nur Zug um Zug gegen Stellung einer gleichlautenden neuen Bürgschaft über einen Betrag von 26.600,00 € in Betracht. Denn in dieser Höhe sei ein Anspruch auf Kündigungsvergütung unter Zugrundelegung der Pauschale nach § 649 Satz 3 BGB gegeben. Ein Anspruch auf Erstattung der durch die Beauftragung des Drittunternehmens entstandenen Mehrkosten stehe der Klägerin nicht zu, da es an einer Grundlage für eine außerordentliche Kündigung gefehlt habe. Im Übrigen wird auf die Ausführungen in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils (Bl. 222 ff. GA) Bezug genommen.

Nach Verkündung und Zustellung des angefochtenen Urteils hat das Amtsgericht Wolfsburg durch Beschluss vom 11. März 2016 den nunmehr Beklagten mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der …[A]GmbH & Co. KG zum Insolvenzverwalter bestellt.

Die Klägerin wendet sich daher mit ihrer Berufung gegen das landgerichtliche Urteil gegen den Insolvenzverwalter als neuen Beklagten. Unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens zur Wirksamkeit der Vertragsklausel zur Gewährung einer Vertragserfüllungsbürgschaft nebst außerordentlicher Kündigungsmöglichkeit bei Nichterfüllung und der daher wirksamen Kündigung aus wichtigem Grund verweist sie darauf, der Insolvenzverwalter, gegen den sie den Rechtsstreit nach § 86 InsO aufnehmen könne, habe die Bürgschaftsurkunde herauszugeben, da insoweit ein Aussonderungsrecht nach § 47 InsO bestehe. Unter Berücksichtigung einer einmonatigen Prüffrist sei zudem ein Anspruch gegen die Masse auf Erstattung der Avalzinsen gegeben, die seit Insolvenzeröffnung entstanden seien. Hinsichtlich des Begehrens auf Erstattung der Avalzinsen bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens sowie der geltend gemachten Mehrkosten durch die Beauftragung des Drittunternehmens habe die Klage auf das Begehren der Feststellung der Ansprüche zur Insolvenztabelle umgestellt werden müssen, da der Beklagte über den Prozessbevollmächtigten habe mitteilen lassen, er werde das Berufungsverfahren weiter betreiben. Hierin sei ein konkludentes Bestreiten der im Insolvenzverfahren angemeldeten Forderungen zu sehen. Im Übrigen wird auf die Berufungsbegründung vom 3. Mai 2016 (Bl. 253 ff. GA) sowie den Schriftsatz der Klägerin vom 20. Mai 2016 (Bl. 277 ff. GA) verwiesen.

Die Klägerin beantragt, das am 25. Februar 2016 verkündete Urteil des Landgerichts Mainz abzuändern und

1. den Beklagten zu verurteilen, die Bürgschaftsurkunde Nr. 410BGI1400507 vom 2. Juli 2014 zu Gunsten der …[A]GmbH und Co. KG (aus dem Bauvorhaben …[B], Vertrag-Nr.: ER-MM570-MRAB-28 vom 8. Mai 2014) über einen Betrag von 585.200,00 € an die Bürgin …[C] Bank AG, aus der Masse herauszugeben;

2. festzustellen, dass ihr im Insolvenzverfahren über das Vermögen der …[A]GmbH & Co. KG (AG Stendal, HRA 4832) Avalzinsen für die Bürgschaft Nr. 410BGI1400507 der …[C] Bank AG vom 2. Juli 2014 in Höhe von 2% p.a. aus einem Betrag von 585.200,00 € seit dem 26. Juli 2014 bis zum 10. März 2016 zustehen;

3. den Beklagten zu verurteilen, ihr aus der Masse Avalzinsen für die Bürgschaft Nr. 410BGI1400507 der …[C] Bank AG vom 2. Juli 2014 in Höhe von 2% p.a. aus einem Betrag von 585.200,00 € seit dem 11. April 2016 zu zahlen;

4. festzustellen, dass ihr im Insolvenzverfahren über das Vermögen der …[A]GmbH & Co. KG (AG Stendal, HRA 4832) ein Schadensersatzanspruch in Höhe von 23.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zusteht;

5. die Widerklage des Beklagten abzuweisen.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens. Insoweit wird auf die Berufungserwiderung vom 13. Juni 2016 (Bl. 288 ff. GA) verwiesen.

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung der Klägerin hat überwiegend Erfolg und führt insoweit zur Abänderung des landgerichtlichen Urteils. Der Klägerin steht ein Anspruch auf Herausgabe der Bürgschaftsurkunde zu. Zudem kann sie die hinsichtlich der Avalzinsen begehrten Rechte verfolgen, wobei bezüglich der gegen die Masse gerichteten Forderung eine Erstattung erst ab dem 4. Mai 2016 zu erfolgen hat. Ein Anspruch auf Feststellung der Schadensersatzforderung hinsichtlich der durch die Beauftragung des Drittunternehmens entstandenen Mehrkosten in Höhe von 23.000,00 € kommt nicht in Betracht. Die Widerklageforderung des Beklagten besteht nicht.

1. Der Klägerin steht ein Anspruch auf Herausgabe der Urkunde über die nach § 648a BGB als Bauhandwerkersicherung gewährte Bürgschaft zu, da sie insoweit aussonderungsberechtigt nach § 47 InsO ist.

a) Die Klägerin ist kann den aufgrund der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach § 240 ZPO unterbrochenen Rechtsstreit zur Verfolgung des von ihr erhobenen Anspruchs gegen den Insolvenzverwalter nach § 86 Abs. 1 Nr. 1 InsO aufnehmen. Nach dieser Vorschrift kann ein Passivprozess, der bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits rechtshängig war, auch von der klagenden Partei wieder aufgenommen werden, wenn die Aussonderung eines Gegenstands aus der Insolvenzmasse begehrt wird. Entsprechende Ansprüche werden von der Klägerin hinsichtlich der Bürgschaftsurkunde erhoben (vgl. hierzu MünchKomm-InsO/Ganter, 3. Aufl. 2013, § 47 Rn. 474).

b) Der Klägerin steht nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Auftragnehmerin aufgrund der Kündigung des Bauvertrages aus wichtigem Grund und dem daher fehlenden Vergütungsanspruch der Insolvenzschuldnerin ein Recht zu, die Bürgschaftsurkunde auszusondern.

aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann ein schuldrechtlicher Anspruch zur Aussonderung berechtigen, wenn der Gegenstand, auf den er sich bezieht, zur Insolvenzmasse gehört (§ 47 Satz 1 Alt. 2 InsO). Entscheidend ist, welchem Vermögen der umstrittene Gegenstand nach Inhalt und Zweck der gesetzlichen Regelung haftungsrechtlich zuzuordnen ist (vgl. BGH, NZBau 2011, 288, 289). Auf dieser Grundlage kann auch die Urkunde einer Sicherungsbürgschaft nach § 648a BGB ausgesondert werden, wenn diese vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgrund des Wegfalls des Sicherungszwecks und damit der Treuhandbindung wieder dem Vermögen der Klägerin zugefallen ist. In diesem Fall ist die Bürgschaft für die Masse von vornherein wertlos und es erfordert der Zweck des Insolvenzverfahrens nicht, die Bürgschaftsurkunde in der Masse zu belassen (vgl. BGH, NZBau 2011, 288, 290; MünchKomm-InsO/Ganter, § 47 Rn. 341). Sofern daher – wie von der Klägerin geltend gemacht – durch die Bürgschaft keinerlei Vergütungsansprüche der Insolvenzschuldnerin abgesichert werden konnten, unterliegt die Bürgschaftsurkunde der Aussonderung.

bb) Die Klägerin hat den mit der Insolvenzschuldnerin geschlossenen Bauvertrag wirksam aus wichtigem Grund gekündigt.

Nach Ziff. 8.1 des zwischen den Parteien geschlossenen Bauvertrags war die Insolvenzschuldnerin verpflichtet, innerhalb von zehn Arbeitstagen nach Auftragserteilung eine Vertragserfüllungsbürgschaft in Höhe von 10% der Nettoauftragssumme zu stellen. Bei Nichtvorlage der Vertragserfüllungsbürgschaft trotz Setzung einer Nachfrist mit Kündigungsandrohung war es der Klägerin eröffnet, den Vertrag mit den Rechtsfolgen des § 8 Abs. 3 VOB/B zu kündigen.

Diese Regelung sieht – wovon beide Parteien ausgehen – ein gesondert vertraglich vereinbartes außerordentliches Kündigungsrecht vor. Unstreitig lagen die nach dem Wortlaut der Vereinbarung vorgesehenen Voraussetzungen für eine außerordentliche Kündigung vor, da die Klägerin die Insolvenzschuldnerin mehrfach und zuletzt mit Kündigungsandrohung erfolglos aufforderte, die Vertragserfüllungsbürgschaft vorzulegen. Etwaige Zurückbehaltungsrechte der Insolvenzschuldnerin bestanden nicht. Die von ihr verlangte Sicherungsbürgschaft nach § 648a BGB hat die Klägerin unverzüglich und noch vor Ablauf der letzten Frist zur Vorlage der Vertragserfüllungsbürgschaft durch die Insolvenzschuldnerin gestellt. Soweit sich die Insolvenzschuldnerin erstinstanzlich auf Klärungsbedarf zu möglichen Nachträgen sowie die Anzeige von Behinderungen beruft, waren diese Umstände nicht geeignet, die eigene Verpflichtung zur Vorlage der Vertragserfüllungsbürgschaft auch nur vorübergehend zu suspendieren. Der Vertrag sah die Vorlage der Vertragserfüllungsbürgschaft zehn Tage nach Auftragserteilung vor. Der mit dieser Verpflichtung einhergehende Zweck, die Klägerin abzusichern, stellt die Vorlage nicht in Abhängigkeit zu etwaigem Klärungsbedarf hinsichtlich der Art und des Umfangs der weiteren Leistungsausführung. So hätte etwa eine Erweiterung des Auftragsumfangs lediglich zu einem höheren Bürgschaftsumfang geführt, allerdings nicht die Vorlage einer dem Ursprungsauftrag entsprechenden Vertragserfüllungsbürgschaft entbehrlich gemacht.

Die Vereinbarung unter Ziff. 8.1 des Bauvertrages begegnet auch keinen Wirksamkeitsbedenken. Die Klausel ist als Allgemeine Geschäftsbedingung anzusehen. Allein der handschriftliche Eintrag der Höhe der Vertragserfüllungsbürgschaft steht dem nicht entgegen. Die Insolvenzschuldnerin hat erstinstanzlich angeführt, der Vertrag sei von der Klägerin identisch beim Vertragsabschluss mit einem weiteren Unternehmen gestellt worden. Dem ist die Klägerin nicht entgegengetreten. Sie hat auch nicht dargelegt, inwiefern das Vertragswerk individuell ausgehandelt worden wäre.

Die Einordnung als Allgemeine Geschäftsbedingung führt jedoch nicht zur Unwirksamkeit. Denn die zwischen den Parteien streitige Klausel ist nicht gemäß § 307 BGB unwirksam, wobei als gesetzlicher Prüfungsmaßstab nicht die VOB/B, sondern das allgemeine Werkvertragsrecht der §§ 631 ff. BGB heranzuziehen ist. Der Bundesgerichtshof hat bereits entschieden, dass die in einem Bauvertrag enthaltene Verpflichtung, eine Vertragserfüllungsbürgschaft zu stellen, nicht mit dem AGB-Recht unvereinbar ist (vgl. nur BGH, NJW-RR 2000, 1331). Ebenso hat der Bundesgerichtshof in einer aktuellen Entscheidung klargestellt, dass die vertragliche Verpflichtung zur Stellung einer Vertragserfüllungsbürgschaft in Höhe von 10% der Auftragssumme keinen Wirksamkeitsbedenken begegnet (BGH, Urteil vom 7. April 2016 – VII ZR 56/15, BeckRS 2016, 08553).

Aber auch die Verbindung dieser vom Bundesgerichtshof als zulässig und wirksam in Allgemeinen Geschäftsbedingungen angesehenen Bauvertragsklausel mit einer Kündigungsmöglichkeit im Falle der Nichtvorlage der Vertragserfüllungsbürgschaft ist rechtlich nicht zu beanstanden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Klausel in dem Bauvertrag mit der Voraussetzung der Nachfristsetzung unter Kündigungsandrohung den allgemein bei außerordentlichen Kündigungen Rechnung zu tragenden Abmahngedanken berücksichtigt. Damit wird abgesichert, dass der Auftragnehmer nicht von einer Kündigung aus wichtigem Grund überrascht wird. Die Eröffnung eines außerordentlichen Kündigungsrechts über den Inhalt der VOB/B hinaus führt ebenfalls nicht dazu, die vertragliche Regelung als unwirksam anzusehen. Die vom Landgericht angeführten Entscheidungen des OLG Düsseldorf (BeckRS 2009, 28959) und OLG München (IBR 1999, 313) sowie die Kommentierung von Joussen (Ingenstau/Korbion, VOB-Kommentar, § 17 Abs. 7 VOB/B Rn. 8) vermögen die Unwirksamkeit nicht zu stützen. Die Klägerin hat zu Recht darauf verwiesen, dass diese Entscheidungen andere Sachverhalte betreffen. Die dort entschiedenen Vertragsklauseln entsprachen nicht der vorliegenden; insbesondere sahen diese nicht ausdrücklich eine Kündigungsmöglichkeit im Falle der Nichtgewähr der Vertragserfüllungsbürgschaft vor. Die Kommentierung von Joussen, aus der das Landgericht zitiert, wird unzutreffend interpretiert. Denn auch dort wird klargestellt, dass in einem BGB-Bauvertrag Kündigungsmöglichkeiten geregelt werden können, wohingegen ein VOB/B-Vertrag eine Kündigung nicht eröffnet. Vorliegend ist jedoch kein Bauvertrag gegeben, bei dem die VOB/B als Ganzes einbezogen wurde. Vielmehr hat die Klägerin ein Vertragswerk gestellt, in dem in Ziff. 1 die Rangfolge der geltenden Vertragsgrundlagen klargestellt wird. Danach gelten die Regelungen der Vertragsniederschrift erstrangig. Erst nachrangig sollen die Bedingungen der VOB/B herangezogen werden. Die Interpretation des Landgerichts würde dazu führen, dass ausschließlich die Bestimmungen der VOB/B als Vertragsgrundlage heranzuziehen sind. Dies entspricht indes nicht der vertraglichen Vereinbarung der Klägerin und der Insolvenzschuldnerin. Diese haben einen eigenständigen Bauvertrag vereinbart, der von den Bestimmungen der VOB/B verschiedentlich abweicht und erst ergänzend zu den eigenständig getroffenen Regelungen die Bestimmung der VOB/B einbezogen. Insofern bestimmt sich die Möglichkeit einer außerordentlichen Kündigung nicht nach dem Regelungsgehalt des § 17 Abs. 7 VOB/B, sondern vielmehr nach der konkret getroffenen vertraglichen Vereinbarung. Die Parteien haben hierdurch eine ergänzende Regelung getroffen. Eine Übervorteilung der Klägerin ist damit nicht verbunden. Vielmehr trägt die Regelung allein dem auch vom Bundesgerichtshof anerkannten Interesse des Auftraggebers an seiner Absicherung über den Erhalt einer auskömmlichen Vertragserfüllungssicherheit Rechnung. Die Regelung knüpft negative Folgen für den Auftragnehmer an sein vertragsuntreues Verhalten. Eine unangemessene Belastung ist darin nicht zu sehen (zur Zulässigkeit vgl. auch Schmitz, Sicherheiten für die Bauvertragsparteien, Rn. 152 m.w.N. in dortiger Fn. 224; Moufang/Koos, in: Ganten/Jansen/Voit, Beck’scher VOB-Kommentar, 3. Aufl. 2013, § 17 Abs. 7 VOB/B Rn. 22).

Infolge der Ausgestaltung der Sanktion als Recht zur Kündigung aus wichtigem Grund mit Verweisung auf § 8 Abs. 3 VOB/B steht der Insolvenzschuldnerin keine Kündigungsvergütung zu, da die Kündigung vor Beginn der Leistungserbringung erfolgt ist. Die von der Klägerin gestellte Bürgschaft nach § 648a BGB sichert daher weder Vergütungsforderungen noch Ansprüche auf eine Kündigungsvergütung ab, weshalb bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens kein Sicherungsbedürfnis mehr bestand und daher ein Herausgabeanspruch der Klägerin begründet wurde.

2. Ein Anspruch auf Feststellung der Einstandspflicht für die Avalprovision in Höhe von 2% p.a. zur Insolvenztabelle folgt für den von der Klägerin zugrunde gelegten Zeitraum vom Verzugseintritt nach Ablauf der Frist zur Herausgabe der Bürgschaftsurkunde bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens aus §§ 280 Abs. 1 und 2, 286 BGB sowie § 648a Abs. 3 Satz 1 BGB. Ein Aufnahmerecht folgt insoweit aus § 179 InsO, da der Beklagte die Forderung auch nach dem „Prüfungstermin“ im schriftlichen Verfahren nach § 5 Abs. 2 InsO am 10. Juni 2016 durch seine Verteidigung gegen die Berufung bestritten hat.

3. Hinsichtlich des gegen den Beklagten erhobenen Anspruchs auf Ersatz der Avalprovision für die Zeit ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist die Klägerin nach § 86 Abs. 1 Nr. 3 InsO zur Aufnahme des Rechtsstreits berechtigt. Der Bundesgerichtshof hat bereits entschieden, dass ein Anspruch auf Erstattung der Avalzinsen bis zur Herausgabe der Bürgschaftsurkunde gegen die Masse aus §§ 280 Abs. 1 und 2, 286 BGB folgt. In diesem Fall haftet die Masse für die schuldhaft verzögerte Erfüllung eines geltend gemachten Aussonderungsanspruchs nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO (BGH, NZBau 2011, 288, 290). Verzug der Masse trat allerdings erst am 4. Mai 2016 nach einer angemessenen Prüfungsfrist für den Beklagten nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 11. März 2016 und der nachfolgenden Mahnung mit Schreiben vom 29. April 2016 gegenüber dem Prozessbevollmächtigten unter Fristsetzung zum 3. Mai 2016 ein (BGH, NZBau 2011, 288, 290). In letztgenanntem Schreiben (Anlage BK1; Bl. 271 GA) ist eine Mahnung zu sehen. Die von der Klägerin mit einem Monat angesetzte (bereits vor der Mahnung abgelaufene) Prüfungsfrist des Insolvenzverwalters hinsichtlich des Aussonderungsrechts ist ausreichend bemessen. Grundsätzlich genügt für eine Rechtsprüfung ein Zeitraum von zwei Wochen, weshalb der einmonatige Zeitraum von der Klägerin hinreichend angesetzt wurde. Anhaltspunkte, die aufgrund besonderer Umstände eine längere Prüfungszeit gebieten, sind weder ersichtlich noch dargetan.

4. Ein Anspruch auf Feststellung, dass der Klägerin im Insolvenzverfahren über das Vermögen der erstinstanzlichen Beklagten ein Schadensersatzanspruch in Höhe von 23.000,00 € wegen der Mehrkosten aufgrund der Drittvergabe des Auftrags zusteht, ist hingegen nicht begründet. Die Insolvenzschuldnerin hat erstinstanzlich die Berechnung der Mehrforderung bestritten und insbesondere ins Feld geführt, es sei zu Nachträgen und anderen Leistungsausführungen gekommen. Hierzu hat die Klägerin nicht ergänzend vorgetragen. Auch wurden Rechnungen des Drittunternehmens nicht vorgelegt. Insoweit kann auf der Grundlage des Vorbringens der Klägerin nicht beurteilt werden, inwiefern die geltend gemachten Mehrkosten tatsächlich entstanden sind.

5. Zutreffend wendet sich die Klägerin gegen die Zuerkennung der Widerklageforderung durch das Landgericht. Von einer Aufnahme des Rechtsstreits ist aufgrund des Antrags des Beklagten auf vollständige Zurückweisung der Berufung auszugehen, da er hiermit die Widerklageforderung auch im Berufungsverfahren weiterverfolgt. Aufgrund der wirksamen Kündigung des Bauvertrages aus wichtigem Grund steht dem Beklagten ein Anspruch auf eine Kündigungsvergütung nach § 649 BGB bzw. § 8 Abs. 3 VOB/B, auf den der Bauvertrag in Ziff. 8.1 Bezug nimmt, indes nicht zu.

6. Die Kostenentscheidung folgt für den ersten Rechtszug aus § 92 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 ZPO und für das Berufungsverfahren (unter Berücksichtigung der Streitwertänderung aufgrund der Eröffnung des Insolvenzverfahren) aus § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht gegeben sind. Die Sache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch ist eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich.

Der Senat hat beschlossen, den Streitwert für das Berufungsverfahren auf bis zu 230.000 € festzusetzen. Das Begehren auf Herausgabe der Bürgschaftsurkunde bemisst der Senat im Einklang mit dem Landgericht auf 30% der gesicherten Forderung. Für die nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens – vorliegend mit der Berufung – erfolgte Aufnahme des Rechtsstreits bezüglich der zur Tabelle angemeldeten Forderungen ist die Regelung des § 182 InsO auch dann anwendbar, wenn der Anmelder nach der Aufnahme des Rechtsstreits den Zahlungsantrag versehentlich nicht in einen Antrag auf Feststellung der Forderung zur Tabelle ändert (vgl. MünchKomm-InsO/Schumacher, 3. Aufl. 2013, § 182 Rn. 6). Für die auf Feststellung der Forderungen zur Insolvenztabelle gerichteten Begehren schätzt der Senat daher den Gegenstandswert auf jeweils 5% des Nennwerts der Forderungen.

 

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